Schuldenlast und Schuldenwert. Kreditnetzwerke in der europäischen Geschichte 1300-1900, hg. v. Clemens, Gabriele B. (= Trierer historische Forschungen 65). Kliomedia, Trier 2008. 273 S., Tab. Diagr., Schaub. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Unter den fragenden Augen eines jungen Notars an seinem Schreibpult von etwa 1830 stellt der Sammelband die Ergebnisse des internationalen Workshops Kreditbeziehungen und Netzwerkbildungen - Die soziale Praxis des Kredits vor, der nach dem Vorwort vom 1. bis zum 2. Dezember bzw.  nach der Einleitung vom 2. bis zum 3. Dezember von Lutz Raphael und Gabriele B. Clemens an der Universität Trier organisiert wurde. Mitglieder des Forschungsclusters Rheinland-Pfalz „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke - Historische Forschungen und Gegenwartsanalysen zu Chancen und Risiken einer sozialen Beziehungsform“ diskutierten hier erste Ergebnisse und Forschungsperspektiven mit einer internationalen Expertengruppe. Leitthema war die Frage, wie sich in Europa seit dem Mittelalter bis zum beginnenden 20. Jahrhundert die Omnipräsenz von Schulden auswirkte.

 

Die bisher kaum so klar aufgezeigte Omnipräsenz westeuropäischer Kreditbeziehungen in Mittelalter und Neuzeit ist demgemäß auch der übergeordnete Gesichtspunkt der Einleitung der Herausgeberin. Sie weist insbesondere nachdrücklich darauf hin, dass diese Fragestellung in England und Frankreich bereits länger  eindringlich verfolgt werde. Insofern hole der Workshop vor allen Dingen auch bisher Versäumtes nach.

 

Dem entspricht es, dass Phillipp R. Schofield als erster über Formen und Funktionen der Kreditvergabe im englischen manor court von 1250 bis 1350 berichtet. Anschließend betrachtet Peter Schuster unter dem Schlagwort The Age of Debt private Schulden in der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Gerd Mentgen behandelt die Juden und das Einlager als Instrument der Kreditvergabe, während Franz Irsigler die Kreditgewährung und Formen der Kreditsicherung im Spätmittelalter überprüft.

 

Gerald Grommes beschreibt Netzwerke und Geschäftsstrukturen kastilischer Messebankiers am Beginn der frühen Neuzeit. Laurence Fontaine bezieht die Bauern und die Mechanismen der Kreditvergabe ein. Rasch ist mit Philip T. Hoffmans Studie über Gilles Postel-Vinay & Jean-Laurent Rosenthal und den Märkten des notariell beglaubigten Kredits in Frankreich das Ende dieses Zeitabschnitts erreicht.

 

Danach konzentriert sich das Interesse auf Nordwestdeutschland. Christine Fertig widmet sich den Kreditmärkten und Kreditbeziehungen im ländlichen Westfalen, Johannes Bracht & Georg Fertig fragen, wann sich verschulden, wann sparen? und Alfred Bauer befasst sich mit unterschiedlichen Formen der privaten Geldleihe und Kapitalbildung eines in der Einführung unter verschiedenen Namen erscheinenden Bauern-Bankiers im Hunsrück vor dem ersten Weltkrieg.

 

Am Ende wird die Kreditvergabe im 19. Jahrhundert zwischen privaten Netzwerken und institutioneller Geldleihe erfasst. Vier Kommentare Jürgen Schlumbohms, Christof Dippers, Stefan Brakensieks und Ulrich Pfisters nehmen kritisch fördernd zu den Referaten Stellung. Leider wird der in seinen unterschiedlichen Facetten insgesamt viele neue Einzelerkenntnisse liefernde interessante Sammelband nicht durch ein Sachregister erschlossen.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler