Schuder, Rosemarie, Der „Fremdling aus dem Osten“ - Eduard Lasker - Jude, Liberaler, Gegenspieler Bismarcks, mit einem Vorwort v. Simon, Hermann. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2008. 269 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wenn der Fremdling aus dem Osten trotz Zusage für einen festen Rezensenten bei dem Herausgeber aus welchen Gründen auch immer niemals ankommt, bleibt immer die Möglichkeit der Anzeige auf Grund Ausleihe. Dabei geht es um ein Werk der1928 in Jena geborenen, vornehmlich historisch orientierten Schriftstellerin Rosemarie Schuder, die nach dem 1947 abgelegten Abitur vornehmlich als freie Journalistin für die ostdeutsche tägliche Rundschau und die neue Zeit arbeitete und zahlreiche historische Romane beispielsweise über den Münsteraner Wiedertäuferaufstand von 1534 oder über Paracelsus, Johannes Kepler und Michelangelo verfasste. Wie Hermann Simon, Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum, in seinem  kurzen Geleitwort ausführt, hat sich die Autorin gründlich mit Leben und Wirken des talentierten Parlamentariers und mutigen Publizisten Eduard Lasker beschäftigt und beschreibt in ihrer Spurensuche seine Entwicklung nicht in einer üblich erzählten Biographie, sondern unter Hervorhebung der Schwerpunkte, womit die Autorin in gewisser Weise auch an das mit ihrem Mann, Rudolf Hirsch (1907-1998), verfasste Standardwerk „Der gelbe Fleck - Wurzeln und Wirkungen des Judenhasses in der deutschen Geschichte“ (Ost-Berlin 1987) anknüpft.

 

Dementsprechend beginnt der Fremdling aus dem Osten am 13. März 1884 mit einem gespenstischen Geschehen in Berlin. Ein Totengericht im Reichstag. Der am 5. Januar 1884 auf einer Reise durch die Vereinigten Staaten von Amerika in New York verstorbene Rechtsanwalt und Politiker Eduard Lasker, der seit achtundsechzig Tagen nicht mehr unter den Lebenden weilte, wurde dort vor den Abgeordneten und ausgewählten Zuhörern und Vertretern der Presse verurteilt, wofür der Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck die Tribüne des hohen Hauses wählte.

 

In 28 kurzen Abschnitten betrachtet die Verfasserin Eduard Lasker. Höhepunkte sind das Ringen um die Abschaffung der Todesstrafe, der Beitrag zur Reichseinigung, Beratungen über das Jesuitengesetz, Debatten um die Korruption bei der Eisenbahnprivatisierung, Bildungsdebatten, Beratungen über das Sozialistengesetz und Beratungen des ersten Krankenversicherungsgesetzes. In all diesen Auseinandersetzungen macht die Autorin deutliche Anzeichen der ambivalenten Haltung Bismarcks gegenüber Eduard Lasker aus.

 

Die einzelnen Kennzeichnungen sind ähnlich anregend wie der Gesamttitel. Es geht um Muttermilch, Spielbeginn, einen Veilchenstrauß auf Heines Grab, eine mitgebrachte heftige Erkältung, den Donnergott, den Hauch der Liebe oder Erinnerung und Hoffnung. Am Schluss steht als Acta Lasker aus der illustrierten Feuilleton-Beilage der jüdischen Presse vom 27. Februar 1885 die Mitteilung, dass Eduard Lasker auf der Rednerbühne bis zum Ende des Jahres 1877 nach den stenographischen Berichten in 866194 Reden und 14312 persönlichen Bemerkungen 927745328 Wörter gesprochen hat, das ist 422 mehr als Goethe geschrieben hat und 3129mal mehr als alle Reden Ciceros enthalten, und dabei 7344 Anträge einbrachte, von denen 7211 angenommen wurden.

 

Insgesamt liegt also kein wissenschaftliches Werk vor  Gleichwohl wird dadurch die Literatur zu Eduard Lasker eindrucksvoll bereichert. Eine kurze Übersicht über die Lebensdaten, bibliographische Hinweise und ein Personenregister versuchen die sinnvolle Verknüpfung der dramatisierenden Dichtung mit der nüchterneren Wirklichkeit.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler