Schreyer, Hermann, Das staatliche Archivwesen in der DDR (= Schriften des Bundesarchivs 70). Droste, Düsseldorf 2008. XII, 308 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der 1933 geborene Verfasser kennt seinen Sachgegenstand aus langjähriger eigener Anschauung bestens. Von 1958 an war er wissenschaftlicher Archivar im zentralen Staatsarchiv der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und von 1991 Leiter der Abteilung Deutsche Demokratische Republik im Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschlands. Bereits vor fünf Jahren trat er mit einer Untersuchung über die zentralen Archive Russlands und der Sowjetunion von 1917 bis zur Gegenwart eindrucksvoll hervor.

 

Auf diesem Hintergrund behandelt der Verfasser seinen Gegenstand chronologisch in vier Kapiteln gegliedert. Den Ausgangspunkt bildet das Ende des zweiten Weltkriegs. Bis dahin war das staatliche Archivwesen im Deutschen Reich im Wesentlichen einheitlich bürgerlich gestaltet, was sich naturgemäß nicht von einem Tag auf den andern Tag grundsätzlich ändern ließ.

 

Das zweite Kapitel betrifft die Zeit zwischen 1958 und 1968. Sie ist gekennzeichnet durch den bewussten Aufbau eines eigenen sozialistischen Archivwesens unter Karl Schirdewan, wobei mit dem 13. August 1961 eine ziemlich strenge Abschottung erfolgt und 1964 eine besondere Verordnung über das staatliche Archivwesen ergeht. Wichtigste Archive sind neben dem Deutschen Zentralarchiv die vom Verfasser in allen Abschnitten sorgfältig verfolgten thüringischen Archive, sächsischen Archive, mecklenburgischen Archive, sachsen-anhaltischen Archive und brandenburgischen Archive.

 

Mit dem Ende der Ära Ulbricht beginnt 1968 ein neuer Abschnitt. Ziel war vor allem der weitere Ausbau eines sozialistischen Archivwesens nach dem Vorbild der Sowjetunion. Dazu gehörten auch die durchgehende Besetzung der Führungsstellen mit Parteimitgliedern und die Trennung der Aktenerschließung von der Benutzerbetreuung, wobei die ideologische Auseinandersetzung die Überlegenheit der marxistisch-leninistischen Archivwissenschaft gegenüber der westdeutschen Archivlehre erweisen sollte, ohne dass dieses Ziel tatsächlich erreicht werden konnte. Nach 1983 traten diesen Bemühungen verstärkt die internationalen Entspannungsüberlegungen entgegen.

 

Zu Recht weist der Verfasser darauf hin, dass auch die jahrzehntelange getrennte Entwicklung nach 1990 nicht sofort rückgängig gemacht werden konnte. Vielmehr kann er die Nachwirkungen weit über die Wendezeit hinaus darlegen. Auch insofern gelingt ihm durch kritische Verbindung von Innensicht und Außensicht ein überzeugendes Ergebnis zu einem zwar nicht vorrangigen, aber doch bedeutsamen geschichtlichen Gegenstand der jüngeren Vergangenheit, mit dem vor allem für den westlichen Leser  eine bedauerliche Lücke sachlich und nachhaltig geschlossen wird.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler