Schelle, Karel/Tauchen, Jaromír, Grundriss der tschechoslowakischen Rechtsgeschichte. Dr. Hut Verlag, München 2009. 196 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Karel Schelle und Jaromír Tauchen, beide tätig an der Universität Brünn (Brno), Verfasser von Werken über Recht und Verwaltung im Protektorat Böhmen und Mähren (2009) und über Integrationskonzeptionen in Europa bis 1945 (2009), bringen mit dem vorliegenden Werk eine detaillierte Einführung in die Rechtsgeschichte der Tschechoslowakei von 1917-1992. Die vornehmlich verfassungsgeschichtlich orientierte Darstellung beginnt mit dem „Weg zur Errichtung eines selbstständigen Staates“ (S. 9ff.), insbesondere durch die Formierung des tschechoslowakischen Auslands- und Inlandswiderstandes (1915-1918). Es folgt ein umfangreiches Kapitel über die erste tschechoslowakische Republik mit ihrer vorläufigen Verfassung von 1918 und der Verfassungsurkunde von 1920. Im Abschnitt über die Staatsorgane (S. 24ff.) werden behandelt die Nationalversammlung, die starke Stellung des Präsidenten, die Regierung, die Gerichtsbarkeit und die öffentliche Verwaltung. Ausführlich gehen die Verfasser auf die Stellung der Sudetendeutschen zum tschechischen Staat, die Sudetenkrise und das Münchner Abkommen ein. Sehr knapp ist der Abschnitt über das „Recht in der ersten Republik“ ausgefallen (S. 37f.). Etwas detaillierter ist nur die Einführung der fakultativen Zivilehe angesprochen. In einer Neuauflage sollten weitere wichtige Einzelgesetze und insbesondere die auch ins Deutsche übersetzten Kodifikationsentwürfe zum Zivil-, Straf- und Prozessrecht, die in Deutschland nicht unbeachtet blieben, näher behandelt werden. In gleicher Weise sollte auch auf die Verfassungsgerichtsbarkeit sowie auf die breiten insbesondere rechtspolitischen Beiträge der tschechischen und deutschsprachigen Juristen (insbesondere auf den Deutschen Juristentagen in der Tschechoslowakei) hingewiesen werden. Das Kapitel für die Zeit von 1918-1938 wird abgeschlossen mit der Wiedergabe der provisorischen Verfassung, der Verfassungsurkunde von 1920 und des Münchner Abkommens.

 

Nach einem kurzen Kapitel über die zweite tschechoslowakische Republik (1938/39), die sich zu einem autoritären Regime entwickelte, aber auch der Slowakei und der Karpartenukraine die „Autonomie“ brachte (S. 59ff.), charakterisiert das folgende Kapitel die „Entwicklung im Protektorat Böhmen und Mähren“ (S. 63ff.; S. 71 Hinweis auf die Einführung der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung). Ein kurzer Abschnitt befasst sich mit dem slowakischen Staat von 1939-1945 unter seinem Staatspräsidenten Jozef Tiso (S. 81ff.). Die tschechoslowakische Republik stand von 1945-1948 unter der Präsidentschaft von Edvard Beneš (S. 85ff.), dessen Dekrete zur Enteignung der Deutschen, Ungarn und „anderer Staatsfeinde“ führten (S. 98ff.). Ausführlich behandelt wird sodann die Verfassungsentwicklung unter der Regierung des kommunistischen Ministerpräsidenten Klement Gottwald (ab 1946), in dessen Regierungszeit sich die weitere Entwicklung bereits abzeichnete, die zu dem kommunistischen Umsturz vom Februar 1948 und zur Etablierung der Diktatur der kommunistischen Partei führte (S. 113ff.). Die Verfassung vom Mai 1948 charakterisiert die tschechoslowakische Republik als Volksdemokratie; sie wurde abgelöst durch die Verfassung von 1960, welche die Tschechoslowakei als sozialistische Republik und als einen einheitlichen Staat zweier gleichberechtigter brüderlicher Nationen, der Tschechen und der Slowaken, bezeichnete (S. 123ff.). Zu einer weiteren Föderalisierung der Republik führte das Verfassungsgesetz vom 27. 10. 1968 (S. 127ff.). Der rechtliche Zweijahresplan (1948-1950) führte zu einer Neukodifikation des Straf-, Zivil- und Prozessrechts (S. 135ff.), das bereits in der ersten Hälfte der 60er Jahre rekodifiziert wurde (S. 142ff.). Das Reformprogramm von 1968 kam vor allem in dem an der Prager juristischen Fakultät entstandenen Memorandum des Wissenschaftlichen Rates und Gesamtbetriebsausschusses der Kommunistischen Partei zum Ausdruck (S. 145ff.). Die sog. Zeit der „Normalisierung“ (1969-1989) ist nur noch knapp behandelt (S. 147f.).

 

Es ist zu wünschen, dass die Verfasser in einer erweiterten Fassung ihres Grundrisses detaillierter auf die Inhalte der zivil-, straf- und prozessrechtlichen Kodifikationen eingehen. Die Darstellung endet etwas abrupt mit der Auflösung der Tschechoslowakei und der Verabschiedung der neuen Verfassung der Tschechischen Republik vom 16. 12. 1992, die jedoch nicht mehr beschrieben wird. Einen Ausblick auf die Privat-, Straf- und Prozessgesetzgebung von Tschechien insbesondere im Hinblick auf ihre Bezüge zu den Gesetzen der tschechoslowakischen Republik wäre nützlich gewesen. Das Werk von Schelle und Tauchen stellt insgesamt eine gelungene Einführung in die tschechoslowakische Rechtsgeschichte dar, deren Erweiterung und Vertiefung insbesondere für den zivil- und strafrechtlichen Bereich wünschenswert wäre.

 

Kiel

Werner Schubert