Salmen-Everinghoff, Christoph, Zur cautio damni infecti: Die Rückkehr eines römisch-rechtlichen Rechtsinstituts in das moderne Zivilrecht (= Rechthistorische Reihe 392). Lang, Frankfurt am Main 2009. 159 S. Besprochen von Gunter Wesener

 

Die cautio damni infecti und die operis novi nuntiatio waren Institute des römischen Nachbarrechts, die durch Jahrhunderte hindurch erhalten blieben. Sie finden sich etwa noch im österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 343 und § 340).

 

In seiner Bielefelder Dissertation gibt der Verfasser zunächst eine Darstellung der cautio damni infecti und der operis novi nuntiatio im antiken römischen Recht und geht dann auf die cautio damni infecti im gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts ein (S. 43ff.). Der Antrag auf Kaution für zukünftig eintretenden Schaden erfolgte in Form der ordentlichen gerichtlichen Zivilklage gegen den Grundstücksnachbarn, von dessen Grundstück die Gefahr für das klägerische Grundstück ausging. Umstritten war die Anwendbarkeit der missio in possessionem. Die Anwendbarkeit des Missionenverfahrens wurde für das gemeine Recht überwiegend abgelehnt (S. 43). Die cautio damni infecti wegen eines vitium operis konnte verlangt werden, wenn von dem Betrieb einer Anlage oder einer Bautätigkeit ein Schaden auszugehen drohte (S. 45). Anwendung fanden im gemeinen Recht auch die Regeln über eine cautio de praeterito damno (S. 47f.).

 

Ein eigener Abschnitt ist der Verschuldenshaftung und der verschuldensunabhängigen Haftung im gemeinen Recht gewidmet (S. 55ff.). Die Pandektenwissenschaft vertrat grundsätzlich das strenge Verschuldensprinzip, doch wurden von vielen Autoren die römischen Quasi-Delikte bereits unter dem Gesichtspunkt einer verschuldensunabhängigen Haftung gesehen (S. 66).

 

Die Gesetzgebung des 18. Jahrhunderts hatte am Verschuldensprinzip festgehalten, bei den Quasi-Delikten mit einer Verschuldensvermutung oder Fiktion operiert. Der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 (IV 16 § 1) unterschied vera und quasi delicta nach dolus und culpa. Der Entwurf des Codex Theresianus (juris civilis) von 1766 handelt im III. Teil, Caput XXII „von denen für Verbrechen geachteten Handlungen“, von den Quasidelikten. Darunter wird (n. 2) eine schädliche Handlung verstanden, „welche weder aus wahrer Arglist und Gefährde, noch aus wahrer Schuld begangen , doch aber von dem Gesatz eine beimessentliche Schuld zu unterwalten vermuthet oder dafürgehalten wird“. Der Codex Theresianus folgt hier der älteren gemeinrechtlichen Lehre von der culpa imputativa bzw. culpa praesumta, wie sie vom Usus modernus entwickelt worden war[1]. Das ABGB von 1811 kennt nicht mehr den Terminus Quasidelikt, doch lebt die actio de deiectis vel effusis im § 1318 fort.

 

Aus verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Gründen entwickelte sich im 19. Jahrhundert die sogenannte Gefährdungshaftung, die zunächst in einer Reihe von Spezialgesetzen zum Tragen kam (S. 77 ff.)[2].

 

Dem Verfasser ist es ein wesentliches Anliegen, die Gründe für die Nichtaufnahme der cautio damni infecti in das Bürgerliche Gesetzbuch aufzuzeigen. Er führt historische und dogmatische Gründe sowie Gründe der Rechtspraxis an, die teilweise ineinander übergehen. So wie die Quasi-Delikte war auch die cautio damni infecti als Institut einer verschuldensunabhängigen Haftung von der Lehre nicht weiterentwickelt worden und, wie der Verfasser meint, von Rechtslehre und Rechtspraxis zunehmend als „unverstandener Fremdkörper“ betrachtet worden (S. 127). Es ist aber doch zu beachten, dass sowohl die cautio damni infecti als auch die operis novi nuntiatio Aufnahme in das ABGB von 1811 gefunden haben (§§ 343 und 340). Leider wird die österreichische Rechtsentwicklung vom Verfasser völlig ausgeklammert. Die zentrale Vorschrift des § 836 BGB zum Schadensrecht bei Gebäudemängeln ist als ein Kompromiss zwischen unbedingter, verschuldensunabhängiger Haftung und Verschuldenshaftung anzusehen (S. 128).

 

Abschließend prüft der Verfasser die Frage, ob das Schutzniveau nach der derzeitigen Rechtslage demjenigen unter der Geltung der gemeinrechtlichen cautio damni infecti entspricht. Er berücksichtigt hierbei nicht nur die gesetzlichen Vorschriften des BGB, sondern vor allem auch die nicht kodifizierten Rechtsinstitute, welche die Rechtsprechung nach Erlassung des BGB im ehemaligen Anwendungsbereich der cautio damni infecti entwickelt hat, nämlich Verkehrspflichten (bzw. Verkehrssicherungspflichten) und Ausgleichsanspruch des Grundstückseigentümers wegen faktischen Duldungszwanges analog § 906 II 2 BGB ( vgl. Verf. S. 12ff., 131ff.). Die Verletzung einer Verkehrspflicht begründet gemäß § 823 I BGB einen Schadenersatzanspruch. Der Verfasser kommt daher zum Ergebnis, dass die Verkehrspflichten und der verschuldensunabhängige Ausgleichsanspruch wegen faktischen Duldungszwanges das römisch-gemeinrechtliche Institut der cautio damni infecti hinreichend ersetzen (S. 135f., 141f.). In den modernen Rechtsformen lebt die cautio damni infecti weiter.

 

Graz                                                                                       Gunter Wesener



[1] Vgl. R. Hochstein, Obligationes quasi ex delicto. Untersuchung zur dogmengeschichtlichen Entwicklung verschuldensunabhängiger Deliktshaftung unter besonderer Berücksichtigung des 16. bis 18. Jahrhunderts (Stuttgart 1971) 74 ff., 131 ff.

[2] Dazu grundlegend R. Ogorek, Untersuchungen zur Entwicklung der Gefährdungshaftung im 19. Jahrhundert (Köln 1975).