Quellen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges - Zwischen Prager Frieden und Westfälischem Frieden, hg. v. Schmid, Josef J. (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 21). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009. XL, 236 S. Besprochen von Karsten Ruppert.

 

In dem Vorwort zu diesem Band erfährt der Benutzer zunächst Erstaunliches: Der Herausgeber hat nämlich die Entscheidung getroffen, die großen Quellenwerke, die zu dem zu dokumentierenden Zeitraum erschienen sind, ganz auszuklammern. Die Begründung, dass ja dort die wichtigsten Texte in einer mustergültigen Edition bereits vorliegen, überzeugt in keiner Weise. Denn es war ja bisher gerade die Zielsetzung der Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe ähnlicher Reihen, Texte aus bereits vorhandenen Quelleneditionen kritisch ausgewählt zu präsentieren. Die Aufgabe besteht zu einem Teil darin, den Interessenten die wichtigsten Quellen zu einem Gegenstand der Geschichte sachkundig gesichtet und ausgewählt vorzulegen. Der Herausgeber hat sich also um die kompetente Auswahl gedrückt.

 

Die Aufzählung der Kriterien für den Abdruck der Quellen vermittelt nicht den Eindruck innerer Stimmigkeit. Die deutsche Geschichte soll zwar in den Kontext eines internationalen Konflikts gestellt werden, dennoch sollen auch „Impressionen aus deutschen Landen“ gegeben werden. Keinesfalls soll der Band ein Beitrag zur Militär- und Diplomatiegeschichte sein, dennoch soll das Wesen des Krieges dokumentiert werden. Ohne nähere Begründung soll dem Hofleben allein am Beispiel des Dresdner Hofes nachgegangen werden. Und schließlich legt der Herausgeber, was bisher in der Reihe unüblich war, großen Wert auch auf literarische Texte. Dieser Kriterienkatalog und die ausgewählten Quellen selbst bestätigen, dass der Herausgeber sich zu wenig Gedanken darüber gemacht hat, was er mit dem doch sehr schmalen Bändchen von etwas über 200 Seiten überhaupt will. So ist die Gefahr groß, von Vielem ein paar Häppchen zu präsentieren und den Kern zu verfehlen.

 

Das Vorwort endet so überraschend, wie es begonnen hat. Dem Dramatiker und Schriftsteller Friedrich Schiller (1759-1805) wird attestiert, dass er die umfassendste und brillanteste Darstellung der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges geschrieben habe, die „nach wie vor unübertroffen bleibt“. Schließlich wird Schiller darüber hinaus noch zum „größten deutschen Historiker“ stilisiert. Da staunt nicht nur der Laie. Schillers Darstellung ist eine philosophische und poetische Adaption des Stoffes und kann nicht im Ernst der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Dreißigjährigen Krieg in den folgenden Jahrhunderten an die Seite gestellt werden. Da Schillers Text von 1792 also weder eine wissenschaftliche Darstellung noch eine Quelle zum Thema ist, ist es Unsinn, ihn in einem Umfang von einem Zehntel aller Quellentexte abzudrucken.

 

Das Quellen- und Literaturverzeichnis ist eine unkritische Ansammlung von Literatur, in der sich eine Menge Titel zu Ereignissen des 16. und 17. Jahrhunderts finden, die weder etwas mit den abgedruckten Quellen noch mit den Jahren 1635-1648 zu tun haben. Dafür fehlen für diesen Zeitraum einige einschlägige Titel.

 

Der Zweck einer Einleitung zu einer solchen Sammlung besteht doch darin, die meist nur Aspekte spiegelnden Quellen in ihren historischen Zusammenhang einzuordnen und dadurch deren Verständnis zu fördern. Diesem Anspruch wird Josef J. Schmid nicht gerecht. Vielmehr entwirft er ein weltgeschichtliches Panorama des 16. und 17. Jahrhunderts und spart dabei selbst abseitige Ereignissen in Amerika nicht aus. Die Absicht dabei ist, die Borniertheit der bisherigen Forschung nachzuweisen und im Gegensatz dazu den weiten Horizont des Herausgebers zu unterstreichen. Dies geschieht meist dadurch, dass Popanze aufgebaut werden. Es werden Forschungskontroversen geführt, die längst ausgestanden sind und deren Unfruchtbarkeit sich erwiesen hat. So wird z. B. die überlebte Frage aufgewärmt, ob der Dreißigjährige Krieg ein Religions- oder ein Machtkrieg gewesen sei und der Forschung pauschal unterstellt, ihren begrenzten Blick fast nur auf den Religionskrieg gerichtet zu haben. Weiterhin entspricht das Ausmaß, in dem die Seeherrschaft für den Ausgang des Krieges verantwortlich gemacht wird, in keiner Weise der Forschungs- wie der Quellenlage, sondern schon eher einer persönlichen Obsession. Was bringt es drittens zu behaupten, dass dieser Krieg eigentlich kein dreißigjähriger gewesen sei, sondern nur ein Konflikt innerhalb einer großen kriegerischen Auseinandersetzung in Europa vom 15. bis zum 18. Jahrhundert? In der Forschung sind schon sehr gute Argumente dafür vorgebracht worden, die kriegerischen Ereignisse in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als einen Dreißigjährigen Krieg zu bezeichnen und darüber hinaus ist schon längst nachgewiesen worden, dass die Zeitgenossen unmittelbar nach dem Westfälischen Frieden diese Ereignisse selbst so bezeichnet haben. Natürlich spricht nichts dagegen, diesen Krieg in einen größeren Zusammenhang europäischer Konflikte zu stellen, doch was ist damit gewonnen? Genau so willkürlich kann er in die Reihe der europäischen Konflikte von der Völkerwanderung bis zum Zweiten Weltkrieg gestellt werden. Auch das ist apart und fördert scheinbar die eigene Profilierung, doch fördert das auch die Erkenntnis? In die gleiche Richtung geht es, wenn der Herausgeber den Kardinalinfanten Ferdinand von Spanien zu einem militärischen Genie hochstilisiert und den bereits 1641 Verstorbenen zum möglichen Retter Habsburgs in der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges machen will.

 

Der Hausgeber kapriziert sich in seiner Einleitung auf Thesen und Hypothesen und bleibt lieber im Allgemeinen, da er die konkreten Ereignisse dieses Abschnitts des Dreißigjährigen Krieges, um den es ihm eigentlich gehen sollte, nicht so genau kennt. Zu dieser Vermutung geben faktische Unsicherheiten Anlass. So sind im Jahre 1618 nicht „die königlich-böhmischen Ratsherren zu Prag unsanft aus dem Fenster des Hradschins befördert“ worden, sondern es wurden kaiserliche Statthalter aus dem Fenster der böhmischen Kanzlei, die auf dem Hradschin steht, geworfen. Christian IV. von Dänemark stammte nicht aus dem „Haus Oldenburg“, sondern aus der davon abgespalteten Linie Holstein-Gottorf. Bernhard von Weimar war kein Reichsfürst, sondern ein Condottiere, der auf eigene Faust und Rechnung kämpfte. Eine „Kriegserklärung des Reiches an Frankreich“ hat es nie gegeben, sondern nur eine solche des Kaisers. Straßburg und Mülhausen waren keine „habsburgischen Domänen und Rechte im Elsass“, sondern Reichsstädte und sind deswegen auch von Frankreich gar nicht erst während der westfälischen Friedensverhandlungen gefordert worden.

 

Die Quellensammlung setzt ein mit 2 Texten, die einen Überblick über die zweite Hälfte des Krieges geben sollen. Der Auszug aus Schillers Darstellung ist aus den angeführten Gründen dafür wenig geeignet und die Ulmer Chronik, verfasst von einem schlichten Gemüt, das seine Informationen aus zweiter Hand bezog, bietet nichts als Allgemeinplätze, also fast 60 Seiten vergebener Platz.

 

Die Perspektiven eines künftigen Friedens werden dokumentiert durch einige Choräle, Auszüge aus einem Tagebuch und einige Aufzeichnungen von führenden Politikern aus den Jahren 1635. Etwas merkwürdig berührt, dass der Verfasser durchgehend, wenn er Dokumente aus den „Documenta Bohemica‘“, einer Sammlung von Quellen aus tschechischen Archiven, verwendet, diese zunächst mit der Archivsignatur zitiert, obwohl er die Archivalien höchstwahrscheinlich nie selbst eingesehen hat. Warum er dies hier tut und warum nur bei dieser Sammlung, bleibt rätselhaft.

 

Die mit dem Titel des dritten Teils „Die große europäische Strategie“ geweckten Erwartungen, werden nicht eingelöst. Zwar finden sich dort auch einige Quellen zu längerfristigen militärischen Überlegungen, doch überwiegend zu Details und zur jeweils momentanen militärischen Lage. Da wohl auch noch die politische Strategie erfasst werden sollte, folgen ohne Sinn und Verstand ausgesuchte Dokumente zu den Westfälischen Friedensverhandlungen. Der Grund für dieses Sammelsurium? Der Herausgeber hat es sich zu einfach gemacht, indem er hier wie auch in einigen anderen Teilen fast nur die „Documenta Bohemica“ heranzieht, die großen wissenschaftlichen Unternehmungen aber wie „Die Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“ und die „Acta Pacis Westphalicae“ ignoriert. Dort hätte er die Dokumente gefunden, die man hier schmerzlich vermisst. So wird sehr oft Sekundäres und Nachrangiges gespiegelt und das Einschlägige fehlt.

 

Weniger gravierend macht sich dieser Nachteil in der 4. und 5. Abteilung über den Kriegsalltag und das Militärwesen bemerkbar. Doch auch hier bevorzugt der Herausgeber meistens ältere Quellensammlungen aus dem frühen 19. Jahrhundert und wenn möglich auch noch aus dem Zeitraum zuvor. Das letzte Fünftel des Bandes widmet sich der Kultur- und Alltagsgeschichte. Es ist ein Potpourri von Quellen durchaus sehr unterschiedlicher Art. Man findet hier Choräle, Ausführungen zum Wert der deutschen Sprache, Verordnungen der Obrigkeit gegen Trinken und Fluchen, die üblichen Endzeitszenarien angesichts des nicht enden wollenden Krieges, Bußpredigten und Anweisungen zum Aufführen von Musikstücken und Balletten. Mehr als einmal taucht die Frage auf, was man damit eigentlich anfangen soll und was damit bezweckt wird.

 

Eine Quellensammlung also, die den Eindruck macht, recht lustlos zusammengeschustert worden zu sein. Der Herausgeber war sich zu keinem Zeitpunkt darüber im Klaren, was er mit den abgedruckten Texten, die recht knapp kommentiert sind, eigentlich will. Durch die weitgehende Ignorierung vom dem, was die Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg an Quellen zum Zeitraum zusammengetragen hat, wird das Wesentliche verfehlt.

 

Eichstätt                                                          Karsten Ruppert