Preibusch, Sophie Charlotte, Verfassungsentwicklungen im Reichsland Elsass-Lothringen 1871-1918. Integration durch Verfassungsrecht (= Berliner juristische Universitätsschriften, Grundlagen des Rechts 38). BWV, Berlin 2006. 624 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

 

Die Arbeit ist die von Bernhard Schlink betreute, durch ein Stipendium der Dr. Meyer-Stuckmann-Stiftung ermöglichte, im November 2004 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin angenommene Dissertation der 1975 geborenen, seit 2005 in Bremen als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätigen Verfasserin. Sie fragt nach der Möglichkeit der Integration der 1871 eroberten und gegen den Willen der Bevölkerung annektierten, ursprünglich deutschen Gebiete. Dazu gliedert sie im Wesentlichen chronologisch.

 

Der erste Teil will die Verfassungsentwicklung von 1870 bis 1911 verfolgen. Dazu zeichnet er die Wege zum Krieg, die Ziele des Krieges, die Besetzung, den Abschluss eines Friedensvertrags und die Entstehung des Reichslandes nach. Er endet bei der Formierung des Reichslandes und seiner Einrichtungen durch das Gesetz vom 2. Mai 1877.

 

Im zweiten Teil betrachtet die Verfasserin den Aufbruch in eine neue Zeit. Er ist durch die Statthalterverfassung gekennzeichnet und beginnt 1879. Kern ist die Selbstverwaltung, die freilich stark eingeschränkt ist.

 

Erst ziemlich spät wird diese Verfassung reformiert. Dadurch erhält das Reichsland eine den Bundesstaaten des Deutschen Reiches weitgehend angenäherte Verfassung. Sie wird allerdings mit Ausbruch des ersten Weltkriegs im Wesentlichen tatsächlich außer Kraft gesetzt.

 

Erst oder noch im Oktober 1918 wird Elsass-Lothringen volle Souveränität gewährt. Dies kann freilich nicht mehr verhindern, dass das Land 1918 einem Weltkriegsverlierer erleichtert den Rücken kehrte. Die in diesem Zusammenhang gehegte Hoffnung auf einen eigenen souveränen neutralen Staat zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich erfüllte sich jedoch nicht.

 

Auf die Frage, ob die Integration Elsass-Lothringens in das Deutsche Reich gelungen oder gescheitert ist, hält die Verfasserin eine eindeutige Antwort am Ende nicht für möglich. Sie vertritt aber die Ansicht, dass die Integration trotz mancher Rückschläge ein Erfolg geworden wäre, wenn bereits 1911 die volle Souveränität zugestanden und damit die Verfassung verbessert worden wäre. Dementsprechend stellt sie zum Schluss ihres umfangreichen, der Verfassung sehr hohen Rang einräumenden, durch ein 60 Stichwörter von Arbeiter- und Soldatenrat bis Zorn von Bulach umfassendes Verzeichnis abgerundeten Werkes fest, dass das Resultat, dass die Elsässer, von denen bis 1. 10. 1872 160878 für die französische Staatsbürgerschaft optiert hatten, mit dem Deutschen Reich bis 1914 noch nicht definitiv verschmolzen waren, seinen Grund vor allem am mangelnden Vertrauen der Reichsleitung in das Land und an der zu lange fehlenden verfassungsrechtlichen Gleichstellung hatte.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler