Meier-Braun, Karl-Heinz/Weber, Reinhold, Kleine Geschichte der Ein- und Auswanderung in Baden-Württemberg (= Regionalgeschichte - fundiert und kompakt). Braun/DRW-Verlag Weinbrenner GmbH & Co. KG, Karlsruhe/Leinfelden-Echterdingen 2009. 190 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wie alles, vor allem alles Irdische, ist auch der Mensch in die Zeit und damit in Entstehen und Vergehen eingebunden. Von seinen afrikanischen Anfängen bis zu seiner dominierenden Gegenwart ist er geschichtlich. Selbst Völker wachsen und schwinden, ohne dass sich Ursachen stets deutlich ermitteln lassen.

 

Aus dem baden-württembergischen Blickwinkel haben die beiden Verfasser, die als Leiter der Fachredaktion SWR International bei dem Südwestfunk in Stuttgart (und Integrationsbeauftragter des Senders) bzw. als Zeithistoriker bei der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg tätig sind, eine Lücke in der landeskundlichen Literatur entdeckt. Die deutsche Wirklichkeit als Einwanderungsland wird zu Unrecht geleugnet. Deswegen versuchen sie eine historische Einbindung der Gegenwart in die Entwicklung unter dem Gesichtspunkt, dass Baden-Württemberg schon immer ein Schmelztiegel war und dass Migration und Integration zusammengehören.

 

Dabei greifen sie mit wenigen Worten auf neolithische Ackerbaukulturen, Kelten, Römer und Alemannen zurück. Vertieft gehen sie auf neuzeitliche Glaubensflüchtlinge, Wanderarbeiter und Pomeranzenhändler ein. Eigenen Raum gewähren sie der jüdisch-christlichen Koexistenz.

 

Danach betrachten sie die Auswanderung der Banater Schwaben und Donauschwaben in den Osten sowie zahlreicher Bauernkinder in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten im Westen im 18. und 19. Jahrhundert. Schon bald braucht das industrialisierte Deutschland aber Arbeitskräfte, obwohl die Zuwanderung zwischen 1918 und 1933 wenig Vorteile und viele Nachteile in sich zu bergen schien. Den Zwangsarbeitern während des ersten Weltkriegs und den Fremdarbeitern in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft folgen Heimatvertriebene, Flüchtlinge und bald Gastarbeiter aus der Türkei, dem früheren Jugoslawien, Griechenland, Spanien, Portugal, Marokko, Tunesien und vielen fernen Ländern.

 

Überschattet wird alles von der durch den medizinischen Fortschritt ermöglichten, in zahlreichen individuellen Entscheidungen der Badener und Württemberger bejahten Bevölkerungsentwicklung. Mangels ausreichenden Nachwuchses braucht Baden-Württemberg Einwanderer, obwohl die Integration nur teilweise gelungen ist. Deswegen sollte nach Ansicht der Verfasser der rote Teppich ausgerollt werden, um die besten Köpfe der Welt nach Deutschland, wohin fast keiner (von diesen) kommt, zu locken, da doch der Fachkräftemangel jährlich bis zu 22 Milliarden Euro kostet.

 

Insgesamt machen die Verfasser unter geschichtlichen Bezügen auf wichtige Fragen der Gegenwart aufmerksam. Eine befriedigende Lösung steht nicht in Sicht. Wo die Zivilisation unter den Bannern von Kapital und Genuss die Natur überlistet, muss sie sich auch mit den dadurch hervorgerufenen schmerzhaften Folgen auseinandersetzen und sich damit abfinden, dass bereits jetzt 45 Prozent der Spieler des VfB Stuttgart Ausländer sind und 10 Prozent Deutsche mit Migrationshintergrund, so dass vermutlich auch Baden-Württemberg, selbst wenn es seinen Namen noch behalten sollte, in absehbarer Zukunft nicht mehr sein wird, was es war.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler