Lorentzen, Tim, Johannes Bugenhagen als Reformator der öffentlichen Fürsorge (= Spätmittelalter, Humanismus Reformation 44). Tübingen 2008, XII, 536 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Harry Oelke von Anfang an emphatisch geförderte, im Sommersemester 2007 von der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München angenommene Dissertation  des 1973 geborenen und nach dem Studium der Theologie und Germanistik mit Philosophie und Pädagogik in Kiel und Greifswald als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung für Kirchengeschichte der evangelisch-theologischen Fakultät in München tätigen Verfassers. Sie steht unter dem Martin Luthers letzten Zettel entnommenen Motto: Wir sind Bettler: hoc est verum. Dass einige seiner früheren Kommilitonen die Emigration wählten, um dort ihrem Pfarrberuf nachgehen zu können, weil es für sie, wie für Millionen anderer Menschen, kaum Aussicht auf einen guten Arbeitsplatz in Deutschland gab und die Gefahr plötzlicher Erwerbslosigkeit und sozialen Abstiegs drohte, durchdrang wie die heftigen Debatten über prekäre Lagen in den Unterschichten und die anhaltende Suche nach Auswegen aus der neuen Armut seine Studien in Dankbarkeit für die Arbeitsbedingungen eines Münchener Universitätsassistenten.

 

Über die Jugend der auf dieser gegenwärtigen Grundlage ins Auge gefassten, am 24. 6. 1485 geborenen Persönlichkeit ist nur wenig bekannt. Am 24. 1. 1502 immatrikulierte sich der Sohn eines Ratsherren aus Wollin an der Universität Greifswald zum Studium der freien Künste. Im Sommer 1504 verließ er die Universität ohne akademischen Abschluss, wurde wenig später Lehrer an der Stadtschule von Treptow an der Rega, lehrte Latein und legte ohne theologisches Studium die Bibel aus. 1509 wurde er Priester und Vikar an der Marienkirche in Treptow, 1517 Lektor im Kloster Belbuck.

 

Nach der Abfassung der ersten zusammenhängenden Darstellung der Geschichte Pommerns im Auftrag Herzog Bogislaws X. nach einer sächsischen Anregung wurde er auf die Schriften Martin Luthers aufmerksam. Im März 1521 begab er sich nach Wittenberg, wo er sich am 29. 4. 1521 für Theologie immatrikulierte und in das Haus Philipp Melanchthons aufgenommen wurde. Seit dem 3. 11. 1921 hielt er Vorlesungen, um den 25. 10. 1523 wurde er auf Luthers Empfehlung Stadtpfarrer der Stadtkirche Wittenbergs.

 

Der Verfasser gliedert seine Untersuchung in eine Einführung und zwei Teile mit insgesamt sieben Abschnitten. Im Rahmen der historischen Grundlegung nähert er sich dem evangelischen Christentum und der öffentlichen Fürsorge in der Reformationszeit an. Im Rahmen der Quellenkunde stellt er die drei Stadtordnungen Braunschweigs, Hamburgs und Lübecks (1528-1531), die Landeskirchenordnung Pommerns (1535), ein Universalmodell für Reich, Land und Stadt (1537-1543) und die Tätigkeit Martin Bucers in Ulm, Straßburg und Augsburg in den von weiteren Quellen zur öffentlichen Fürsorge im 16. Jahrhundert gesäumten Mittelpunkt.

 

Der erste Teil befasst sich mit der theologischen Fürsorgemotivation vor und nach der Reformation. Dabei stellt der Verfasser der Blüte der Jenseitsfürsorge die Krise der Armenfürsorge bei freiwilliger wie unfreiwilliger Arbeitslosigkeit um 1500 gegenüber. Nach Erörterung der theologischen Probleme der Fürsorgemotivation zieht er eine einleuchtende Zwischenbilanz.

 

Der zweite Teil betrifft die Organisation und die diakonischen Leistungen von Bugenhagens Fürsorgemodell. Besondere Bedeutung kommt dabei der Aufstellung von gemeinen Kästen zu. Zweite wesentliche Säule ist der Dienst an Kranken, Straftätern und anderen Sündern, jungen Müttern, Schülern und Studenten sowie die Fürsorge an den Altgläubigen.

 

Am Ende seiner auf breiter literarischer Grundlage ruhenden, durch Abbildungen veranschaulichten und durch ein Bibelstellenregister, ein Personenregister und ein Ortsregister erschlossenen Arbeit ermittelt der Verfasser den Ertrag seiner vielfältigen Untersuchungen. Kern des diakonischen Fürsorgemodells ist die christliche Liebe. Die auf dieser Grundlage von Bugenhagen geschaffenen Bestimmungen erweisen sich in der Lebenswirklichkeit als so brauchbar, dass Bugenhagen sich bleibende Verdienste in der Verbesserung der öffentlichen Fürsorge errungen hat, auch wenn zu den Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Gegenwart noch ein weiter Weg bleibt.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler