Lieven, Jens, Adel, Herrschaft und Memoria. Studien zur Erinnerungskultur der Grafen von Kleve und Geldern im Hochmittelalter (1020 bis 1250) (= Heresbach-Stiftung Kalkar 15). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2008. 237 S., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Dieter Geuenich betreute, im Wintersemester 2005/2006 unter dem Titel Memoria und adliges Selbstverständnis im Text territorialer Konsolidierung vorgelegte Dissertation des Verfassers. Er leitet mit der Sentenz magna est vis memoriae knapp in den Gegenstand ein. Intensivierung und territoriale Verdichtung der Herrschaft bilden angesichts der Allianz zwischen Herrschaft und Gedächtnis den komplementären Rahmen für das zentrale Anliegen, Memoria zunächst als ein soziales Konstrukt, welches durch Kommunikation und Interaktion im Rahmen sozialer Gruppen erzeugt wird, am Beispiel der Grafen von Kleve und Geldern näher zu beleuchten und dieses Konstrukt als ein vom herrschaftlichen Verdichtungsprozess des 11. bis 13. Jahrhunderts nicht zu trennendes Phänomen zu verstehen, was bisher in der rheinischen Landesgeschichte unterblieben war.

 

Die Untersuchung gliedert der Verfasser in fünf Abschnitte. Er beginnt mit den Vorfahren der Grafen von Kleve und Geldern (Gerhard und Rutger aus dem Umkreis der lothringischen Pfalzgrafen) in Historiographie und urkundlicher Überlieferung des 11. Jahrhunderts. Dabei stellt er die Lebensbeschreibung des Priesters Ailbert (Annales Rodenses, bald nach 1152/1153) den Urkunden voran.

 

Danach betrachtet er die Stammburgen Kleve und Geldern im Lichte der Archäologie. Er ermittelt die ersten Ansätze zum Aufbau gebietsbezogener Adelsherrschaft um 1100. Mittels der Stifte Wassenberg (1118) und Wissel verbindet er die Adelsherrschaft mit dem liturgischen Totengedenken, mittels der Grablegen Kamp und Bedburg patrimonium und liturgische memoria im 12. Jahrhundert.

 

Während der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erfolgt die Herrschaftsintensivierung durch Stadtgründung (Kalkar, Emmerich) und Binnenkolonisation. Im ausgehenden 12. Jahrhundert setzen die Herkunftsmythen ein. In einem Exkurs integriert der Verfasser die Zisterzienserinnenklöster Roermond und Graefenthal.

 

Als gleichbleibende Erklärungsmuster sichert der Verfasser eine in der Zeit möglichst weit zurückreichende Vergangenheit und möglichst prominente Vorfahren, deren durch Vererbung vermitteltes Geblüt den Adel des Geschlechts bestimmt und seine Exponenten zur Herrschaft befähigt. Die soziale Selbstbehauptung in der Zeit der Salier und Staufer wird durch die Ausbildung adligen Selbstverständnisses gestützt. Quellen- und Literaturverzeichnis und vier genealogische Tafeln der Grafen von Geldern (Gerhard I. um 1033) und Kleve (Rutger I. 1029-1051) runden die ansprechende, auf dem Umschlag mit einer Abbildung des Doppelgrabmals Gerhards IV. von Geldern und Margarethas von Brabant in der Münsterkirche Roermond geschmückte Leistung ab.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler