Leupolt, Söhnke, Die rechtliche Aufarbeitung des DDR-Unrechts (= Juristische Schriftenreihe 222). Lit-Verlag, Münster 2003. 264 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die 2003 in Köln angenommene Dissertation des als Rechtsanwalt für Ausländerrecht, Hochschulrecht und Strafrecht tätigen Verfassers, der sich nach dem Untergang der Deutschen Demokratischen Republik die Frage stellt, wie Deutschland auf das staatliche Unrecht der Deutschen Demokratischen Republik reagieren kann und soll. Wegen der Bedeutung dieser Thematik konnte rasch ein sachkundiger Referent gewonnen werden. Da allerdings die Lieferung eines Rezensionsexemplars nicht gelang, muss der Herausgeber das Werk selbst in einigen Sätzen anzeigen.

 

Gegliedert ist die Arbeit nach einer kurzen, Untersuchungsgegenstand, Fragestellung, Radbruchsche Formel (ein Richter hat sich im Konflikt zwischen dem positiven [gesetzten] Recht und der Gerechtigkeit immer dann und nur dann gegen das Gesetz und für die materielle Gerechtigkeit zu entscheiden, wenn das fragliche Gesetz entweder als unerträglich ungerecht anzusehen ist oder die im Begriff des Rechts grundsätzlich angelegte Gleichheit aller Menschen aus Sicht des Interpreten bewusst verleugnet, 1946) und den Gang der Untersuchung vorstellenden Einleitung in drei Kapitel. Im ersten Kapitel sucht der Verfasser nach der Rechtswirklichkeit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Dabei betrachtet er das gesellschaftlich-politische System (Staat und Partei, Recht, Sozialismus) und Fallgruppen typischen Unrechts (Grenzregime, politische Justiz, Maßnahmen des Ministeriums für Staatsicherheit, Enteignung, Wirtschaftsunrecht, Staatsdoping und Wahlfälschung). Im zweiten Kapitel erörtert er die außerstrafrechtliche Aufarbeitung des DDR-Unrechts in Hinsicht auf die Personalpolitik, die Institutionen und die Rehabilitierung, die Aufarbeitung durch Strafrecht unter Berücksichtigung der menschenrechtsfreundlichen Auslegung des Bundesgerichtshofs und die Anwendung der Radbruchschen Formel in der Literatur seit 1990, wobei er zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Verurteilung für Grenztötungen nur aus der Sicht eines auf ethische Geltungsaspekte verzichtenden Rechtsverständnisses gegen Art. 103 II GG verstößt und die Entscheidung über die strafrechtliche Aufarbeitung der Vergangenheit nicht im rechtsdogmatischen, sondern im rechtstheoretischen und rechtsphilosophischen Bereich getroffen wird.

 

Das dritte Kapitel betrifft metajuristische Grundfragen der Aufarbeitung der Vergangenheit. Hier behandelt der Verfasser Grund, Methode und Subjekt sowie Objekt und Instrument. Danach geht er auf Aufarbeitungsversuche  in der deutschen Vergangenheit (1848 und 1878, 1918, 1933 und 1945) ein und vergleicht die Lagen nach 1945 und nach 1989 unter Hervorhebung der Unterschiede und der daraus zu ziehenden Folgerungen.

 

Dabei zeigt sich ihm insgesamt, dass der Aufarbeitung der Vergangenheit ein politisch-moralischer Impuls zu Grunde liegt. Dieser wird zwar bei den einzelnen Aufarbeitungsarten gesetzlich eingefasst, tritt aber verständlicherweise wieder hervor, wenn die Aufarbeitung an die gesetzlichen Grenzen stößt. Unter Rückgriff auf den politisch-moralischen Ausgangspunkt der Aufarbeitung und in eng umgrenzten Ausnahmefällen lassen sich diese Grenzen nach wohl erwogener Ansicht des Verfassers aber überwinden oder mit der Aufarbeitung in Einklang bringen, wodurch der Staat sich auch der Grundlagen des Gemeinwesens selbst vergewissert.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler