Langensteiner, Matthias, Für Land und Luthertum. Die Politik Herzog Christophs von Württemberg (1550-1568) (= Stuttgarter Historische Forschungen 7). Böhlau, Köln 2008. IX, 479 S. Besprochen von Dietmar Heil.

 

Die Erforschung des Alten Reiches im Konfessionellen Zeitalter machte in den letzten dreißig Jahren beträchtliche Fortschritte. Über den Aspekt der Religion hinaus wurde dieser eigentümliche „Staat“ mit seinen Institutionen und Mechanismen untersucht. Eher vernachlässigt wurde indessen die ständische Reichspolitik als Gelenk zwischen Territorium und Reich. Moderne Monographien zu maßgeblichen Figuren wie Kurfürst August von Sachsen oder Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz sind immer noch ein Forschungsdesiderat. Matthias Langensteiner hat mit seiner Untersuchung über die Politik Herzog Christophs von Württemberg (1550-1568) in diesem Sinne eine wichtige Lücke geschlossen.

 

Methodische Grundlage der Arbeit ist der parallel von Rudolf Vierhaus und Albrecht Luttenberger entwickelte Ansatz von Handlungsspielraum und Handlungsraum als Erklärungsmuster für politisches Handeln. Der epistemologische Anspruch an dieses Interpretationskonzept lautet, „alle handlungsregulierenden Elemente (zu) berücksichtigen, die ideell, mental oder personal bestimmt sind“, gleichzeitig jedoch für die „Beschreibung struktureller Gegebenheiten“ offen zu sein (S. 7). Im Zentrum der Untersuchung steht deshalb die „Konstruktion und Konsistenz des Handlungsraums württembergischer Politik unter Herzog Christoph“ (S. 10). Angesichts der Komplexität politischer Handlungsräume ergibt sich in der wissenschaftlichen Praxis allerdings die Notwendigkeit der Beschränkung auf diejenigen Aspekte mit der größten Relevanz. Der Autor fokussiert seine Analysen unter dieser Prämisse völlig plausibel auf a) die Doppelorientierung Württembergs als Reichsstand und Mitglied einer Konfessionspartei, b) die Wechselwirkung von konfessioneller Festigung des eigenen Territoriums und die Auseinandersetzung mit theologisch dissentierenden protestantischen Ständen, c) die dynastische Heiratspolitik, d) das Verhältnis zu den katholischen Reichsständen und e) das Verhältnis Herzog Christophs zu den Reichsoberhäuptern, insbesondere zu Maximilian II. Die wünschenswerte Berücksichtigung der seit dem Ausbruch der Religionskriege 1562 immer wichtiger werdenden Beziehungen zwischen Württemberg und Frankreich hätte allerdings den Rahmen der Arbeit gesprengt. Diesbezüglich ist auf die ungedruckt gebliebene Passauer Dissertation Nicole Handschuhers (Das Reich in Europa. Die Außenbeziehungen von Kaiser und Reichsständen 1565-1570, 2001) zu verweisen.

 

Auf dieser methodischen Grundlage untersucht die in fünf Hauptabschnitte gegliederte Arbeit (1.) die Befreiung des Herzogs von den aus dem politischen Vermächtnis seines Vaters Ulrich resultierenden Handlungszwängen und den damit einhergehenden Stabilisierungsprozess in politischer, konfessioneller und finanzieller Hinsicht (1550-1553). Die Abwehr des von König Ferdinand I. angestrengten Felonieprozesses und eine erste Entlastung der maroden landesherrlichen Finanzen durch die Landstände bildeten die entscheidenden Voraussetzungen für (2.) eine eigenständige Reichs- und Konfessionspolitik Christophs ab 1553. Als wichtigste Handlungsfelder in dieser Phase der Ablösung vom – nicht mehr länger in der Auseinandersetzung mit König Ferdinand benötigten – Kaiser fungierten der Heidelberger Bund und vor allem der Schwäbische Reichskreis. Allerdings gelang (noch) nicht deren Instrumentalisierung für die württembergische Politik. Eine entscheidende Zäsur für Herzog Christoph bezeichnete die Augsburger Ordnung von 1555, die seinen Handlungsraum durch die rechtliche Sicherstellung des lutherischen Bekenntnisses und das ständisch-libertäre Prinzip der Exekutionsordnung grundlegend modifizierte. Nun war die Schwelle überschritten, die ihn noch „von einer zielgerichteten Realisierung seiner persönlichen Leitmotive“ trennte (S. 227). (3.) Herzog Christophs Politik im Spannungsfeld von Reich und Konfession (1556-1565) zielte auf die Überwindung der innerprotestantischen theologischen Streitigkeiten und auf die Abgrenzung vom katholischen Lager. Langensteiner beschreibt die konfessionelle Aufladung der württembergischen Politik gerade auch infolge des größeren Gewichts der persönlichen Disposition Christophs als zentraler Entscheidungsgrundlage. Reichspolitisch auf dem Höhepunkt seines Einflusses, scheiterte seine teilweise illusionäre Züge aufweisende innerprotestantische Sammlungspolitik – aus heutiger Sicht irrationale Elemente kamen im übrigen zeittypisch bei diesem Fürsten auf allen politischen Ebenen und Feldern wiederholt zur Geltung. Von 1561 an changierte die württembergische Politik angesichts einer vermeintlich wachsenden Bedrohung durch die katholische Seite zwischen politischer Kooperation auch mit dissentierenden protestantischen Ständen und deren Ausgrenzung, die Herzog Christoph aufgrund seiner persönlichen Glaubensüberzeugung unumgänglich schien. Diese in sich inkongruente Position betraf zuerst die sächsischen Flacianer und dann – als (4.) Höhepunkt und Scheitern der württembergischen Religionspolitik – die Auseinandersetzung mit dem reformierten Bekenntnis in der Kurpfalz. Auf dem Augsburger Reichstag von 1566 erwies sich die württembergische Position als nicht mehrheitsfähig. Der Autor folgt hier dem Urteil der älteren Forschung, den Reichstag als klare Niederlage Herzog Christophs zu bewerten. Die gewünschte Abgrenzung von Kurfürst Friedrich III. habe nicht stattgefunden, die Position Württembergs im protestantischen Lager und gegenüber Kaiser Maximilian II. habe eine deutliche Schwächung erfahren (S. 411). Konsequent beschreibt Langensteiner (5.) die beiden Schlussjahre der Regierung eines zunehmend von seinem schlechten Gesundheitszustand beeinträchtigten Herzogs als von Stagnation und Resignation geprägtes Bemühen um Bewahrung des Erreichten. Dessen ungeachtet spricht die Tatsache, dass sein Sohn Ludwig 1568 ein konfessionell weitgehend konsolidiertes, finanziell stabilisiertes und politisch einflussreiches Territorium übernehmen konnte (S. 437), während Christoph selbst 1550 ein finanziell ruiniertes, konfessionell zerrissenes und politisch weitgehend bedeutungsloses Herzogtum bekommen hatte (S. 227), für dessen Regierungsleistung.

 

Der Autor verfuhr bei der Auswertung der Quellen und der Forschungsliteratur sehr sorgfältig, seine Urteile sind ausgewogen. Lediglich bezüglich des Scheiterns der württembergischen Konfessionspolitik auf dem Augsburger Reichstag von 1566 vermag der Rezensent seiner Schlussfolgerung nicht zuzustimmen. Wie Langensteiner selbst herausstellt, beabsichtigte Herzog Christoph zwar die Abgrenzung von Kurpfalz, nicht aber den Ausschluss Kurfürst Friedrichs aus der für das eigene politische Überleben als unverzichtbar erachteten Gemeinschaft der Confessio Augustana-Stände und daraus resultierend aus dem Augsburger Religionsfrieden. Genau dies wurde aber auf dem Augsburger Reichstag erreicht: In einer an Kurfürst Friedrich gerichteten, von Württemberg und Pfalz-Zweibrücken erstellten Resolution wurden noch einmal die Differenzen betont (Deutsche Reichstagsakten – Reichsversammlungen 1556-1662. Der Reichstag zu Augsburg 1566, bearb. v. M. Lanzinner/D. Heil, Nr. 307, 2002). Die protestantischen Stände als Ganzes räumten gegenüber Kaiser Maximilian II. – gegen das ausdrückliche Votum Kursachsens im Rat der CA-Stände! – den theologischen Dissens mit der Kurpfalz in der Abendmahlsfrage ein, lehnten aber deren Ausschluss aus dem Religionsfrieden ab (ebd., Nr. 319, S. 1337). Nach Ansicht des Rezensenten hat sich in Augsburg damit eigentlich die württembergische Position gegenüber der konniventeren kursächsischen Haltung und den radikaleren Pfalz-Zweibrückener Absichten durchgesetzt (vgl. dazu M. Lanzinner/D. Heil, Der Augsburger Reichstag 1566. Ergebnisse einer Edition, in: HZ 274 (2002), S. 603-632).

 

Abgesehen von solchen möglichen, natürlich nicht zwingenden Einwänden hat die gut lesbare Arbeit von Matthias Langensteiner ihren methodischen Ansatz überzeugend umgesetzt und diesen als tragfähig und fruchtbar erwiesen. Insgesamt gelang es, das bestehende Bild Herzog Christophs von Württemberg erheblich genauer zu zeichnen, die Urteile über diesen Fürsten auf eine breitere Basis zu stellen bzw. in etlichen Punkten auch zu revidieren. Aufschlussreich für die Erforschung der Reichsgeschichte ist vor allem die Analyse der konfessionellen Aufladung einer nach ihrem Selbstverständnis ganz auf dem Boden des Augsburger Religionsfriedens stehenden und aktiv für dessen Bewahrung einstehenden Politik, die letztlich dessen Unterminierung zur Folge haben musste.

 

Regensburg                                                                 Dietmar Heil