Kapossy, Béla, Iselin contra Rousseau. Sociable Patriotism and the History of Mankind (= Schwabe Philosophica 9). Schwabe, Basel 2006. 348 S. Besprochen von Marcel Senn.

 

Diese in englischer Sprache bei Istvan Hont an der Universität of Cambridge verfasste PhD-These stellt eine ebenso interessante wie fundierte Untersuchung zur Funktion des Patriotismus auf der Grundlage von Aufklärung und Philanthropie dar. Ihr Gegenstand bilden Republikanismus und Ordre Social mit Schwerpunkt auf den helvetischen Verhältnissen des späten 18. Jahrhunderts.

 

Im Zentrum stehen dabei Werk und Person des Baseler Geschichtsphilosophen und Juristen Isaak Iselin (1728-1782), der mit seinen Werken Geschichte der Menschheit (1764) und Träume eines Menschenfreundes (1776) seine Zeitgenossen nachhaltig beeinflusst hat, obwohl die postrevolutionäre Historiographie seine Spuren verwischte. Iselins Werke entstanden unter anderem in Auseinandersetzung mit dem Discours (1755) und dem Contrat Social (1762) Jean-Jacques Rousseaus In diesem Kontext stellt sich daher zentral die Frage, weshalb das Werk des seinerzeit hochgeschätzten Iselin im Verhältnis zu demjenigen Rousseaus in Vergessenheit geraten konnte. Die Antwort darauf lässt auch eine Klärung von dessen historischer Bedeutung für die Zeitgenossen erwarten.

 

Kapossy, der an der Universität Lausanne Geschichte lehrt, geht zunächst von den allgemeinen Gesichtspunkten der aufgeklärten Naturrechtsdiskussion aus. Diese Diskussion spielt sich vor dem Hintergrund der damals weitgehend als normal angesehenen patriarchalisch strukturierten Gesellschaft ab, der auch Iselin verpflichtet war (85-101). Nach Ansicht des Autors vollzieht sich die damalige Diskussion aber weniger im Sinne eines idealistischen Politikdiskurses, wie dies meist so dargestellt wird, sondern faktisch als realpolitische Auseinandersetzung mit Bezug zur praktischen Ökonomie, die als das Fundament der zeitgenössischen Gesellschaft angesehen wurde. Vor diesem Hintergrund erfolgten damals die Erörterungen der politischen Innovationsvorschläge. Dabei standen Einflüsse aus der schottischen und englischen Gesellschaftsphilosophie in den schweizerischen Verhältnissen weitaus stärker im Vordergrund, als bisher angenommen wurde, wogegen Rousseaus Ideenwelt gerade als Gegenbild dazu fungierte (196-206). Erst die Revolutionshistoriographie des frühen Liberalismus beeinflusste die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts in die andere Richtung und stellte dabei die französischen ideengeschichtlichen Einflüsse überproportional dar; entsprechend zeichnete sie auch das Bild Rousseaus als eines Protagonisten der französischen Revolution, was letztlich zu einer verzerrten Betrachtung führte.

 

Die Debatte um die richtige Gesellschaftstheorie verlief im 18. Jahrhundert in erster Linie in Bezug auf die Frage, wie der Staat die Ökonomie im Sinn der allgemeinen Wohlfahrt zu gestalten habe (103-171). Sie richtete sich kritisch gegen die moderne Gesellschaftstheorie mit ihrem kapitalistischen Ansatz, wonach die Entwicklung zur modernen Zivilgesellschaft mit der massiven Entwicklung von Luxusgütern und einem entsprechenden Konsumverhalten zusammenhänge. Diesen Ansatz vertraten nach zeitgenössischer Lesart aber Autoren wie Hobbes, Mandeville oder eben Rousseau, die im Staatsräsondenken nach Machiavelli gesehen wurden (24-31) und somit Ideen vertraten, die mit dem zum Teil religiös geprägten Selbstverständnis kollidierten (21-75).

 

Der Autor veranschaulicht diese Debatte, wie sie innerhalb der in den helvetischen Kreisen der Westschweiz vorherrschenden Berner Aristokratie geführt wurde (105-145). Die Diskussion erfolgte vor dem Hintergrund der Berner Bankenkrise, die der Autor allerdings nur marginal einbezieht (128ff.), die jedoch zahlreiche Berner in arge Armut trieb.[1] Vor diesem Hintergrund enfaltete sich die Diskussion um die Form des richtigen Patriotismus republikanischer oder aristokratischer Provenienz (129-161). Diese Diskussion war gegenüber den politischen Ideen eines Montesquieu grundsätzlich ebenso kritisch, wie sie gegenüber der Ideenwelt eines Hobbes bis Rousseau sogar sich ablehnend verhielt. In diesem Umfeld entwickelte Iselin in der Folge seine Ansichten zu einer patriotischen Ökonomie.

 

Der Autor betont zu Recht, dass die Historiographie zur helvetischen Aufklärung vermehrt unter dem Einfluss der englischen und schottischen Lehre, insbesondere auch mit deren spezifischen Sicht auf die Lehre zur Ökonomie zu sehen wäre. Freilich müsste dann auch die Diskussion um Adam Smith’s Ökonomietheorie, die der Autor vor allem in Auseinandersetzung mit Rousseau thematisiert (224-228), ins richtige Licht gestellt werden, da Smiths Volkswirtschaftlehre die Grundlage für die damalige nationale Wohlfahrtstheorie darstellt. Was hier grundsätzlich und allgemein gilt, müsste freilich auch für die Rechtsgeschichte im Besonderen in Betracht gezogen werden, ist diese doch die Reflexionsebene des Verhältnisses von Recht und Gesellschaft und als solche in der angesprochenen Periode des 18. Jahrhunderts stets auch ein Teil des damals grundlegenden aristotelischen und statistisch-historischen Rechtsdenkens gewesen. Diesen Bezug allerdings kann man beim Autor kaum sehen, zumal er sich mit der rechtsgeschichtlichen Literatur sozusagen nicht auseinandergesetzt hat. Dennoch gibt diese gelungene und gut lesbare Abhandlung einen konkreten Einblick in die damaligen rechtstheoretischen Diskussionsgrundlagen und vermag daher das Bild zum späten 18. Jahrhundert auch in der Rechtsgeschichte ein Stück weit zu retouchieren.

 

Zürich                                                                                                Marcel Senn



[1] Vgl. dazu: Nikolaus Linder, Die Berner Bankenkrisen von 1720 und das Recht - eine Studie zur Rechts-, Banken- und Finanzgeschichte der Alten Schweiz, Schulthess Verlag, Zürich, 2004.