Jahnel, Markus J., Das Bodenrecht in „Neudeutschland über See“ - Erwerb, Vergabe und Nutzung von Land in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika1884-1919 (= Rechtshistorische Reihe 386). Lang, Frankfurt am Main 2009. 583 S., 27 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die Drucklegung einer im März 2006 inhaltlich abgeschlossenen und 2007 an der Universität Regensburg approbierten rechtswissenschaftlichen Dissertation, die einen umfassenden Einblick in das Grundstücksrecht der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, des heutigen Namibia, gibt.

 

Mit dem 100-Jahr-Jubiläum des Aufstandes der Herero von 1904/05 und seiner Unterdrückung durch die von ihrem umstrittenen Kommandeur, dem Generalleutnant Lothar von Trotha, befehligte Schutztruppe, die zwischen 60 und 80 Prozent der Volksgruppe auslöschen sollte, ein Vorgang, dem  das Odium des Völkermordes  anhaftet, sind die koloniale Vergangenheit Deutschlands und ihr Erbe wieder verstärkt in das Interesse der Öffentlichkeit geraten.

 

Markus J. Jahnel zeigt in seiner Doktorarbeit, in welcher Weise und in welchem Umfang gerade auch die Ausgestaltung des Bodenrechts für vergangene und aktuelle Konflikte verantwortlich zeichnet. Der Autor führt vier Grundpfeiler des deutschen Kolonialrechts an (S. 96ff.): Unterschiedliche Verhältnisse in den Kolonien erforderten die Schaffung eines Kolonialföderalismus, der die Schutzgebiete als Gebietskörperschaften einer eigenverantwortlichen Verwaltung zuführte. Die übergeordnete Kolonialregierung in Berlin hatte sowohl die Homogenität der Rechtsordnungen dieser Gebiete untereinander als auch jene mit dem deutsch-preußischen Recht zu gewährleisten. Der Bedarf an einer flexiblen, rasch korrigierbaren Rechtssetzung führte zur weitgehenden Ausformung des Kolonialrechts als Exekutivrecht, das sich – auf der Basis der sogenannten Schutzgebietsgesetze (SchGG) von 1886 und 1900 als „Kolonialverfassung“ – weitgehend auf Verordnungen stützte. Schließlich war die Kolonialrechtsordnung als duales System konzipiert, das die Rechtssubjekte je nach ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Nichteingeborenen oder der Eingeborenen differenzierte, mit dem Ziel, Ungleichbehandlung zu legitimieren und die Vorherrschaft der Kolonisatoren langfristig abzusichern.

 

Da Deutsch-Südwestafrika von Anfang an als Siedlungskolonie konzipiert war, ergab sich das Bedürfnis nach einem Immatrikulationssystem zur Ordnung der Übertragung und Belastung des Grundbesitzes. Die langsamen Fortschritte bei der Vermessung des Landes führten zur Unterscheidung zwischen ungebuchten, registrierten und gebuchten Grundstücken, die im Rechtsverkehr jeweils unterschiedlich behandelt wurden.

 

Besondere Bedeutung kam der Bereitstellung von Land als Anreiz für Siedlungswillige zu. Das Konzept, die Entwicklung der Kolonie über die an bestimmte Auflagen gebundene Konzessionsvergabe an Kolonialunternehmen voranzutreiben, erwies sich wegen der egoistischen, weitgehend nur am eigenen kommerziellen Erfolg interessierten Geschäftspolitik dieser Gesellschaften als nicht zielführend, sodass eine Reform und eine Neuverhandlung der Konzessionen unumgänglich waren. Das Land, über das die Schutzgebietsverwaltung verfügte, sogenanntes Kronland, wurde zu einem geringen Teil käuflich oder durch Schenkung erworben, mit Masse jedoch nach den Eingeborenenaufständen eingezogen und als herrenloses Land im privatrechtlichen Sinn fiskalisch okkupiert. Um unerwünschte Erscheinungen - wie etwa Bodenspekulation – hintanzuhalten, wurde die Vergabe des Kronlandes an zahlreiche bodenpolitisch motivierte Pflichten - wie eine Bebauungs- und Bewirtschaftungspflicht, eine Wohnsitzverpflichtung, ein Weiterveräußerungsverbot und eine Begrenzung des Zukaufsrechts - gebunden und mit dem Grundstück als dinglicher Sicherung verknüpft. Für interessierte Landwerber kamen zunächst der Kauf, später auch die Pacht oder die Erlangung im Weg eines Erbbaurechts in Frage; die wirtschaftliche Unterstützung der Siedler wurde vor allem über ein funktionierendes Realkreditwesen sichergestellt.

 

1915 kapitulierte die Schutztruppe, Deutsch-Südwestafrika wurde in weiterer Folge der Verwaltung der Südafrikanischen Union unterstellt; 1990 erlangte das Land schließlich seine Unabhängigkeit. Als Erbe der Kolonialzeit befanden sich zu diesem Zeitpunkt in Namibia 80 Prozent des hochwertigen Farmlandes im Eigentum von Weißen, ein Status, dem auf der anderen Seite eine zügig wachsende Verarmung der Afrikaner gegenüberstand. Als vordringliche Aufgabe des neuen Staates sieht der Autor demnach eine umfassende Bodenreform, ins Werk gesetzt durch eine zukunftsorientierte Redistribution des Landes unter Vermeidung illegaler Besetzungen und Enteignungen anstatt einer rechtlich problematischen, von Partikularinteressen geprägten Aufarbeitung durch Restitution.

 

Markus J. Jahnel hat seine rechtshistorische Studie auf einer breiten Materialbasis erstellt. Er bemüht sich mit Erfolg, unter Einarbeitung der relevanten Sekundärliteratur die Effizienz der zeitgenössischen Rechtsnormen am durch umfangreiches Aktenmaterial dokumentierten Handeln der Kolonialbehörden zu messen; der Eingeborenenrechtspflege widmet er zusätzlich einen eigenen Abschnitt. Das Ergebnis ist ein Werk, das nicht nur das koloniale Bodenrecht in Deutsch-Südwestafrika systematisch aufarbeitet, sondern darüber hinaus grundlegende Einsichten in Wesen und Charakter der deutschen Kolonialpolitik vermittelt.

 

Im dreigeteilten Anhang des Buches finden sich zum einen informative Zeittafeln zur Chronologie der kolonialen Führungshierarchie, danach drei durch den Schwarzweißdruck leider ziemlich unübersichtliche Karten zur Landverteilung und verschiedene offizielle Statistiken zu Verkauf und Verpachtung von Farmgrundstücken, nach Jahren erfasst und mit Angabe der geographischen Lage (Bezirk/Distrikt), der Anzahl und der Größe in Hektar. Am umfangreichsten und am informativsten präsentiert sich der „Formulare und Gesetzestexte“ überschriebene dritte Abschnitt des Anhanges. Er enthält den Text der Schutzverträge mit den Berseba und den Witbooi und Vertragsformulare zur Kronlandvergabe via Kauf, Pacht und Erbbau. Danach folgt in Auszügen eine Sammlung der wesentlichen Gesetze und Verordnungen zum Bodenrecht der Kolonie Deutsch-Südwestafrika: das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete (SchGG); das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit (KonsGG); die Kaiserliche Grundstücksverordnung mit den jeweiligen Ausführungsbestimmungen des Reichskanzlers und des Gouverneurs; die Kaiserliche Enteignungsverordnung, ebenfalls mit den Ausführungsbestimmungen des Reichskanzlers; die Verordnung des Gouverneurs betreffend die Besteuerung des Grundeigentums; die Verordnung des Reichskanzlers betreffend Rechtsgeschäfte und Rechtsstreitigkeiten Nichteingeborener mit Eingeborenen; die Kaiserliche Reservatsverordnung; die Kaiserliche Einziehungsverordnung; die Kaiserliche Kronlandverordnung und die Kaiserliche Aufgebotsverordnung.

 

Insgesamt 27 Abbildungen, nahezu allesamt aus Archivbeständen - Skizzen, Pläne, Dokumente, Tabellen und auch einige Fotografien - werten den informativen Band zusätzlich auf, dessen gegliedertes Literaturverzeichnis zur weiteren Beschäftigung mit der deutschen Kolonialgeschichte und ihrer Rechtsordnung animiert.

 

Kapfenberg                                                                Werner Augustinovic