Im Namen der Freiheit! Verfassung und Verfassungswirklichkeit in Deutschland 1849 - 1919 - 1949 - 1989, im Auftrag des Deutschen Historischen Mueseums hg. v. Blume, Dorlis/Breymayer, Ursula/Ulrich, Bernd, Sandstein Verlag, Dresden 2008. 343 S., 258 meist farb. Abb. Besprochen von Karsten Ruppert.

 

Bei dem zu besprechenden Buch handelt es sich um den Katalog einer Ausstellung, die das Deutsche Historische Museum im Vorgriff auf das vielfältige Gedenkjahr 2009 vom September 2008 bis zum Januar 2009 in seiner Ausstellungshalle präsentiert hat. Es sollten die historischen Erfahrungen und Entwicklungen, die sich mit den Verfassungen des deutschen Nationalstaates verbinden, zur Anschauung gebracht werden. Dies geschah ikonografisch vor allem entlang der Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold. Dabei wurde wohl eine doppelte Absicht verfolgt: Zum einen sollte die Wirklichkeit hinter den jeweiligen Verfassungen veranschaulicht werden, zum anderen galt es, die Kontinuitäten, aber vor allem wohl noch mehr die Brüche zwischen diesen aufzudecken.

 

Die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats haben Essays zu den Stationen deutscher Verfassungsentwicklung beigesteuert. Nach einer einführenden Zusammenfassung des ehemaligen Verfassungsrichters Dieter Grimm stellt der Öffentlichrechtler Jörg-Detlef Kühne die Konstitution der Paulskirche vor. Er betont die Pionierleistung bei der Formulierung der Grundrechte und der Schaffung eines Rechtsstaats ebenso wie den weitreichenden Vorbildcharakter des Dokuments für die demokratische Entwicklung in Deutschland. Auf der Strecke bleibt dabei etwas die historische Situation, der es seine Entstehung verdankt. Dem Verfassungshistoriker Arthur Schlegelmilch gelingt es anhand der Frage, ob die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 eine Bismarcks gewesen sei, deren wesentlichen Grundzüge herauszuarbeiten. Im Ausstellungstitel ist diese Verfassung wohl des Neunermythos wegen schamhaft verschwiegen worden. So intensiv wie wenige Historiker hat sich Reinhard Rürup mit der Weimarer Verfassung beschäftigt. Auf diese Forschungen kann er sich stützen bei der Verteidigung des Werkes gegen dessen Kritiker. Das gelingt ihm, indem er die Schaffung der ersten Demokratie in Deutschland aus den politischen Kräfteverhältnissen der Entstehungszeit deutet. Er betont auch das, was in diesem Zusammenhang zu oft vergessen wird: eine Schwäche der Reichsverfassung von 1919 war nicht zu wenig, sondern zu viel an Demokratie. Durchaus verständlich bei dem Anliegen der Ausstellung ist es, dass sich der Kommunikationswissenschaftler Bernd Sösemann für die Zeit des Nationalsozialismus, unter starker Betonung des Beitrags der Juristen, auf die Aushöhlung der Weimarer Verfassung und die Neuordnungspläne des Widerstands beschränkt.

 

Nach Ausführungen zur Entstehung des Grundgesetzes und zu der in ihm festgelegten Organisationsstruktur wie dem Grundrechtsgehalt, betont der Politologe Werner Heun dessen Entwicklungspotenzial und ordnet es in das politische Gesamtsystem der Bundesrepublik ein. Von all den vorgestellten Verfassungen wird wohl den meisten, die zu diesem Buch greifen, die der DDR am wenigsten vertraut sein. Um so erfreulicher ist es, dass sie mit dem Zeithistoriker Martin Sabrow einer der besten Kenner des „ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden“ vorstellt. Er hält sich fern von der naheliegenden Aufdeckung des Widerspruchs zwischen dem schönen Schein der proklamierten Werte und Prinzipien und der diesen Hohn sprechenden Wirklichkeit. Vielmehr betont er die Offenheit und auch den Kompromisscharakter der ersten DDR-Verfassung von 1949, macht aber zugleich deutlich, welches Kalkül zugrunde lag und welche eigendynamische Gefährlichkeit darin für die Machthaber gelegen hatte. Es fördert darüber hinaus das Verständnis, wenn herausgestellt wird, dass die kommunistischen Verfassungsschöpfer nicht in der westlichen Tradition des Naturrechts standen, sondern es ihnen um die Verwirklichung marxistisch-proletarischer Werte gehen musste. Vermutlich hat wohl auch eine Mehrheit von ihnen geglaubt, nach dem Krieg die richtigen Konsequenzen aus der deutschen Geschichte zu ziehen. Die zweite Verfassung von 1968 zog nach dem Mauerbau jetzt auch in den Formulierungen die Zügel unter dem Deckmantel der sozialistischen Gemeinschaft stärker an. Schon weitaus mehr ein Dokument der Defensive aus Angst vor der Brüchigkeit des Systems. Das gilt auch für das Ergänzungsgesetz von 1974, das die staatliche Eigenständigkeit betonte und sich von der Idee der Einheit der Nation verabschiedete. Schließlich setzt Gunnar Peters, Historiker an der Universität Rostock, den Schlusspunkt. Er zeichnet die Verfassungsdiskussionen der Parteien und gesellschaftlichen Gruppen im Wendejahr 1989/1990 nach, die mit viel Enthusiasmus geführt worden seien, doch nur magere Ergebnisse gebracht hätten. Das war aber insofern ohne Belang, als die Einheit, getrieben durch die Dynamik an der Basis, dann durch die Verhandlungen der beiden Regierungen hergestellt wurde.

 

Etwas disparat sind die beiden folgenden Teile, in denen zum einen der Spiegelung von Verfassungen in Kunst und Architektur nachgegangen wird und zum anderen Ausblicke auf die Zukunft der politischen Ordnung gegeben werden sollen. Hier wird in einer doch recht willkürlich anmutenden Auswahl vor der Bedrohung der Freiheit durch das Streben nach Sicherheit gewarnt und werden von dem Journalisten Heribert Prantl in einem launigen Essay Schlaglichter auf den Sozialstaat geworfen. Die Splitter, die der Wiener Historiker Wolfgang Schmale aus der Geschichte Europas zur Ordnung des Kontinents bietet, können die als Abschluss sicherlich notwendigen Überlegungen zu einer europäischen Verfassungsstruktur keinesfalls ersetzen.

 

Fast genau die Hälfte des Buches macht der Katalogteil aus, in dem sämtliche Exponate der Ausstellung beschrieben werden und etwa jedes vierte abgebildet ist. Darin liegt sicherlich sein besonderer Reiz, da ja Illustrationen zur Verfassungsgeschichte so gut wie nie zu finden sind. Freilich hat das Unternehmen, das den Bogen vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart spannt, auch seine Probleme. Im ja noch nicht allzu bilderreichen 19. Jahrhundert dominieren die Titelblätter von Verfassungsbroschüren oder aber Bekanntes und das Kaiserreich wird allzu stiefmütterlich behandelt. Wenig befriedigen auch die Exponate zur Epoche der Weimarer Verfassung, da die Problematik des Werkes zu sehr im Vordergrund steht und dessen Gegner zu oft vertreten sind. Unangenehm fällt auch auf, dass bei der Verfassungsordnung der Bundesrepublik vor allem auf deren Unzulänglichkeiten verwiesen wird. So kann man fast den Eindruck gewinnen, als hätten deren Bürger ihre Regierung mehr zu fürchten gehabt als die der DDR. Immerhin wird deren Bürgerrechtsbewegung in den letzten Jahren des zweiten deutschen Staates hinreichend dokumentiert. Durchgehend haben die Ausstellungsmacher, einem modischen Trend folgend, geglaubt, sich in den Dienst der Frauenemanzipation stellen zu müssen: entweder wird deren Anteil an der Verfassungsschöpfung überbetont oder aber es wird bemängelt, dass ihnen zu wenig Mit- und Selbstbestimmung eingeräumt wurde.

 

Eichstätt                                                                                              Karsten Ruppert