Hofmann, Dietrich/Popkema, Anne Tjerk unter Mitwirkung von Hofmann, Gisela, Altfriesisches Handwörterbuch. Winter, Heidelberg 2008. XXXV, 603 S., 1 Kte., 12 S. Siglenliste im Anhang. Besprochen von Andreas Deutsch.

 

Einst ein bevorzugter Untersuchungsgegenstand der Rechtsgermanistik, sind die altfriesischen Rechtsquellen in der deutschen rechtshistorischen Forschung der letzten Jahre deutlich in den Hintergrund geraten. Dabei klingt die Bewertung des Karl Freiherr von Richthofen in der Vorrede seiner „Friesischen Rechtsquellen“ (1840), die „rechtsdenkmäler Frieslands [seien] … in solchem reichthum vorhanden, wie bei keinem andern deutschen stamme“, auch in heutigen Ohren kaum übertrieben. Und die Mahnung von Rudolf His (Das Strafrecht der Friesen im Mittelalter, Leipzig 1901), dass „das Recht der Friesen“, welches „wegen seiner Eigenart, seines zähen Festhaltens an alten, anderswo längst überwundenen Grundsätzen ganz besondere Aufmerksamkeit verdient hätte, bis jetzt noch immer des Bearbeiters“ harrte, könnte kaum verändert noch heute ausgesprochen werden. Zwar bieten gerade die Editionen und Monographien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts einen guten ersten Zugang zu den Quellen, auch garantiert die von Wybren Jan Buma und Wilhelm Ebel ab 1963 herausgegebene kritische Edition der wichtigsten Altfriesischen Rechtsquellen (mit neuhochdeutscher Übersetzung) ein sicheres Fundament für weitere Untersuchungen, großer Forschungsbedarf, der rechtswissenschaftlichen Sachverstand erfordert, besteht aber nach wie vor. Sucht man nach den Gründen, weshalb sich insbesondere jüngere Rechtshistoriker kaum mehr an altfriesische Quellen wagen, so ist zweifellos die schwere Verständlichkeit ein entscheidender Punkt. Das Fehlen eines modernen, zuverlässigen altfriesischen Handwörterbuchs verstärkte zudem die allgemeine Zurückhaltung. Hier ist nun mit dem neuen altfriesischen Handwörterbuch endlich Abhilfe geschaffen.

 

Richthofens - aus dem Glossar seiner Quellen herausgewachsenes - „Altfriesisches Wörterbuch“ von 1840 konnte vor allem wegen seiner Lückenhaftigkeit nicht mehr befriedigen. Das „Idioticon Frisicum“ des Montanus de Haan Hettema (Leeuwarden 1874) vermochte diese Lücken nicht zu schließen. Ähnliches muss für das „Altfriesische Wörterbuch“ von Ferdinand Holthausen (Heidelberg 1925) gelten, auch wenn es – mangels Alternativen – zur Grundlage der weiteren Wörterbucharbeit wurde, so auch für Gerhard Köblers „Altfriesisch-neuhochdeutsches und neuhochdeutsch-altfriesisches Wörterbuch“ (Gießen 1983), das hinsichtlich der Auffindbarkeit der Artikel deutliche Verbesserungen brachte.

 

Als Dietrich Hofmann am Anfang der 1960er-Jahre den Auftrag übernahm, Holthausens Wörterbuch zu überarbeiten, erkannte er bald, dass eine völlige Neubearbeitung des Stoffes nötig sein würde. So ließ Hofmann zwar 1985 eine „zweite, verbesserte Auflage“ von Holthausens Wörterbuch erscheinen, hob aber die Vorläufigkeit und den Kompromisscharakter ausdrücklich hervor. Intensiv arbeitete der Kieler Frisist daher an einem eigenen Wörterbuch, verstärkt nach seiner Emeritierung im Jahre 1989. Als er 1995 einen großen Teil seiner Sehkraft einbüßte, ließ er sich dennoch nicht davon abbringen, wenngleich stark eingeschränkt und unter Zuhilfenahme komplizierter Sehhilfen, sein Projekt fortzusetzen. Trotz konzeptioneller Einschnitte rechnete Hofmann damals mit weiteren zehn Jahren täglicher Arbeit bis zur Fertigstellung. Doch viel zu früh, im Dezember 1998, starb er. Damit schien auch das Wörterbuch begraben, jahrzehntelange Arbeit des unermüdlichen Wissenschaftlers verloren.

 

Dass Hoffmanns Wörterbuch genau zehn Jahre nach seinem Tod nun doch der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte, ist zu allererst seiner Witwe Dr. Gisela Hofmann zu verdanken. Sie überließ nicht nur den lexikographischen Nachlass ihres Mannes der (von ihrem Mann bis zur Emeritierung geleiteten) Nordfriesischen Wörterbuchstelle, sondern entzifferte auch in siebenjähriger mühseliger Arbeit die zum großen Teil stenographischen, für andere unleserlichen Notizen ihres Mannes, tippte sie in den Computer ein und machte sie so erst für die Wissenschaft verwertbar. Ein von Jarich Hoekstra, Leiter der Nordfriesischen Wörterbuchstelle, gestellter DFG-Antrag zur Finanzierung der Fertigstellung des Wörterbuchs wurde großzügig bewilligt, so dass der aus Westfriesland stammende Frisist Anne Tjerk Popkema von 2004 bis Ende 2008 – in erstaunlicher Geschwindigkeit – die Endbearbeitung des Wörterbuchs durchführen konnte.

 

Stark von Hofmann geprägt sind die Wörterbuchstrecken von „B“ bis weit in das „S“ hinein; das letzte von Hofmann selbst bearbeitete Lemma war „stal“. Alle weiteren Wortstrecken sind von Popkema erstellt, der hierzu auf den Vorarbeiten Hofmanns aufbauen konnte. Popkema oblag dann die Gesamtredaktion des Werkes, wozu er glättend und redigierend auch in die von Hofmann bearbeiteten Lemmata von B bis S eingriff. Wenn Popkema dennoch eine dem Wörterbuch „in gewisser Weise innewohnende Hybridität“ befürchtet (Vorwort, S. VI), so erscheint dies unbegründet. Zumindest dem gewöhnlichen Wörterbuchnutzer wird sie nicht auffallen. Wenige Wörterbuchprojekte sind derart aus einem Guss.

 

Die Konzeption des Wörterbuchs folgt weitgehend Hofmanns Entwurf, bemüht sich um Nutzerfreundlichkeit, schnellen Zugriff und Handlichkeit. Dies ist gerade bei der Bearbeitung des Altfriesischen nicht selbstverständlich: Aufgrund der zwischen den einzelnen Handschriften erheblich differierenden Orthographie musste für zahlreiche Wörter ein (teils normalisiertes, teils auch rekonstruiertes) Hauptlemma angesetzt werden. Sehr hilfreich ist, dass die verschiedenen in den Quellen überlieferten Schreibformen hierunter nicht nur aufgelistet werden, sondern entsprechende „Nebenlemmata“ auf das Hauptlemma verweisen, was ein Auffinden erheblich erleichtert. Hochgestellte Buchstabenkürzel vor jeder aufgelisteten Schreibform erläutern zudem, in welchem Teil Frieslands sie belegt ist. So steht beispielsweise „WL“ für „westerlauwerssch“, „OL“ für „osterlauwerssch“. Hinter den Informationen zu Wortart, Bedeutungen und Semantik werden mit Hilfe eines ausgeklügelten Abkürzungssystems alle Quellen benannt, in welchen die Autoren das jeweilige Wort nachweisen konnten. Dass dem Wörterbuchnutzer hierbei weder Belegstellenzitate noch exakte Fundstellenangaben zur Verfügung gestellt werden, ist bedauerlich, aber leider dem Konzept eines Handwörterbuchs geschuldet.

 

Das Wörterbuch strebt zwar ausdrücklich keine Vollständigkeit an, wächst aber deutlich über alles hinaus, was die älteren Wörterbücher des Altfriesischen zur Verfügung stellen. Zweifellos schon bald wird der neue „Hofmann/Popkema“ daher eine feste Hausnummer in der Wörterbuchlandschaft sein. Zusammen mit dem 2005 erschienene „Old Frisian etymological dictionary“ von Dirk Boutkan und Sjoerd Michiel Siebinga und dem soeben fertiggestellten Lehrbuch „An Introduction to Old Frisian – History, Grammar, Reader, Glossary“ von Rolf H. Bremmer jr. (Amsterdam 2009) könnte das Wörterbuch daher zur Initialzündung werden für eine neue Beschäftigung mit den altfriesischen Quellen – es würde sich lohnen.

 

Heidelberg/Frankfurt am Main                                     Andreas Deutsch