Frankreich am Rhein - Die Spuren der „Franzosenzeit“ im Westen Deutschlands, hg. v. Theis, Kerstin/Wilhelm, Jürgen (= Eine Veröffentlichung des Landschaftsverbandes Rheinland). Greven, Köln 2009. 303 S., Ill. Besprochen von Werner Schubert.

 

Der Band steht im Kontext eines 2004 vom Landschaftsverband Rheinland begründeten Projekts, das sich mit den Auswirkungen der „Franzosenzeit“ auf das Rheinland beschäftigt. Ein Teil der Beiträge geht auf eine Tagung von 2005 unter dem Titel „Der mythisierte Napoleon – Auswirkungen der ,Franzosenzeit’ auf das Rheinland“ zurück. Das Vorhaben geht von der Erkenntnis aus, dass die „langfristige Wirkung eines Wendepunkts der Geschichte einer kulturhistorischen und sozialwissenschaftlichen Analyse, die durch mentalitätsgeschichtliche Erkenntnisse komplementiert wird, bedürfe“ (S. 28). Eine tiefgreifende, bis heute das Bewusstsein der Rheinländer noch immer prägende Wirkung hatten das französische Recht und die französischen Verwaltungsgrundsätze. Den Einflüssen des französischen Rechts der Cinq Codes und der diesen zugrunde liegenden Justizverfassung auf die deutsche Rechtsentwicklung im 19. Jahrhundert widmet sich Dieter Strauch. Anhand einer Dankadresse der Stadt Köln von 1817 arbeitet Strauch die Prinzipien des französischen Rechts heraus, deren Beibehaltung gewünscht wurde. In dem Eintreten für die Aufrechterhaltung der rheinisch-französischen Institutionen, von denen Strauch die Schwurgerichte, die Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren, die preußischen Friedensgerichte und die Staatsanwaltschaft (öffentliches Ministerium) ausführlich behandelt (S. 168ff.), kann als ein „Meilenstein der Partizipation für die erst sehr viel später entstehende Staatsform der Demokratie“ angesehen werden (J. Wilhelm, S. 27). Den Abschluss des Beitrags Strauchs, dessen Anmerkungen einen umfassenden Überblick über das französische Recht in Deutschland bringen, bildet die Darstellung des allerdings nur begrenzten Einflusses des Code civil auf das BGB (S. 175ff.). In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass Derscheid (Mitglied der ersten BGB-Kommission, Colmar) mit seiner Ernennung zum Reichsgerichtsrat nicht aus der Kommission ausschied (S. 175).

 

In seinem Beitrag: „Das Nachwirken der französischen Herrschaft im preußischen Rheinland des 19. Jahrhunderts“ (S. 131-143) geht Walter Rummel auf die politische Bedeutung des französischen Rechts für das Rheinland, das in vielerlei Hinsicht dazu bestimmt gewesen sei, „als Vorbote gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Tendenzen der Moderne aufzutreten“ (S. 140), ein. Auf der anderen Seite blendete die bürgerliche Perspektive und das bürgerliche Eigeninteresse die nicht liberalen Bestandteile der französischen Zeit aus, insbesondere die Verstaatlichung der Kommunalverfassung, welche die ländlichen Gebiete benachteiligte (S. 133, 141ff.). Ulrich S. Soénius befasst sich mit dem bereits 1797 begründeten Kölner Handelsvorstand und der 1802 entstandenen Kölner Chambre de commerce (als Vorläufer der heutigen Industrie- und Handelskammern; S. 145ff.). Weitere Beiträge befassen sich mit „franzosenzeitlichen“ Lehnwörtern, mit Heine und Immermann, mit dem Bild Napoleons im rheinischen Karneval des 19. Jahrhunderts, mit der Franzosenzeit in der Werbung, mit den Denkmälern der napoleonischen Veteranenvereine und mit der Franzosenzeit im kulturellen Leben des Rheinlands nach 1918. Insgesamt verdeutlichen die rechts- und wirtschaftshistorischen Beiträge des Bandes die überragende Bedeutung des rheinisch-französischen Rechts, dessen identitätsstiftende Wirkung innerhalb des Rheinlandes, wozu im weiteren Sinne auch Rheinhessen und Rheinbayern zu rechnen sind, und für die deutsche Rechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts, eine Thematik, die insbesondere für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts noch weiterer detaillierterer Untersuchungen bedarf.

 

Kiel

Werner Schubert