Eichler, Daniel, Fränkische Reichsversammlungen unter Ludwig dem Frommen (= Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte 45). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2007, XXII, 124 S., 3 Tab., 4 Kart. Besprochen von Thomas Vogtherr.

 

Nach langen Jahren der Stagnation ist in die Erforschung der Regierungszeit Kaiser Ludwigs des Frommen (814-840) wieder Bewegung gekommen. Mit der Biographie Boshofs (1996), der wenig älteren Pariser Dissertation von Depreux über die Entourage des Kaisers (1992/97) und dem wichtigen Sammelband „Charlemagne’s Heir“ (1990) ist ein Forschungsstand erreicht, der mehr noch als vorher das Fehlen einer kritischen Edition der Diplome Ludwigs hervortreten lässt. Seit der Übernahme dieses jahrzehntealten Projektes durch Theo Kölzer (Bonn) im Jahre 2004 zeichnet sich nun auch auf diesem Gebiet baldiger Erfolg ab.

 

In diesen Zusammenhang gehört die hier anzuzeigende Bonner Magisterarbeit, deren Ziel bescheiden wirkt, deren Ergebnisse aber für die Verfassungsgeschichte der Karolingerzeit eminente Bedeutung haben. Die Fragen sind schnell formuliert: Was eigentlich waren „Reichsversammlungen“ unter Ludwig dem Frommen? Wie wurden sie in den Quellen bezeichnet? Unterschieden sie sich von Synoden, vom consilium regis, von Heeresversammlungen? Wo, wann, wie häufig und wie lange fanden die Reichsversammlungen statt? Wer nahm an ihnen teil? Was wurde beraten?

 

Diese Fragen sind nicht neu, ganz im Gegenteil. Sie haben seit Georg Waitz die Erforscher der Verfassungsgeschichte seit jeher beschäftigt, freilich mit allen zeittypischen Versuchen klarer Systematisierung vermeintlich verschiedener und deutlich voneinander unterscheidbarer Versammlungstypen und dem dahinter stehenden Bild eines stark institutionalisierten, nicht zufällig bisweilen an den Instanzenzug der Verwaltung des 19. Jahrhunderts gemahnenden Aufbaus schon des karolingerzeitlichen Reiches.

 

Eichlers Ansatz ist dagegen erfrischend unbefangen, man könnte sagen: ikonoklastisch. Die Hälfte seiner schlanken Arbeit (S. 7-51) verwendet er auf definitorische Fragestellungen und erweist die Differenzierung früherer Forschung zwischen „Reichsversammlung“, „Hoftag“ und manch ähnlichen Bezeichnungen als nicht durch die Quellen gedeckt, die vielmehr nahezu unterschiedslos von conventus und placitum, aber auch von consilium, colloquium, concilium und synodus sprechen und doch immer Ähnliches meinten, in Eichlers Worten „alle herrscherberufenen und herrschergeleiteten Zusammenkünfte (…), die der Erledigung politischer Angelegenheiten dienten“ (S. 51). Dieses Ergebnis ist nur scheinbar ernüchternd, in Wahrheit aber stellt es einen erheblichen Fortschritt in der Sache und ihrer angemessenen Beschreibung gegenüber der Wissenschaftssprache seit dem 19. Jahrhundert dar.

 

Die übrigen Fragestellungen werden sorgsam behandelt, analytisch präzise dargestellt und in einer gelungenen Zusammenfassung (S. 107-110) in Kürze nochmals beantwortet. Dabei wird deutlich, dass es weder feste Regeln für diese Reichsversammlungen gegeben hat noch eine saubere Trennung von Beratungsgegenständen erfolgte, jedenfalls dann nicht, wenn der Herrscher selber mitwirkte. Allgemein überwiegt bei Eichler deswegen folgerichtig der Verzicht auf Typenbildung und auf die Formulierung fester Regeln. Die Verfassungspraxis der Zeit Ludwigs des Frommen taugt eben kaum für Systematisierung.

 

In einem Anhang (S. 111-119) der durchweg gelungenen Arbeit wird eine Liste der 61 Reichsversammlungen geboten, eine Aufstellung der geographischen und jahreszeitlichen Verteilung gegeben und das Ergebnis durch anschauliche Karten verdeutlicht. Dieser Annex macht Eichlers Magisterarbeit zu einer nicht nur lesenswerten, sondern auch gut benutzbaren Detailstudie zur Regierungszeit Ludwigs des Frommen.

 

Osnabrück                                                                                                            Thomas Vogtherr