Die zeitliche Dimension des Rechts. Historische Rechtsforschung und geschichtliche Rechtswissenschaft, hg. v. Pahlow, Louis (= Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft Neue Folge 112). Schöningh, Paderborn 2005. 306 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Am 14. und 15. Juni 2003 fand auf dem mit der Universität Gießen verbundenen spätneuzeitlichen Schloss Rauischholzhausen eine Tagung statt, auf der Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler unter dem weiten Thema Individualität und Staat ihre rechtsgeschichtlichen Forschungsergebnisse vorstellten und erörterten. Sie entstammen überwiegend dem Schülerkreis Diethelm Klippels und gehörten dem Graduiertenkolleg Mittelalterliche und neuzeitliche Staatlichkeit der Universität Gießen an. Dementsprechend sind Juristen, Juristinnen und Historikerinnen vertreten.

 

Im Eingang bietet der Herausgeber eine Einführung in historische Rechtsforschung und geschichtliche Rechtswissenschaft. Sie geht von der Krise der Rechtsgeschichte aus. Danach beschreibt sie das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Rechtsgeschichte und das Verhältnis von Rechtsgeschichte und Rechtswissenschaft. Dabei spricht sie sich überzeugend für die Verbindung zwischen Rechtsgeschichte und Rechtswissenschaft aus, welcher der Band durchaus Rechnung tragen will und kann.

 

Zu diesem Zweck sind an den Beginn zwei Beiträge gesetzt, die außerhalb der Tagung in Bayreuth anlässlich des sechzigsten Geburtstags Diethelm Klippels 2003 vorgetragen wurden. In ihnen blickt zunächst Pio Caroni über den Gartenzaun von der Rechtsgeschichte auf ihre historischen Nachbarwissenschaften. Christof Dipper betrachtet die Beziehungen zwischen Geschichtswissenschaft und Rechtsgeschichte, während Michael Wagner-Kern (Marburg) unter dem allgemeinen Thema zum Selbstverständnis der Rechtsgeschichte auf die besonderen juristischen Quellen des NS-Staates eingeht.

 

Bezüglich des Verhältnisses zwischen Individuum und Staat befasst sich Sylvia Kesper-Biermann (Bayreuth) mit dem kurhessischen Bildungswesen im 19. Jahrhundert, während Martina Henze (Kopenhagen) die ersten deutschen Gesetze zum Strafvollzug in Baden und Bayern betrachtet. Hinsichtlich der Kodifikationsgeschichte stellt Claudia Schöler (Hamburg) aus ihrem umfassenderen Werk den Kodifikationsgedanken und die deutsche Rechtseinheit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor und erläutert Michael Zwanziger (Birmingham/Bayreuth) den Zusammenhang zwischen William Blackstone und der klassischen Common Law Theorie. Caren Möller (Bayreuth) kehrt zum Staat und seiner Bevölkerung zurück und schildert die Theorie der Medizinalpolizei im 18. und 19. Jahrhundert, wohingegen Petra Overath (Berlin) auf die Diskussion französischer bevölkerungspolitischer Gesetze bei Hans Harmsen vor 1933 ausgreift.

 

Am Ende ergreift Luis Pahlow nochmals das Wort zur Bedeutung des Lizenzzwangs für die Reichspatentgesetzgebung 1876/1877. Gudrun Lies-Benachib (Kassel) erarbeitet eine juristische Zeitgeschichte des Rabattgesetzes. Schade, dass sich die anregenden und vielseitigen Ergebnisse der einzelnen Facetten des sehr weit gespannten Rahmens nicht in einem Sachregister zusammenfassen ließen.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler