Die Salier, das Reich und der Niederrhein, hg. v. Struve, Tilman. Böhlau, Köln 2008. VII, 414 S., 13 Abb. Besprochen von Thomas Vogtherr.

 

Die 900. Wiederkehr des Todesjahres Heinrichs IV. brachte 2006 eine ganze Reihe von Veranstaltungen zur salischen Geschichte, nicht zuletzt die kaum in diesen Zusammenhang gebrachte Canossa-Ausstellung in Paderborn. Auch der vorliegende Sammelband reiht sich in diese Bemühungen ein, nach der Salier-Ausstellung des Jahres 1991 in Speyer und ihren offenbaren konzeptionellen Mängeln nun ein vollständigeres Panorama der Zeit zu zeichnen. Freilich – das sei vorweg betont – hinterlässt der Band einen eher zwiespältigen Eindruck, denn die Zusammenstellung der insgesamt 13 Beiträge erscheint doch arg zufällig. Überdies ist nicht immer der Zusammenhang mit dem Thema des Bandes erkennbar. Schließlich muss eindeutig konstatiert werden, dass die Salierzeit doch nicht nur die Regierungszeiten Heinrichs IV. und Heinrichs V. umfasst, die fast ausnahmslos im Zentrum der Beiträge stehen.

 

Mit diesen Einschränkungen wird man auf der Suche nach Interessantem und Anregendem, gerade auch mit dem Blick auf die Rechts- und Verfassungsgeschichte, doch an einigen Stellen fündig. Herauszuheben ist zunächst der Beitrag Claudia Zeys über „Frauen und Töchter der salischen Herrscher. Zum Wandel salischer Heiratspolitik in der Krise“ (S. 47-98), der zum einen über die bisher schon nicht eben sparsame Behandlung der Herrscherfrauen des hohen Mittelalters in der Forschung hinausführt und dabei insbesondere die Frage stellt und beantwortet, nach welchen Kriterien im Laufe des 11. Jahrhunderts Ehen unter salischer Beteiligung geplant wurden und zustande gekommen sind. Caspar Ehlers stellt in seiner Studie „Corpus eius in Spiream deportatur. Heinrich V. und der Tod Heinrichs IV. zu Lüttich“ (S. 99-114) zunächst Zeugnisse für eine spontane Verehrung Heinrichs IV. nach dessen Tod zusammen und ordnet die Umbettung nach Speyer in den Zusammenhang von Verabredungen des neuen Königs mit den Großen des Reiches ein. Überhaupt ist die Frage nach dem Ausmaß der konsensualen Herrschaft in den Anfangsjahren Heinrichs V. offensichtlich neu zu stellen. Jürgen Dendorfer tut das in seiner Studie „Heinrich V. – König und Große am Ende der Salierzeit“ (S. 115-170) in einer Weise, die den Bruch zu einer eher autokratischen Herrschaftsführung des letzten Saliers nach 1111 wesentlich deutlicher akzentuiert als bisher. Es sind vor allem diese drei Studien, die mit neuen Ergebnissen zur salischen Geschichte aufwarten und die einmal mehr zeigen, wie dringlich eine Biographie Heinrichs V. zu schreiben wäre, wenn denn in absehbarer Zeit die Edition seiner Diplome einmal vorgelegt worden sein wird.

 

Von ähnlicher Klasse, wenngleich völlig anderem Zuschnitt ist der weit gespannte und ausgesprochen anregende Überblick Gerold Bönnens über „Aspekte gesellschaftlichen und stadtherrlichen Wandels in salierzeitlichen Städten“ (S. 207-281). Im Kern handelt es sich um nichts anderes als das ausgefeilte und teils auch ausgeführte Programm einer Gesamtdarstellung der Geschichte vor allem der salierzeitlichen Bischofsstädte. Hier fehlt es, wie Bönnen nachweist, an einer nun wohl möglichen Zusammenfassung der in letzter Zeit deutlich vorangetriebenen Detailforschung.

 

Zwei Beiträge hilfswissenschaftlicher Ausrichtung sind zu erwähnen, die deutlich zeigen, wozu diese Wissenschaften fähig sind, wenn man aus ihnen allgemeinhistorische Folgerungen abzuleiten gewillt ist: Jörg W. Busch untersucht „Die Diplome der Salier als Spiegel ihrer Italienpolitik“ (S. 283-302) – nota bene: in einem Sammelband zu den Saliern und dem Niederrhein nun wirklich an der falschen Stelle publiziert – und kommt zu dem durchaus überraschenden Ergebnis, dass die Urkundentätigkeit dieser Familie zugunsten italienischer Empfänger keinen Vergleich mit den vorangegangenen ottonischen Urkunden zu scheuen braucht, dass also Italien beileibe kein Nebenland gewesen ist. Manfred Groten setzt seine Untersuchungen des Siegelwesens zu Beginn des 12. Jahrhunderts mit einer wie üblich gehaltvollen Arbeit über „Karlsmythos und Petrustradition – Aachener und Trierer Siegel als Zeichen eines neuen Denkens in der späten Salierzeit“ fort (S. 369-399) und zeigt, welcher Erkenntniszugewinn möglich ist, wenn man sich von klassisch siegelkundlichen Analysemitteln löst und die Frage nach der Beziehung von Siegeln nicht auf Personen, sondern auf Institutionen stellt und beantwortet.

 

Schließlich hat Rudolf Schieffer in einem Vortrag zum Thema „Die Salier in den Rheinlanden“ (S. 327-339) die Itineraraufenthalte der Salier vor allem in niederrheinischen bzw. niederlothringischen Bereich unter die Lupe genommen und in den Zusammenhang der salischen Politik eingeordnet.

 

Weitere Beiträge sind teils ohne jeden Neuigkeitswert – so etwa Aufsätze über Heinrich III. und über Heinrich IV. in der zeitgenössischen Publizistik – oder arg skizzenhaft geraten, wie das für eine Untersuchung zur Ehre des Königs bzw. des Reiches oder für eine knappe Abhandlung zur Entstehung der Kölner Stadtgemeinde gilt. Hinzuweisen ist lediglich noch auf einen Beitrag des Herausgebers Tilman Struve über bildliche Darstellungen der Entführung Heinrichs IV. in Kaiserswerth 1062 (S. 353-368), die bis hin zur Analyse von Bildern auf Zigarettenbilderalben reicht.

 

Es bleibt der Eindruck eines Sammelbandes, dem mehr an inhaltlicher Stringenz, mehr an Bezug auf den selbstgewählten Titel und mehr an Behandlung der Zeit auch vor 1056 gut getan hätte. Dessen ungeachtet, sind Einzelbeiträge ausgesprochen interessant geraten, vielleicht eine für Sammelbände insgesamt nicht untypische Einschätzung.

 

Osnabrück                                                                                                            Thomas Vogtherr