Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848-1867. 4. Abteilung Das Ministerium Rechberg. Bd. 2 6. März 1860-16. Oktober 1860, Band 3 21. Oktober 1860-2. Februar 1861, bearb. und eingeleitet v. Malfèr, Stefan. Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Österreichischer Bundesverlag, Wien 2007, 2009. LXIVIII, 525 S., LXXXII, 366 S. Besprochen von Thomas Olechowski.

 

Der erste der beiden hier zu besprechenden Bände, Band IV/2 der Gesamtreihe, umfasst im Wesentlichen die Zeit des mit dem kaiserlichen Patent vom 5. März 1860 geschaffenen sog. Verstärkten Reichsrates. Es handelt sich hierbei um eine zwar kurzlebige Einrichtung (er trat erstmals am 31. Mai, letztmals am 27. September 1860 zusammen), die aber von höchster Bedeutung für die österreichische Verfassungsentwicklung war, handelte es sich doch um den Nukleus des späteren österreichischen Parlaments. Die Gründe, die zur Bildung des Verstärkten Reichsrates geführt hatten, wurden bereits in meiner Besprechung zu Band IV/1 (ZRG Germ. Abt. 122 [2005] 770–773) angeführt; die Reichsratsprotokolle sind schon unmittelbar nach seiner Auflösung 1860 im Druck erschienen und mittlerweile, auf [http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=vvr], auch online zugänglich. Nunmehr erhalten sie eine wertvolle Ergänzung durch die Protokolle der in derselben Zeit stattfindenden Ministerratssitzungen, bei denen der Verstärkte Reichsrat in 53 von 314 Tagesordnungspunkten direkt, und in weit mehr Fällen indirekt Diskussionsthema ist (Einleitung zu Bd. IV/2, XIII).

 

Von der Ernennung der Mitglieder des Reichsrates war der Ministerrat ausgeschlossen geblieben; sie erfolgte durch den Kaiser persönlich. Dem Verstärkten Reichsrat kam zunächst eine bloß beratende Funktion zu, von einem Parlament im konstitutionellen Sinn kann beim Verstärkten Reichsrat (noch) keine Rede sein. Aber es war ein Forum geschaffen worden, auf dem politische Fragen breit diskutiert wurden, und es ist eine allgemein feststellbare Tatsache, dass derartige Versammlungen eine „Eigendynamik“ entwickeln können, „wenn der Problemdruck groß genug ist und wenn geeignete Persönlichkeiten die Regie führen. Beim österreichischen verstärkten Reichsrat des Jahres 1860 traf beides zu“ (IV/2, XI).

 

Hauptaufgabe des Verstärkten Reichsrates war die Lösung der Finanzprobleme der Monarchie, die schon vor Ausbruch des Krieges gegen Frankreich und Sardinien groß waren, nach dessen Ausgang (Frieden von Zürich, 10. November 1859) aber geradewegs in eine Katastrophe zu münden schienen. Eine Staatsanleihe war ausgegeben worden, doch musste Finanzminister Karl von Bruck am 20. April 1860 dem Kaiser berichten, dass statt der erhofften 200 nur 76,2 Millionen Gulden gezeichnet worden waren. Dies, sowie ein Unterschlagungsskandal, bei dem Bruck als Zeuge aussagen musste, waren Grund dafür, dass der Kaiser seinen Minister am 22. April ungnädig entließ, worauf dieser den Freitod wählte. Später stellte sich seine Unschuld im Unterschlagungsskandal heraus. Die Diskussionen im Ministerrat über die Begräbnisfrage (IV/2, 124ff) geben ein erschütterndes Bild, wie zu jener Zeit gerade auch in höchsten Kreisen mit Selbstmördern umgegangen wurde. Die Bewältigung des Finanzproblems wurde Aufgabe von Brucks Nachfolger Ignaz von Plener, der im Wesentlichen dieselbe Linie wie sein Vorgänger verfocht. Als Plener am 7. Juni eröffnete, dass das Budget für 1861 eine 10%ige Neuverschuldung aufweisen würde, wurde die Unumgänglichkeit großer Reformen allgemein anerkannt: Am 17. Juli 1860 erklärte der Kaiser, „künftig die Einführung neuer Steuern und Auflagen, dann die Erhöhung“ gewisser bereits bestehender Steuern, „nur mit Zustimmung Meines verstärkten Reichsrathes anzuordnen“ (RGBl. Nr. 181). Erstmals seit Beginn des Neoabsolutismus hatte der Kaiser eines seiner wichtigsten Rechte an die Zustimmung eines anderen Organs gebunden, womit der lange, mühsame Weg zurück zum Konstitutionalismus begonnen worden war.

 

Franz Joseph, der vom Bearbeiter der Protokolle als „offener, klarsichtiger und zu scharfen Fragen fähiger Monarch“ beschrieben wird (IV/2, XXXVIII), war sich schon vor Einberufung des Reichsrates bewusst, dass die „noch unentschiedenen Fragen über die Gestaltung der Landesvertretungen, über die Gemeindeordnungen und die damit im Zusammenhang stehenden Organisierungen ... nunmehr mit tunlichster Beschleunigung zur Entscheidung gebracht werden“ müssten (IV/2, 14). Von diesen Beratungen wurde der Verstärkte Reichsrat ferngehalten, da befürchtet wurde, er könne sich sonst zu einer „Assemblée constituante ... gerieren“ (IV/2, 256). Innenminister Agenor Graf Gołuchowski konnte in der Tat an vorbereitende Arbeiten anknüpfen, die schon während der Zeit des Neoabsolutismus weit gediehen waren. Es ging dabei nicht um die Schaffung konstitutioneller Landesparlamente, sondern um (neu-)ständische Versammlungen, bei denen, wie Bruck am 22. März kritisch hervorhob, Adel und Klerus „ebenso viele Stimmen haben [sollten] als die ganze übrige Bevölkerung“ (IV/2, 55). Von besonderem Interesse für die Entstehung der Landesstatute 1860 ist ein von Gołuchowski dem Ministerrat vorgelegtes „Organisches Statut über die Landesvertretung“, welches gemeinsame Bestimmungen für alle Länder vor eine gemeinsame Klammer setzen hätte sollen (abgedruckt in Bd. IV/2 als Nr 129a). Es wurde zwar durchberaten, aber letztlich als unnötig empfunden, seine Bestimmungen in die einzelnen Landesstatute eingearbeitet, die aus diesem Grunde viele wortidente Bestimmungen aufwiesen. Bekanntlich sollte sich dieser „Rank-Xerox-Föderalismus“ bei den Landesordnungen 1861 noch in viel stärkerem Maße fortsetzen.

 

Im engsten Zusammenhang mit der Schaffung von neuständischen Landtagen in den einzelnen Kronländern stand die ungarische Frage. Am 30. März 1860 berichtete der Kaiser im Ministerrat vom Rücktritt des bisherigen Generalgouverneurs Erzherzog Albrecht und von seiner Ersetzung durch Ludwig von Benedek. Die Dramatik der Ministerkonferenz ist am Protokoll deutlich ablesbar (IV/2, 85ff); alle Mitglieder beteiligten sich an der Diskussion, gaben z. T. auch umfangreiche schriftliche Stellungnahmen ab, bedeutete dieser Personalwechsel doch zugleich einen grundlegenden Richtungswechsel des Wiener Hofes in seiner Ungarnpolitik. Endlich beschloss der Kaiser, die 1849 erfolgte Zerschlagung Ungarns in fünf Teile wieder aufzuheben und einen vereinigten Landtag für ganz Ungarn einzuberufen, auch wenn er sich der damit verbundenen Risiken wohl bewusst war: „Sollte derselbe sich bedenkliche Ausschreitungen erlauben, so würde er ohne Verzug aufzulösen sein.“ (IV/2, 95)

 

Die endgültigen Weichen zur Umgestaltung der Monarchie wurden dann nicht mehr im Ministerrat gestellt, sondern im „intimsten Kreis der Macht“ (IV/2, XXXVIII), in persönlichen Gesprächen, die Franz Joseph am 25. und 26. August 1860 in Schönbrunn führte. Das diesbezügliche Protokoll, obgleich anderer Provenienz, wurde im gegenständlichen Protokollband (IV/2, 473ff) abgedruckt. Die in der Literatur auftauchenden Legenden um den ungarischen Reichsrat Anton Graf Szécsen und seinen dominierenden Einfluss auf den Kaiser werden zwar vom Bearbeiter der Protokolle zurückgewiesen (IV/2, XLIII), haben aber einen wahren Kern: Sehr offen erklärt Szécsen in diesen Schönbrunner Konferenzen, dass „Auswärtige Angelegenheiten, Krieg, Finanzen, Zoll und Handel ... ohne jede Einmischung des ungarischen Landtages der Zentralgewalt vorbehalten“ bleiben müssen (IV/2, 475), fordert aber zugleich eine Eigenständigkeit Ungarns hinsichtlich der meisten anderen Materien, die von einer eigenen ungarischen Hofkanzlei wahrgenommen werden sollen; diese Umgestaltung der Zentralverwaltung im dualistischen Sinne erfolgte tatsächlich, am 20. Oktober 1860, durch mehrere kaiserliche Handschreiben. Mit ihnen wurde u. a. Nikolaus Vay von Vaya zum ungarischen Hofkanzler ernannt, während Gołuchowski vom Innenminister der Gesamtmonarchie zum „Staatsminister“ für die cisleithanische Reichshälfte avancierte. Als solcher hatte er nun nicht nur die Bereiche Inneres, sondern auch Unterricht und Justiz zu betreuen, aber eben nur mehr für Cisleithanien. Die damit theoretisch aufgelösten Ministerien des Unterrichts und der Justiz wurden de facto fortgeführt und zwei Minister ohne Portefeuille (Joseph Alexander von Helfert bzw. Joseph Lasser von Zollheim) mit ihrer provisorischen Leitung beauftragt. Für die siebenbürgische Hofkanzlei wurde lediglich ein „provisorischer Präsident“, Franz von Kémeny, ernannt – das Übergangsstadium, in dem sich die Monarchie befand, kommt in der Zusammensetzung des Ministerrates deutlich zum Ausdruck!

 

Kern der Reform vom 20. Oktober 1860 war aber das „Kaiserliche Diplom zur Regelung der inneren staatsrechtlichen Verhältnisse der Monarchie“, das sog. Oktoberdiplom. In ihm versprach der Kaiser für sich und seine Nachfolger, „das Recht, Gesetze zu geben, abzuändern und aufzuheben“ nur mehr „unter Mitwirkung der gesetzlich versammelten Landtage beziehungsweise des Reichsrathes“ auszuüben (RGBl. Nr. 226). Indem das Oktoberdiplom den Ungarn und dem liberalen Bürgertum Zugeständnisse machte, aber doch keine konstitutionelle Verfassung war, sondern sich nach wie vor auf dem Boden des sog. Historischen Staatsrechts bewegte, handelte es sich um einen bemerkenswerten Kompromissversuch, um „die notwendige Antwort der Regierung auf den Beschluß des [Verstärkten] Reichsrates“ (IV/2, XLI), der in seiner Schlusssitzung der Regierung sein Vertrauen in den Staatsvoranschlag für 1861 verweigert hatte.

 

Die weitere Entwicklung bis hin zum Ende der Regierung Rechberg ist Gegenstand von Bd. IV/3 der Ministerratsprotokolle. Er beschreibt, wie die anfängliche Euphorie des liberalen Bildungsbürgertums über die Staatsreform einer immer größeren Enttäuschung Platz machte, die sich in Cisleithanien weniger auf das Oktoberdiplom selbst als auf die Landesstatute bezog, zumal diese in Zusammensetzung und Wirkungskreis weit hinter den transleithanischen Landtagen zurück blieben. Dort, in Ungarn, wurde der gesamte Reformversuch abgelehnt und die Rückkehr zu den Aprilgesetzen von 1848 gefordert. Während in Cisleithanien die Regierung von der Presse immer schärfer kritisiert wurde, reagierten viele Ungarn sogar mit Steuerverweigerungen, was die Finanzkrise des Staates noch weiter verschlimmerte. Am 13. Dezember 1860 stürzte Gołuchowski, an seine Stelle trat Anton Ritter von Schmerling.

 

Scharf weist der Bearbeiter der Ministerratsprotokolle die in der Literatur oft verwendete Bezeichnung des Oktoberdiploms als „Verfassungsexperiment“ zurück (IV/3, LIII). Als solches mag es rückblickend wegen seines Scheiterns schon nach wenigen Monaten gewirkt haben; als es erlassen wurde, war es aber durchaus nicht als Experiment, sondern als ehrlicher Versuch zur Reform der Monarchie gedacht. Die mittel- und langfristigen Folgen, insbesondere für Transleithanien, waren groß: Erinnert sei nur daran, dass die von Innenminister Bach in Ungarn eingesetzten, dort verhassten Beamten (die „Bach-Husaren“) bereits in Folge der Handschreiben vom 20. Oktober zu Tausenden (!) von ihren Dienststellen entfernt wurden (IV/3, XLII). Die Zensur – wiewohl erst 1867 verfassungsrechtlich verboten – war tatsächlich schon 1860 aufgehoben worden, und die Presse spielte bei den hier dargestellten staatsrechtlichen Veränderungen eine gewaltige Rolle. Ein im „Wanderer“ am 13. November erschienener Artikel, der die Landesstatute kritisiert hatte, war dem Kaiser zu weit gegangen, weshalb er in einem Handschreiben (abgedruckt in IV/3, 60, Anm. 8) seinen Ministerpräsidenten Johann Graf Rechberg um „Abhülfe“ bat. – Szécsen, mittlerweile Minister ohne Portefeuille im Kabinett Rechberg, meinte dazu jedoch: „Nachdem die Zensur abgeschafft, müsse man sich daran gewöhnen, mit der Presse, wie sie ist, zu regieren“ (IV/3, 63). Und es geschah in der Angelegenheit – nichts. Die Pressefreiheit hatte ihren ersten Sieg seit über zwölf Jahren errungen.

 

Mit der Ernennung Schmerlings, der schon 1848 Ministerpräsident unter dem deutschen Reichsverweser Erzherzog Johann und 1849–1951 Justizminister unter Kaiser Franz Joseph gewesen war, waren die Weichen endgültig in Richtung Liberalismus und Konstitutionalismus gestellt. Schmerling setzte die Arbeiten seines Amtsvorgängers an der Durchführung des Oktoberdiploms fort, jedoch mit deutlich anderen Zielsetzungen: Aus den „Landesstatuten“ wurden „Landesordnungen“ (die völlig gleichmäßig für alle cisleithanischen Länder, auch jene, die bereits ein Landesstatut hatten, ergingen), aus dem versprochenen „Reichsratsstatut“ ein „Grundgesetz über die Reichsvertretung“, und am 26. Februar 1861 sanktionierte der Kaiser jenes Patent, welches dieses ganze Bündel von Gesetzen gemeinsam mit dem Oktoberdiplom und den Handschreiben vom 20. Oktober als die „Verfassung unseres Reiches“ bezeichnete und schlicht als das „Februarpatent“ in die Geschichte eingegangen ist  (RGBl. Nr. 20).

 

„Man hat zwischen dem Oktoberdiplom und dem Februarpatent einen Widerspruch gesehen und jenes föderalistisch, dieses zentralistisch bezeichnet. Dieses sich hartnäckig haltende Urteil ist falsch, es beruht auf einem Mißverständnis“, welches vom Bearbeiter erläutert und schlüssig widerlegt wird (IV/3, XXXIII). Der Hauptunterschied zwischen 1860 und 1861 lag vielmehr darin, dass den Landtagen und dem Reichsrat erst mit dem Februarpatent ein echtes Gesetzgebungsrecht zukommen sollte, und dass auch die neuständische Zusammensetzung dieser Versammlungen abgeschwächt wurde – der Formulierung des Bearbeiters, dass der „ständische Charakter weitgehend aufgegeben“ worden war (IV/3, XXXII), vermag sich der Rezensent nicht anzuschließen, zumal die neuen Kurien das ständische Prinzip doch noch immer deutlich durchschimmern ließen: Großgrundbesitzer waren nun einmal weitgehend Adelige, und im Falle Tirols wurde dies sogar ausdrücklich festgeschrieben! – Der neue Umgang mit dem Parlamentarismus kommt aber jedenfalls im Ministerratsprotokoll vom 17. Jänner 1861 heraus, als Schmerling betont, „daß bei der Ausübung eines politischen Rechtes, welches nach allgemeinen Grundsätzen nur ein höchst persönliches sein könne, der Besitz nicht entscheidend sei, wie etwa bei den Teilnehmern an einer Aktiengesellschaft, wo der Besitz mehrerer Aktien auch ein Recht auf mehrere Stimmen gebe“ (IV/3, 283).

 

Die Endphase der Entstehung des Februarpatentes, seine Promulgation und die faktische Rückkehr zum Parlamentarismus sind nicht mehr Gegenstand von Bd. IV/3, sondern fallen bereits in die Zeit des Ministerpräsidenten Erzherzog Rainer, der diesbezügliche Protokollband Bd. V/1 wurde bereits 1977 veröffentlicht (besprochen in ZRG, Germ. Abt. 96 [1979] 363–365). Für das Herausgeberkomitee hat sich damit ein vor langer Zeit geöffneter Kreis geschlossen.

 

Insgesamt vermitteln die Protokollbände der Jahre 1860 und 1861 ein deutlich schärferes Bild von der Entstehung des Oktoberdiploms und des Februarpatentes, als es die bisherigen Darstellungen zu geben imstande waren. Die „politischen Entscheidungen“, die in jenen Monaten getroffen wurden, erscheinen nur auf „den ersten Blick ... als widersprüchlich und sprunghaft“; genauere Analyse – wie sie insbesondere in den hervorragenden Einleitungen zu den Protokollbänden erfolgt – zeigt, dass „es sich um mehrere unterschiedliche und nicht synchron verlaufende Prozesse“ handelte: „Das Ziel war klar, es war unverändert seit dem Sommer 1859 ... zeitgemäße Reformen ... (was aber hieß das?) zur politischen Beruhigung in allen Reichsteilen als Grundlage für die finanzielle Konsolidierung und für die außenpolitische Stabilisierung“ (IV/3, LXI).

 

Nur kurz darauf aufmerksam gemacht sei, dass die Protokolle natürlich nicht nur verfassungsgeschichtliche Inhalte aufweisen: Hinzuweisen ist vor allem auf das Protestantenpatent vom 8. April 1861, welches ab Jänner jenes Jahres im Ministerrat intensiv diskutiert wurde und den evangelischen Christen A. B. und H. B. nicht mehr bloße Duldung, sondern Gleichberechtigung mit den Katholiken bringen sollte (IV/3, 309ff). Aber auch ein Konzert des Wiener Männergesangsvereins (IV/2, 26), die Abtragung und Neuerrichtung der Turmspitze des Wiener Stephansdomes aus statischen Gründen (IV/2, 108), die Fertigstellung der Bahnstrecke nach München (IV/2, 341) und viele andere damals aktuelle Ereignisse werden im Ministerrat besprochen; die Lektüre derart vermischter Themen ist nicht ohne Reiz und vermittelt zugleich ein authentisches Bild jener Zeit.

 

Die beiden hier besprochenen Bände wurden, wie schon Band IV/1, von Stefan Malfèr äußerst sachkundig bearbeitet; die Editionsprinzipien sowie auch die hohe Qualität der Edition mit ihrem umfangreichen Anmerkungsapparat und ihrer instruktiven Einleitung wurden unverändert beibehalten. Erfreulich ist, dass nunmehr auch einige ergänzende Quellen, darunter v. a. das Organische Statut über die Landesvertretungen vom 21. März, der Vortrag Gołuchowskis vom 2. Oktober oder das Rundschreiben Schmerlings vom 23. Dezember 1860 aufgenommen wurden, handelt es sich hierbei doch um Quellen von herausragender verfassungsgeschichtlicher Bedeutung. Die in meiner Besprechung zu den Bänden II/2 und II/3 (in ZRG Germ. Abt. 125 [2008] 814–817) erwähnten organisatorisch-finanziellen Probleme des wissenschaftlichen Großprojektes „Ministerratsprotokolle“ konnten in der Zwischenzeit in befriedigender Weise gelöst werden, indem das Projekt und seine Mitarbeiter nunmehr in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt sind. So wie schon Bd. IV/3, werden auch alle weiteren Bände im Verlag der Akademie erscheinen. Möge in diesem neuen institutionellen Rahmen die Edition der Ministerratsprotokolle 1848–1867 zu einem glücklichen Ende geführt werden!

 

Wien                                                                                                              Thomas Olechowski