Die Juden in der Oberpfalz, hg. v. Brenner, Michael/Höpfinger, Renate (= Studien zur jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern 2). Oldenbourg, München 2008. VIII, 263 S. Besprochen von Hans-Michael Empell.

 

Der Band umfasst dreizehn Aufsätze. Sie beruhen überwiegend auf Vorträgen, die auf einer im September 2006 in Sulzbach-Rosenberg durchgeführten Tagung zum Thema „Geschichte der Juden in der Oberpfalz“ gehalten wurden. Die Tagung wurde von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit und dem Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München veranstaltet. Ergänzt wurden diese Beiträge durch weitere Artikel. Die Aufsätze sind mit Abbildungen versehen. Ein kurzes „Vorwort“ der beiden Herausgeber und eine „Einführung“ durch einen der Herausgeber, Michael Brenner, sind vorangestellt. Abgeschlossen wird der Band durch eine „Auswahlbibliographie zur Geschichte der Juden in der Oberpfalz“ (S. 249ff.) sowie ein Personen- und ein Ortsregister (S. 255ff.). Die Aufsätze sind, wie schon der Titel deutlich macht, auf die Oberpfalz beschränkt, jenen Teil Bayerns, der im Osten an Tschechien grenzt und dessen Zentrum Regensburg ist. Das Ziel der Publikation besteht laut „Vorwort“ darin, an den im Buch behandelten Orten, insbesondere auch an Schulen, das Bewusstsein dafür zu stärken, „dass jüdische Präsenz nicht immer in weit entfernten Städten zu finden war“ und dass die Juden nicht immer „Opfer von Verfolgungen“ waren, sondern dass sie jahrhundertelang in der Oberpfalz lebten, studierten und ihren beruflichen Tätigkeiten nachgingen.

 

Andreas Angerstorfer stellt in dem Beitrag: „Regensburg als Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit im Mittelalter“ (S. 9ff.) fest, Regensburg habe eine Drehscheibe jüdischer Gelehrsamkeit zwischen den Zentren im Westen (Paris, Speyer, Mainz, Worms) und im Osten (Prag, Gemeinden in Polen, Kiew) gebildet, und zeigt am Beispiel einiger Lehrer der Regensburger Talmudschule die Bedeutung dieser Gemeinde und ihrer Rabbiner im europäischen Kontext. Anschaulich schildert Angerstorfer die zum Teil kontrovers geführten theologisch-juristischen Debatten Regensburger Rabbiner mit jüdischen Gelehrten andernorts. Den Beitrag beschließt ein Anhang: „Pergamente jüdischer Provenienz in den oberpfälzischen Archiven“ (S. 24ff.). Einem kunsthistorischen Gegenstand widmet sich Hans-Christoph Dittscheid in dem Aufsatz: „Die Synagogenbauten der Oberpfalz vom Mittelalter zur Moderne. Verluste – Entdeckungen – Deutungen“ (S. 27ff.). Ittai J. Tamari behandelt das Thema: „Sulzbach – eine der bedeutendsten hebräischen Druckereien Europas“ (S. 53ff.). Der Autor schildert die Entwicklung jüdischer Druckereien in Sulzbach von der Erteilung des ersten Druckprivilegs 1669 durch den Wittelsbacher Pfalzgrafen Herzog Christian August (1622-1708) an den aus Prag stammenden Setzer Isaak Kohen ben Jehuda bis zum Jahr 1851, in dem der letzte Druck aus Sulzbach, ein Gebetbuch, erschien. Anschließend stellt Tamari die Praxis jüdischer Drucker an Hand von vier Beispielen dar. Andreas B. Kilcher geht in dem Beitrag: „Kabbala in Sulzbach. Zu Knorr von Rosenroths Projekt der Kabbala Denudata“ (S. 69ff.) auf ein Kapitel der Rezeption jüdischer Mystik durch christliche Gelehrte ein, hier: durch Christian Knorr von Rosenroth (1636-1689), den Quäker Franciscus Mercurius van Helmont (1618-1699) und den bereits erwähnten Pfalzgrafen Herzog Christian August, einen toleranten, zum Katholizismus konvertierten Protestanten, der an Mystik interessiert war. Die folgenden drei Beiträge betreffen die Geschichte kleiner jüdischer Gemeinden. Renate Höpfinger berichtet über „Die jüdische Gemeinde von Floß“ (S. 87ff.); Sebastian Schott behandelt „Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Weiden bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts“ (S. 105ff.) und Dieter Dörner widmet sich den „Neuzeitlichen Judengemeinden in Amberg“ (S. 119ff.). Die Gemeinde in Floß besteht heute nicht mehr. Aubrey Pomerance geht in dem Aufsatz: „Rabbiner Magnus Weinberg. Chronist jüdischen Lebens in der Oberpfalz“ (S. 139ff.) auf Leben und Werk eines orthodoxen Rabbiners (1867-1943) ein, der sich sein Leben lang mit der Geschichte der jüdischen Gemeinden in der Oberpfalz beschäftigt und zahlreiche Publikationen dazu verfasst hat, die von der Forschung noch heute herangezogen werden, unter anderem zu jüdischen Druckern in Sulzbach, die auch Thema eines Beitrags im vorliegenden Band sind. Weinberg war der letzte Rabbiner Würzburgs, der die Gemeinde bis zu ihrer Auflösung im September 1942 begleitet hat. Er selbst wurde nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 12. 2. 1943. Jakob Borut behandelt in dem Aufsatz: „Die Juden in Regensburg 1861-1933“ (S. 159ff.) die Entwicklung jüdischen Lebens in Regensburg von der Aufhebung der Judenmatrikel (die das Wohnrecht der Juden in Bayern an einem Ort auf eine bestimmte Zahl begrenzt hatte) am 10. 11. 1861 bis 1932, als die jüdische Volksschule ihr 100-jähriges Bestehen feierte und damit die letzte Feierlichkeit abgehalten wurde, in der die Regensburger Juden öffentlich und kollektiv als gleichberechtigte Staatsbürger auftreten konnten. In den folgenden drei Beiträgen wird das Schicksal der Juden während der Zeit von 1933 bis 1945 dargestellt. Einen Überblick gibt Andreas Angerstorfer in dem Aufsatz: „Chronik der Verfolgung: Regensburger Juden während des Nationalsozialismus“ (S. 183ff.). Gabriele Ziegler beschreibt in dem Beitrag: „,Was haben gerade wir verbrochen?’ Die Vertreibung der jüdischen Familie Bruckmann aus Nabburg“ (S. 197ff.) sehr eindrucksvoll, zum Teil mit Hilfe erhalten gebliebener Briefe, das Schicksal einer Kaufmannsfamilie, die zunächst ihrer Rechte und ihres Vermögens beraubt und schließlich zum größten Teil im Ghetto Belzyce und im Konzentrationslager Majdanek (beide nahe Lublin in Ostpolen) getötet wurde. Nur wenigen gelang die Emigration. Jörg Skriebeleit ist der Autor des Aufsatzes: „Aus den Vernichtungslagern in die Oberpfalz. Eine Bestandsaufnahme zu den jüdischen Häftlingen im KZ Flossenbürg“ (S. 213ff.). Zunächst waren in diesem 1938 gegründeten Lager überwiegend politische Häftlinge interniert, im Sommer 1944 wurden zehntausende jüdischer Menschen dort eingewiesen, schließlich diente es als Auffanglager für Häftlinge aus anderen Konzentrationslagern. Nach einer vorsichtigen Schätzung sind zwischen 4000 und 5000 Juden dort umgekommen. Michael Brenner beschließt die Aufsatzreihe mit „Impressionen jüdischen Lebens in der Oberpfalz nach 1945“ (S. 231ff.). Der Beitrag endet verhalten optimistisch. Nach der Auflösung der Sowjetunion wanderten zahlreiche Juden in die Bundesrepublik Deutschland aus. So nahm auch die Zahl der Gemeindemitglieder in der Oberpfalz deutlich zu. Die Gemeinden in Regensburg, Weiden und Amberg umfassen nun insgesamt etwa 1500 Mitglieder.

 

Obwohl der Band keinen Beitrag explizit rechtshistorischen Inhalts enthält, wird doch klar, welche überragende Bedeutung dem Recht für die Juden (nicht nur in der Oberpfalz) zukam – in zweifacher Hinsicht. Zum einen gehörten Recht und juristische Diskussionen (die freilich von der theologischen Sphäre nicht getrennt waren) zu der von Rabbinern gepflegten Gelehrsamkeit. Im Mittelalter gab es in der Oberpfalz lebende, jüdische Gelehrte von europäischem Rang. Zum anderen waren die Juden von der Rechtsetzung und Beachtung des Rechts durch die jeweiligen Landesherren und später durch die staatlichen Organe existenziell abhängig. Wurde diese Grundlage beschnitten oder sogar vollständig entzogen, war dies gleichbedeutend mit Verfolgung und Vernichtung. Obwohl der Band allein die Geschichte der Juden in der Oberpfalz behandelt, ist mit dieser Beschränkung kein Nachteil verbunden. So konnten die Darstellungen anschaulich und lebendig geraten. Dem Band ist eine weite, über die Oberpfalz hinausgehende Verbreitung zu wünschen.

 

Heidelberg                                                                                          Hans-Michael Empell