Degenhardt, Frank, Zwischen Machtstaat und Völkerbund. Erich Kaufmann (1880-1972) (= Studien zur Geschichte des Völkerrechts). Nomos, Baden-Baden 2008. XII, 244 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Michael Stolleis angeregte und betreute, am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte materiell und ideell geförderte, im Sommersemester 2006 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt am Main angenommene Dissertation des Verfassers. Sie betrifft, wie der Verfasser in der Einleitung nach einer Porträtzeichnung (Pictor) aus der Zeit vom 21. 9. 1950 schreibt, ohne Zweifel eine schillernde Figur der juristischen Zeitgeschichte. Wo die einen den Staatsrechtslehrer, Völkerrechtler und Rechtsphilosophen als einen der wenigen Großen der deutschen Rechtswissenschaft (Josef Partsch) würdigten, lehnten ihn andere ebenso entschieden ab.

 

Der Verfasser gliedert seine Arbeit in drei Kapitel. Vorweg führt er in Untersuchungsgegenstand, methodisches Vorgehen und Forschungslage ein. Im Zentrum seines Interesses steht der Völkerrechtler der Vorkriegszeit und Zwischenkriegszeit, so dass der Verfasser sich thematisch wie zeitlich selbst begrenzt, Kaufmann aber bereits zu Beginn in die gesamte Wissenschaftsgeschichte des Völkerrechts einordnet.

 

Das erste Kapitel ist Kaufmanns Völkerrechtskonzeption gewidmet und unter die Leitlinie vom Wesen des Völkerrechts zu den Règles Générales gestellt. Dabei beginnt der Verfasser mit Kaufmanns Machtstaatslehre vor 1918/1929, die er in Auseinandersetzung mit Jellinek und Triepel entfaltet. Als Schlussfolgerungen ermittelt der Verfasser das Selbsterhaltungsrecht als einziges Staatengrundrecht.

 

Dem werden die Konkretisierungen in der Völkerbundära angeschlossen. Dabei geht es um Prinzipien der Gerechtigkeit, die Auseinandersetzung mit völkerrechtssoziologischen Ansätzen, Monismus oder Dualismus, Völkerrechtssubjektivität und Souveränitätsdogma, Dialektik von Statik und Dynamik und Kaufmanns Position hinsichtlich der Funktion des internationalen Richters zwischen Autorität und Freiheit als amiable compositeur. Im Ergebnis erwächst hieraus politisches Völkerrecht.

 

Das zweite Kapitel betrifft Interessenkonflikte zwischen Wissenschaft und Praxis. Dabei folgen dem Kampf gegen Versailles die institutionelle Einbindung im auswärtigen Amt (1927) mit Tätigkeitsschwerpunkten als Verhandlungsdelegierter, Rechtsberater und Prozessvertreter, die bald zwischen die Stühle führen. In der Auseinandersetzung mit Carl Schmitt wird der von vier jüdischen Großeltern abstammende, in Demmin/Pommern am 21. 9. 1880 geborene, nach dem Studium in Berlin, Heidelberg, Halle und Erlangen, der Promotion in Halle (1906) und der Habilitation (1908) in Kiel über Königsberg, Berlin und Bonn nach Berlin gelangte Gelehrte vom Freund zum Feind. Auf Raten wird er vertrieben, bis er 1939 in die Niederlande emigriert.

 

Das dritte Kapitel behandelt ausgewählte Beispiele im Umgang mit dem ungerechten Recht. Sie betreffen Minderheitenschutz, Liquidation und iura quaesita, den Streit um die Dawes-Annuitäten und hinsichtlich der Souveränität und staatlichen Unabhängigkeit den deutsch-österreichischen Zollunionsstreit. Die Schlussbetrachtung geht von einer Materialisierung des Völkerrechts aus.

 

Im Epilog greift der Verfasser den Neuanfang auf, der 1946 an der Universität München erfolgt. Zusammenfassend wertet er die bedeutenden Leistungen des in Heidelberg am 5. 11. 1972 verstorbenen Kaufmann in zehn klaren Punkten. Damit wird er der besonderen Leistung des streitbaren, Machtsstaat und Völkerbund politisch vereinbarenden Völkerrechtlers in ansprechender Weise gerecht.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler