Degen, Barbara, Justitia ist eine Frau. Geschichte und Symbolik der Gerechtigkeit. Katalog zu der Ausstellung Füllhorn, Waage, Schwert - Justitita ist eine Frau (= Schriften aus dem Haus der Frauengeschichte 3). Verlag Barbara Budrich, Opladen 2008. 189 S., 202 Abb. Besprochen von Clausdieter Schott.

 

In der rechtsikonografischen Forschung bilden Gerechtigkeitsdarstellungen und unter diesen wiederum die Personifizierung der Justitia eine zentrale Thematik. Beispielhaft erwähnt seien etwa Wolfgang Schilds „Bilder von Recht und Gerechtigkeit“ (Köln 1995) sowie als jüngste Publikation das Buch Lars Ostwaldts „Aequitas und Justitia. Ihre Ikonographie in Antike und früher Neuzeit“ (Halle an der Saale 2009). Bei der vorliegenden Schrift handelt es sich nun um die Begleitbroschüre zu einer Ausstellung „Füllhorn, Waage, Schwert – Justitia ist eine Frau“, die seit 2006 in Gerichten, Universitäten, Rathäusern, Museen, Rechtsanwaltskammern usw. gezeigt wird. Da die Schrift den Anspruch auf rechtshistorische Forschung und Information erhebt, darf sie von der Fachwelt entsprechend zur Kenntnis genommen werden.

 

Der zeitliche Rahmen ist mit 23000 Jahren weit gespannt, die Zeittafel reicht sogar bis 30000 v. Chr. Das Geschichtskonzept ist folgendes: „Das  weibliche Naturrecht stand am Beginn jeder Kultur- und Gemeinschaftsentwicklung, jedes Neuanfangs. Es setzt sich in der Geschichte als matriarchales Muster fort und durch“(17). Mit der Vokabel „matriarchal“ ist das Stichwort gefallen, welches dann die gesamte Schrift durchzieht. Inhaltlich wird das „weibliche Naturrecht“ identifiziert mit Gerechtigkeit, die wiederum als Mütterlichkeit, Weisheit und Liebe konkretisiert wird. Damit ist auch die einfache Antwort gefunden auf die eingangs gestellte Frage: „Warum ist Justitia, das Symbol der Gerechtigkeit, eine Frau?“ Die Welt der Frauen ist „eine friedliche, gewaltfreie und liebevolle Welt“ (11), mit anderen Worten ein irdisches Paradies, und tatsächlich schließt die Abhandlung mit der These, dass auch „Utopia“ eine Frau ist (188). Folgerichtig sind daher die Frauen die „Repräsentantinnen der Tugenden, des Wertesystems“ (12). Vorläufig nicht gesagt wird, wer dann Ungemach in dieses vollkommene System gebracht hat. Bei weiterer Lektüre findet sich aber auch darauf eine nicht ganz überraschende Antwort. Keine Antwort wird jedoch auf die auch gar nicht gestellte Frage gegeben, warum die Gegenwelt der Tugenden, die Laster, schon im Griechischen wie dann auch im Lateinischen ebenfalls weiblichen Geschlechts sind. Auch steht der Justitia ja doch eine Ungerechtigkeit (griechisch adikia, lateinisch iniquitas) gegenüber, deren Weiblichkeit nicht thematisiert wird. Die Ambivalenz ließe sich weiterspinnen: Sowohl Friede wie Streit – im Deutschen maskulin – werden beide im Griechischen wie im Lateinischen feminin gebildet. Bei allen diesen Sprachspielereien sollte sich irgendwann die Figur der Allegorie aufdrängen. Diese wird hier aber gar nicht erst angesprochen, geschweige denn reflektiert.

 

Geht man ins Detail, so hat man zu konstatieren, dass es mit dem vorgeführten Ensemble der ägyptischen, griechischen und römischen Göttinnen sein Bewenden hat und der männliche Teil des jeweiligen Pantheons gänzlich ausgeblendet bleibt. Symmetrie wird aber ohnehin nicht angestrebt, was dann am spiegelbildlichen irdischen Geschehen exemplifiziert wird. So versteht die Verfasserin die Geburt der Athene aus dem Haupt des Zeus als „männliche Aneignungsgeschichte“, die deutlich mache, „dass Männer nicht nur die Weisheit der Frauen begehren und brauchen, sondern sich auch von ihren Wurzeln ‚abnabeln’, emanzipieren wollen. Dann entstehen häufig frauenlose Theorien und Bilder, die die weibliche Schöpfungskraft der Dreiheit von Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe ignorieren.“ (13). Wenn es um Gerechtigkeit geht, sind aber „Frauen in der Regel die Lehrmeisterinnen“ (15). Männliche Aneignungen setzen sich dann auch im Christentum fort: „Die dreifache Erscheinung von Muttergottheiten wird als Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist von der Kirche vereinnahmt“ (25). Mit einer solchen These mag sich die Theologie befassen, und die Kirchengeschichte ist gefragt, wo es um  die Behauptung geht, dass in den ersten christlichen Jahrhunderten „im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen die Frage nach der Weiblichkeit Gottes“ gestanden hätte (57). Spezialisten der christlichen Ikonologie bleibt es überlassen, ob die Mandorla (ganzkörperliche Heiligengloriole) tatsächlich ein „Vulva-Zeichen“ darstellt (81). Dahingestellt sei schließlich  auch, ob die heilige Zahl Drei als Verallgemeinerung des weiblichen „Schoßdreiecks“ zu interpretieren sei (47). Jedenfalls hat man das alles auch schon anders gelesen.

 

Zurück also zur Kulturgeschichte mit Rechtsbezug: „Griechische Philosophinnen und Dichterinnen lehrten die Männer ihre Weltsicht. Die Stärke der Frauen rief Gegenreaktionen  und Emanzipationsversuche von Männern hervor. Sie zeigten sich in dem Bestreben, vaterrechtliche Bestimmungen und frauenfeindliche Gesetze durchzusetzen“ (43). Hatten sich die Griechen das Recht als „Kampfmittel gegen die Frauen“ vor allem ausgedacht, so machten die Römer damit Ernst: „Im römischen Recht verschärfte sich der Kampfaspekt von Recht. Juristen und Rechtswissenschaftler stellten ihre eigene, männliche Sicht gegenüber Frauen und ihre Abwehr der weiblichen Macht in den Vordergrund“ (62).

 

Auch im Mittelalter bleibt die geschlechtsspezifische Asymmetrie gewahrt: „Die mittelalterliche Welt, vom Wissen und der Weisheit der Frauen erfüllt, war die Welt der Frauen, in der sich auch Männer heimisch fühlten“ (79). Ganz so heimisch scheinen sich diese allerdings doch nicht gefühlt zu haben, da der Sachsenspiegel, „die erste Zusammenfassung der germanischen Rechtstexte“ (!), die „Grundlagen durch Gerichts- und Geschlechtsvormundschaft zu erschüttern“ suchte (85) und somit die Frauen schlechthin „entmündigte“ (97). In die gleiche Kerbe schlägt dann auch die Goldene Bulle von 1356: „Mit der Goldenen Bulle, dem Reichsgesetz über die Königswahl, wird die ‚Mitkaiserin’ abgeschafft. Die Königin oder Kaiserin hat nicht mehr den Status der Herrscherin, sondern der Ehefrau des Herrschers“ (111). Die Zitate sprechen für sich selbst und der Rezensent kann es sich ersparen, solchem Defizit an rechtshistorischem Verständnis durch lehrhafte Ausführungen abzuhelfen. Dass auch die Hexenverfolgungen willkommene Gelegenheit bieten, wohlfeile Klischees auszubreiten, mag dann kaum noch verwundern. Dazu ist zu lesen, dass diese „ein Versuch (waren), die Gerechtigkeitsbasis und das weibliche Naturrecht in der Gesellschaft umzukehren, zu zerstören und rein männlich neu zu definieren, eine neue scheinbar ‚natürliche Ordnung’, die auf der Vorherrschaft und Definitionsmacht der Männer beruhte, zu etablieren“ (119).

 

Die Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, mögen genügen, um sich ein Bild von der Konzeption der Broschüre wie der Ausstellung machen zu können. Allerdings wird diese Konzeption nicht bis zuletzt konsequent durchgehalten. Ohne ausdrückliche Begründung kühlt das „matriarchalische Prinzip“ seit dem 19. Jahrhundert zur „Gleichberechtigung“ ab, womit spät – aufs Ganze gesehen zu spät – doch noch ein dialogfähiges Terrain erreicht wäre.

 

Solche Konzession ist aber ohnehin nur scheinbar, da am weichgespülten Frauenbild, das alle destruktiven Akteurinnen der Weltgeschichte unterdrückt, nach wie vor festgehalten wird. Literatur wird in reichem Maß angegeben, fast alle Titel aus weiblicher Feder. Rechtshistorisches und rechtsikonografisches Schrifttum fehlt nahezu völlig. Selbst Standardwerke, darunter auch das oben erwähnte Buch Schilds, sucht man vergebens.

 

Die Schrift ist mit zahlreichen Abbildungen, zwar durchweg aus zweiter Hand, aber in guter Qualität ausgestattet. Jedoch folgen die Bildinterpretationen, unbelastet von  kunsthistorischen und ikonografischen Kenntnissen, meist wieder dem besagten Muster. So soll sich die  richtige Welt im berühmten Paradiesgärtlein des Oberrheinischen Meisters (um 1410) folgendermaßen dargestellt finden: „Die Botschaft des Bildes macht deutlich, dass es die Weisheit der Frauen ist, die zu gerechten Einschätzungen und Erkenntnissen führt und dass es Männern gut tut, wenn sie sich in den weiblichen Raum von Liebe und Gerechtigkeit begeben“ (91). Eine überraschende Erkenntnis zu einem Bild der Hortus-conclusus-Thematik, die gewöhnlich als Darstellung der Jungfräulichkeit Mariens gedeutet wird.

 

Indessen wartet gleich die erste Abbildung – die Eröffnungstafel der Ausstellung – mit einem peinlichen Irrtum auf. Wiedergegeben ist eine gekrönte, thronende Sapientia mit folgendem Spruchband: „Ab initio et ante secula creata sum“ (11). Es bedarf keiner besonderen lateinischen Sprachkenntnisse, um hier wörtlich und unelegant zu übersetzen: „Von Anfang an und vor Jahrhunderten bin ich erschaffen worden.“ Die Verfasserin, die auch sonst Mühe mit lateinischen Ausdrücken bekundet, liefert jedoch folgende Version: „Von Anfang an und vor allem Heiligen bin ich die Schöpferin.“ Das liest sich wie ein schlechter Witz. Seriöser Arbeitsweise wäre es wohl nicht unzumutbar gewesen, der Quelle zu diesem oft zitierten Spruch nachzuspüren. Tatsächlich handelt es sich um ein Zitat aus der Bibel, nämlich dem Buch Jesus Sirach (Vulgatazählung 24,14; neuere Zählung 24,9). Auch wenn man des Lateinischen nicht mächtig ist, hätte ein Blick in irgendeine der zahlreichen deutschen Bibelausgaben klärend gewirkt, wobei selbst die von der Verfasserin geschätzte „Bibel in gerechter Sprache“ keine Ausnahme gemacht hätte. Die „Botschaft“ wäre dann aber wohl eine andere, freilich nicht ins Konzept passende gewesen. Nach solcher Entgleisung  kommt bei weiteren Missverständnissen keine Verwunderung mehr auf, etwa wenn die Verfasserin den sitzenden Gott eines mesopotamischen Rollsiegels von ca. 2100 v. Chr. für eine Göttin erklärt, vielleicht nur weil die Gestalt ein wallendes Gewand trägt (20). Der Katalog, aus dem das Bild bezogen wurde, weiß jedenfalls nichts von solcher „Göttin“.

 

Die sprachlichen wie ikonografischen Fehlleistungen sind leider symptomatisch für die gesamte Publikation.  Es soll nicht bestritten werden, dass auch Einäugige sehen können, aber perspektivisch sieht man eben doch nur mit beiden Augen, und das will die Verfasserin offensichtlich nicht wahrhaben. Die Schrift wie schon die Ausstellung wurde vom „Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ gefördert. Die  Ausstellung wurde im Mai 2009 auch im Bundesministerium der Justiz in Berlin gezeigt und von der Ministerin persönlich eröffnet. Angesichts der Tatsache, dass im akademischen Unterricht die Rechtsgeschichte immer mehr verdrängt wird, darf man sich wundern über soviel öffentlichen Sukkurs. Wissenschaft und Politik sind eben zweierlei Dinge, aber sie sollten es auch bleiben.

 

Zumikon/Zürich                                               Clausdieter Schott