Timmermann, Andreas, Die „Gemäßigte Monarchie“ in der Verfassung von Cádiz (1812) und das frühe liberale Verfassungsdenken in Spanien (= Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, zweite Reihe 39). Aschendorff, Münster 2007. VIII, 421 S. Besprochen von Roland Kleinhenz.

 

Mit der am 19. März 1812 verkündeten Verfassung von Cádiz (Constitución política de la Monarquía Española) wurde die spanische Monarchie zum ersten Mal von einer absolutistischen in eine konstitutionelle Monarchie umgewandelt. Vorbild war die französische Verfassung einer konstitutionellen Monarchie vom 3. September 1791. Diese war aber schon 1793 durch eine republikanische Verfassung abgelöst worden. Auch der spanischen Verfassung von 1812 sollte nur eine kurze Lebensdauer beschieden sein. 1814 errichtete der zurückgekehrte König Ferdinand VII. wieder die absolutistische Monarchie. Bezeichnenderweise geschah dies mit Hilfe Napoléons (Vertrag von Valençay, 11. 12. 1813). Dessen Inthronisation seines Bruders Joseph als König von Spanien im Jahr 1808 und der anschließende spanische Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich hatten erst entscheidend zum Verfassungswandel in Spanien beigetragen. Von 1820 bis 1823 wurde die Verfassung von Cádiz kurzzeitig mit Hilfe eines Militärputsches (pronunciamento) nochmals auf der spanischen Halbinsel in Kraft gesetzt, während sie schon zu dieser Zeit in Spanischamerika praktisch keine Bedeutung mehr hatte. Außer Frage steht aber, dass die Verfassung von 1812 große Bedeutung für die spanische Verfassungsentwicklung als eine Art Prototyp einer konstitutionellen Monarchie hatte und ihre Spuren noch in der aktuellen spanischen Verfassung von 1978 zu finden sind. Zahlreiche Einzelstudien haben sich mit verschiedenen Aspekten im Zusammenhang mit ihrer Entstehung, der Deutung von Verfassungsbestimmungen und den Auswirkungen der Verfassung von 1812 befasst. Timmermann fügt mit seiner zu besprechenden Studie eine weitere Untersuchung hinzu, indem er dem Gedanken der „gemäßigten Monarchie“ in dieser Verfassung und dem frühen liberalen Verfassungsdenken in Spanien nachgeht.

 

Die Studie gliedert sich in 11 Kapitel. Nach einleitenden Bemerkungen zum Ziel der Untersuchung, behandelt Timmermann im zweiten Kapitel dann Elemente und Erscheinungsformen der konstitutionellen Monarchie in Spanien. Er stellt zunächst das Statut von Bayonne von 1808 vor, durch das die Inthronisierung Joseph Bonapartes als König von Spanien durch Napoléon gewissermaßen einen legalen Anstrich erhalten sollte. Anschließend geht Timmermann auf Prinzipien der Verfassung von Cádiz von 1812 ein und beendet das Kapitel mit einem Überblick über das königliche Statut von 1834, das dem Monarchen, im Gegensatz zur Verfassung von Cádiz, wieder ein Übergewicht über das Parlament (die Córtes) einräumte. Interessant ist der Hinweis auf den Beschluss der Córtes von Cádiz vom 25. 9. 1810 (einen Tag nach ihrem Zusammentreten!), durch den sich die Nationalversammlung den Titel „Majestad“ („Majestät“) gab. Die Bedeutung dieses Beschlusses geht noch über den berühmten Beschluss der französischen Nationalversammlung vom 17. 6. 1789 hinaus, durch den sich der Dritte Stand zur Nationalversammlung und zum einzigen rechtmäßigen Repräsentanten der Nation erklärt hatte. Das Besondere des Beschlusses der Córtes wird demgegenüber meines Erachtens von Timmermann zu wenig betont. Die spanische Nationalversammlung setzt sich an die Stelle des Königs. Sie repräsentiert die Nation, also ist die Nation gleichzeitig „Majestät“. Wenn Timmermann weiter ausführt, dass die Proklamation der nationalen Souveränität eine Schwächung der Monarchie bedeutete, so ist auch das noch untertrieben. Wie für Frankreich in der Zeit von 1789 bis 1791, bedeutete dies eine revolutionäre Veränderung der Monarchie, die ab sofort eine von Volkes Gnaden war. In der Verfassung von Cádiz kam die Gewichtung der Verfassungskräfte, wie in Frankreich 1791, entsprechend augenscheinlich zum Ausdruck, indem zunächst von der Nation, dann von den Córtes und erst danach vom König die Rede war.

 

Im dritten Kapitel behandelt Timmermann dann geistige Strömungen und Ausgangsbedingungen des frühen Konstitutionalismus. Interessant sind hier die Ausführungen über die sogenannte gemäßigt-liberale Generation von 1812 („la generación doceanista“). Hier stellt Timmermann drei maßgebliche Vertreter vor: Den wohl einflussreichsten liberalen Verfassungstheoretiker Francisco Javier Martínez Marina, dann Agustin José de Argüelles Álvarez, ein politisches Schwergewicht, das maßgeblich an der Ausarbeitung der Verfassung von Cádiz beteiligt war, und schließlich den bedeutenden Vertreter der spanischamerikanischen Provinzen in den Córtes, José Mejía Lequerica, der auch der „amerikanische Mirabeau“, in Anspielung auf den großen Redner der französischen Nationalversammlung von 1789, genannt wurde.

 

Eines der zentralen Kapitel des Werkes ist sodann Kapitel 4 über das Konzept der gemäßigten Monarchie („monarquía moderada“). Hier versucht der Autor die Einflüsse Montesquieus, des Historismus (Stichwort: Rolle der alten Córtes in den früheren spanischen Königreichen Kastilien, Aragon usw.) und der Glaubenstradition auf das Konzept einer gemäßigten oder beschränkten Monarchie („monarquía limitada“) darzustellen. Allerdings erklärt Timmermann nicht, warum in der Verfassung von Cádiz die Erklärung der römisch-katholischen Religion zur Staatsreligion (Art. 12 der Verfassung) noch vor der Regierungsform der gemäßigten Monarchie in Art. 14 der Verfassung erscheint. Weiterhin hätte anhand der Verfassungsdiskussion in den Córtes zu Art. 14 dargelegt werden müssen, was die Córtes überhaupt unter einer „gemäßigten Monarchie“ verstanden. Hier wäre auch der Vergleich zur französischen Verfassung von 1791 angebracht gewesen. Dort ist nämlich nirgendwo explizit von der „gemäßigten“ Monarchie die Rede, sondern nur davon, dass die Regierungsform eine monarchische sei („Le gouvernement est monarchique;...“, s. dort Titel III, Art. 4). Hier hat die Verfassung von Cádiz also einmal nicht von der französischen von 1791 abgeschrieben. Breiten Raum in diesem Kapitel nehmen Timmermanns Ausführungen zur Frage ein, warum sich in Spanischamerika nicht die Regierungsform einer gemäßigten Monarchie, sondern die der Republik durchsetzte, in Anlehnung an die nordamerikanische Verfassung von 1787. Diese Ausführungen sind gründlich und sehr interessant, weichen aber etwas vom eigentlichen Thema ab. Dabei bleibt bei Timmermann letztlich die Frage unbeantwortet, warum sich nicht das (spanische) Modell einer konstitutionellen Monarchie durchsetzen konnte: Ob das ausschließlich mit der Emanzipation der spanischen Vizekönigreiche zu Nationalstaaten zu tun hatte, die kein Staatsoberhaupt eines spanischen Königs mehr brauchten oder auch andere Faktoren eine wesentliche Rolle spielten, etwa die Überzeugung, dass das republikanische System des nordamerikanischen „Prototyps“ von 1787 mit einem starken, durch das Volk legitimierten Präsidenten an der Spitze der konstitutionellen Monarchie mit einem doch sehr beschränkten König überlegen sei?

 

Reichlich theoretisch wirken leider die dann folgenden Ausführungen im fünften Kapitel über die Rechtfertigung des Staates. Sie beeinträchtigen den Lesefluss im Hinblick auf die Themenstellung merklich. Hier wäre es nicht nötig gewesen, mittels eines Exkurses in die allgemeine Staatslehre die theoretischen Begründungen des Staates ins Gedächtnis zu rufen. Es hätte genügt, die sogenannte Vertragslehre kurz zu erklären, die in den Verfassungsdiskussionen der Córtes von 1811/12 tatsächlich bedeutsam war und dann die entsprechenden Diskurse in den Córtes kommentierend darzustellen. Ähnliches gilt für das sechste Kapitel über „die Souveränitätslehren“. Lobend ist hier aber bezüglich des III. Abschnittes zu erwähnen, dass dort die in den Córtes vertretenen Ansichten über den Souveränitätsbegriff und die Nation als Träger der Souveränität anschaulich dargestellt werden. Eine derartige mehr auf die Córtes eingehende Darstellungsweise hätte man sich viel früher gewünscht. Vor allem zeichnet die Darstellung hier aus, dass der Meinungsstreit zwischen Liberalen und Konservativen dargestellt wird, wonach die Konservativen für eine geteilte Souveränität zwischen König und Nation (soberanía compartida) eintraten, während die Liberalen ganz auf der französischen Linie lagen, wonach die Souveränität unteilbar und unveräußerlich sei und ausschließlich bei der Nation liege. Interessant ist, auch wenn Timmermann hier wiederum vom eigentlichen Thema abschweift, der IV. Abschnitt des Kapitels über den Souveränitätsbegriff in den frühen Verfassungstexten südamerikanischer Staaten, die ehedem spanische Vizekönigreiche waren (etwa Venezuela, Großkolumbien, Peru).

 

Die zwei weiteren Kapitel über die Lehre vom Staatszweck und über den Verfassungsbegriff (Kapitel 7 und 8) wirken abermals sehr theoretisch, zumal die Debatten in den Córtes hierzu (wiederum) nur untergeordnet dargestellt werden.

 

Aus dem Rahmen fällt meines Erachtens das Kapitel 9 über die Individualrechte (S. 237-308). Denn in erster Linie sollte es doch um das Verhältnis der Staatsgewalten zueinander, Monarch und Parlament, gehen, also um das sogenannte Staatsorganisationsrecht. Allenfalls hätten die Grundrechte, die Timmermann auch zur „gemäßigten“ Monarchie gezählt wissen will, ganz kursorisch abgehandelt werden können. Die Darstellung wirkt dadurch einmal mehr überfrachtet.

 

Erst im zehnten Kapitel kehrt Timmermann zum eigentlichen Thema zurück. Leider ist das Kapitel viel zu kurz geraten. Es befasst sich mit dem Kern des Themas, der Teilung der Gewalten. Eigentlich hätte dieses Kapitel am Anfang der Darstellung stehen sollen und spätestens hier wird deutlich, dass der Titel der Arbeit eigentlich genau umgekehrt lauten müsste. Vor allem der zentrale Abschnitt über die Diskussion der Gewaltenteilung in den Córtes und deren Ausgestaltung in der Verfassung von 1812 ist viel zu dürftig.

 

Bei diesem Kapitel fehlt zudem die Darstellung eines Kernthemas, nämlich der Frage nach der Verantwortlichkeit der Minister, durch die der König handelt. Hier geht Timmermann nur kurz auf die Regelung des Art. 225 der Verfassung von 1812 ein, wonach jede Anordnung des Monarchen, um gültig zu sein, von dem zuständigen Ressortminister gegenzuzeichnen ist. Hier wäre auf den Grundsatz hinzuweisen gewesen, dass der König als Haupt der ausführenden Gewalt gem. Art. 168 der Verfassung in keinem Fall zur Rechenschaft gezogen werden konnte, sondern nur seine Minister (secretarios del despacho), die einschränkungslos verantwortlich waren, genau wie in der französischen Verfassung von 1791 (Titel III, Art. 4) und nach dem englischen Verfassungszustand (Verfassungsgrundsatz der königlichen Unfehlbarkeit: „the king can do no wrong“). Im Rahmen der den Córtes zugewiesenen Kompetenzen bestimmte Art. 131 Nr. 25, dass die Córtes die Ministerverantwortlichkeit effektiv zu machen hatten. Art. 172 Nr. 11 der Verfassung von 1812 bestimmte dann, dass die Minister der Nation verantwortlich seien. Weiterhin wäre auf die zentralen Regelungen der Verfassung von 1812 in Art. 226 und 228 zur rechtlichen Verantwortlichkeit der Minister und der Möglichkeit der Ministeranklage durch die Córtes einzugehen gewesen. Insbesondere wäre die Frage anzusprechen gewesen, inwieweit bei einem solchen System einer rechtlichen Verantwortlichkeit der Minister überhaupt Raum für die Entwicklung einer politischen Verantwortlichkeit der Minister gegenüber den Córtes gewesen wäre, sich also ein parlamentarisches Regierungssystem überhaupt hätte entwickeln können. Allerdings hatte der Abgeordnete Argüelles Monate nach der Verkündung der Verfassung von 1812 eine originelle Konzeption zum weiteren Verhältnis der Minister zu den Córtes und in Bezug auf die Anwesenheit der Minister bei den Debatten der Córtes entwickelt, um eine „unión sistemática“ zwischen Regierung und Parlament herzustellen (vergleiche zu allem Klaus von Beyme, Die parlamentarischen Regierungssysteme in Europa, 2. Aufl., München 1970, S. 71/72). Dies alles, wie auch die Darstellung der Praxis der „gemäßigten Monarchie“ unter der Geltung der Verfassung von 1812 in den Jahren 1812-1814 und 1820-1823, fehlt leider in der Studie. Ebenso verhält es sich mit der spanischen Besonderheit eines Staatsrates (Art. 231ff. der Verfassung), auf den nur unzureichend eingegangen wird. Dieser war insbesondere als weitere Sicherheit gegen einen möglichen Despotismus der Minister gedacht (vgl. Klaus von Beyme, ebenda, S.69/70). Hier hätte das Verhältnis dieser spanischen Eigentümlichkeit einer  dualen Exekutive (Ministerkollegium und Staatsrat) sowohl im Verhältnis dieser Gremien zueinander als auch zu den Córtes diskutiert werden müssen.

 

Timmermann geht im zehnten Kapitel in einem abschließenden IV. Abschnitt wiederum auf die Verhältnisse in Übersee ein und kommt zum Ergebnis, dass sich das Gewaltenteilungssystem der Verfassung von Cádiz kaum für Präsidialsysteme der Nachfolgestaaten Spanischamerikas geeignet habe. Diese Feststellung ist allerdings sekundär. Denn zuerst wäre die Frage zu beantworten gewesen, warum man sich dort nicht für die konstitutionelle Monarchie, sondern für ein Präsidialsystem entschieden hat.

 

Im Schlusskapitel (11. Kapitel) werden die vorangegangenen Analysen im wesentlichen nochmals zusammengefasst und die Ergebnisse und Folgerungen für das 19. Jahrhundert präsentiert. Zu Recht betont Timmermann, dass Cádiz eine verfassungsgeschichtliche Zäsur in der spanischen Verfassungsentwicklung darstellt, indem das Konzept der Monarchie revolutioniert wurde und der spanische Nationalstaat von hier aus seinen Ausgang genommen hat. Zum Schluss wird noch ganz kurz auf das interessante Problem der Militärputsche (pronunciamento) eingegangen, das in der spanischen Verfassungsgeschichte eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat und 1820 seinen Ausgang nahm.

 

Der Darstellung folgt ein Quellen- und Literaturverzeichnis, in dem insbesondere die Sekundärliteratur ausführlich ihren Niederschlag gefunden hat. Hilfreich ist das abschließende Sach- und Personenregister. Nützlich wäre es gewesen, noch einen Anhang beizufügen, wo die angesprochenen Artikel der Verfassung von Cádiz sofort nachzulesen wären. Hier sei der Hinweis erlaubt, dass der Verfassungstext im Internet verfügbar ist (http://www.cervantesvirtual.com/servlet/SirveObras/c1812/12260843118006070754624/index.htm). Druckfehler halten sich erfreulicherweise in Grenzen.

 

Insgesamt handelt es sich bei der besprochenen Schrift um eine gründliche und kenntnisreiche Arbeit, in der die Sekundärliteratur sehr gut verarbeitet ist. Neue Forschungsergebnisse wird man allerdings vergeblich suchen. Das größte Manko besteht darin, dass die Akzente, bezogen auf die Themenstellung, vielfach nicht richtig gesetzt werden.

 

Erfurt                                                                                      Roland Kleinhenz