Schröder, Rainer, Verwaltungsrechtsdogmatik im Wandel (= Jus Publicum 166). Mohr (Siebeck), Tübingen 2007. XVII, 379 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Martin Schulte betreute, im Sommersemester 2006 von der juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden angenommene Habilitationsschrift des 1998 mit seiner Münsteraner Dissertation über Rechtsfrage und Tatfrage in der normativistischen Institutionentheorie Ota Weinbergers hervorgetretenen, seit 1999 in Dresden wirkenden Verfassers. Sie stellt sich die Frage, ob die Verwaltungsrechtswissenschaft in der Lage ist, gesellschaftliche Veränderungen ohne Verlust ihrer wissenschaftlichen Identität aufzunehmen. Dem geht sie in insgesamt drei Teilen nach, von denen zwei rechtsgeschichtlich ausgerichtet sind, während der dritte Teil rechtstheoretische Überlegungen in den Mittelpunkt stellt.

 

Nach einer kurzen Einleitung betrachtet der Verfasser die Entstehung und frühe Entwicklung der Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, die es lange versäumt habe, ihre Geschichte vom Technikrecht her zu lesen, und stattdessen spätestens seit Otto Mayer (1846-1924) ihre Identität über die Eingliederung der öffentlichen Verwaltung in die Einheit des Staates und damit letztlich in der Idee innerer Souveränität als höchster, unabgeleiteter und ungeteilter Gewalt gesucht habe. Von hier aus beginnt er die Entstehung eines gemeindeutschen Verwaltungsrechts mit Robert von Mohl (1799-1875) und Friedrich Franz von Mayer (1816-1870). Dem Rechtsstaatsprinzip der Gründerzeit und der Etablierung der juristischen Methode schließt er den Weg vom formalen Rechtsstaatsprinzip (Kreuzbergurteil von 1882) über Carl Schmitt  zum Staat der Daseinsvorsorge (Ernst Forsthoff) an.

 

Der zweite Teil hat den Funktionswandel der öffentlichen Verwaltung unter dem Grundgesetz zum Gegenstand. Dabei behandelt der Verfasser umsichtig fünf Punkte. Er beginnt mit dem Verwaltungsrecht als konkretisiertem Verfassungsrecht. Dem folgen Risikoverwaltungsrecht, Planung, Europäisierung und Privatisierung.

 

Das Hauptgewicht liegt auf dem  dritten Teil, der sich der Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts widmet. Hier werden nacheinander Verwaltungsrechtsdogmatik im System der Rechtswissenschaften, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft, das Verhältnis von öffentlichem Recht und Privatrecht, die Verwaltungsorganisation und die Handlungsformen betrachtet. Dabei unterscheidet der Verfasser administrative Normsetzung, Verwaltungsvorschrift und private Normung, Pläne und Konzepte, Verwaltungsakt, Verwaltungsvertrag und schlichtes Verwaltungshandeln von einander.

 

Im Ergebnis weist er nachdrücklich darauf hin, dass das Verhältnis von Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung die gesamte untersuchte Entwicklung der Verwaltungsrechtsdogmatik mitbestimmt hat. Nach seinen Erkenntnisses taucht es in den rekonstruierten pluralistischen Staatszwecklehren des 19. Jahrhunderts als unvermitteltes Nebeneinander auf, wird dann von der polizeirechtlich ausgerichteten Verwaltungsrechtswissenschaft der konstitutionalistischen Epoche zu einer Seite aufgelöst, bestimmt in umgekehrter (Auflösungsnichtung oder) Auflösungsrichtung Lehren von der Daseinsvorsorge und beeinflusst schließlich auch den Neuaufbau der Verwaltungsrechtswissenschaft unter dem Grundgesetz. Wer an einer grundsätzlichen Unterscheidbarkeit staatlichen Kompetenzgebrauchs und bürgerlichen Freiheitsgebrauchs sowie an einer normativen Grundausrichtung der dogmatischen Rechtswissenschaft festhalte, müsse die Konsequenzen der Grundrechtsdogmatik des Gewährleistungsstaats ablehnen.

 

Wer die Reihenfolge Grundrechtseingriff und Rechtfertigung umkehre, laufe Gefahr, in das Gegenextrem des Systems der konstitutionalistischen Verwaltungsrechtslehre zurückzufallen und nur noch den leistenden Staat wahrzunehmen, statt die Leitunterscheidungen von Staat und Gesellschaft, Innen und Außen, Privatrecht und öffentliches Recht, Eingriff und Leistung aufrechtzuerhalten.. Allerdings bedeute auch diese Lage wahrscheinlich keinen Abschluss, weil die Entwicklung des allgemeinen Verwaltungsrechts weiter voranschreiten werde. Dass sie neue Kategorien hervorbringen werde, die über Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung, Risikoentscheidungen und Planungsentscheidungen sowie Europäisierungs- und Privatisierungserscheinungen hinausgreifen, stehe schon jetzt zu erwarten.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler