Schmoeckel, Mathias/Stolte, Stefan, Examinatorium Rechtsgeschichte. Heymanns, Köln 2008. XII, 398 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Rechtsgeschichte ist kein Selbstzweck stellen die Herausgeber zu Beginn ihres Werkes fest. Sie ist auch kein Luxus für zeitreiche Studenten. Vielmehr ist eine Grundkenntnis rechtshistorischer Fragestellungen einerseits und die Fähigkeit, Gesetze, Argumente und Sichtweisen in einen historischen Kontext einzuordnen, andererseits für das Verständnis des geltenden Rechts häufig unabdingbar.

 

Allerdings stehen, so die Herausgeber weiter, Studierende der Rechtswissenschaft vor dem Problem, dass sie die Fülle des rechtshistorischen Wissens unmöglich vollständig erlernen können. Sie ertrinken einfach in der Masse des Stoffes. Deswegen tut Beschränkung (oder Kanonisierung) Not, wie wohl jeder Verfasser eines rechtsgeschichtlichen Lernbuchs für sich erkannt hat.

 

Trotz der damit verbundenen, nicht verkannten Schwierigkeiten sehen die Herausgeber eine Möglichkeit. Auch in der Rechtsgeschichte existieren einige Grundlagen, die den meisten Juristen bekannt sind und aus diesem Grund für die Argumentation im Examen und in der Praxis häufiger herangezogen werden als andere. Wüssten Studierende und die Häufigkeit der Erwähnung, so könnten sie sich leichter vorbereiten und Prüfern müssten nicht mehr befürchten, durch Fragen zur Rechtsgeschichte die Note zu ruinieren.

 

Ausgehend von solchen Häufigkeiten bedienen sich die Herausgeber der willkürlich bestimmten Zahl 20. Jeweils 20 Gesetze, Juristen, Rechtsschulen, Herrschaftsformen, Rechtsfragen und Probleme bei der Rechtsdurchsetzung wurden ausgesucht. Hierauf wird keiner verzichten wollen. Durch die Gewinnung vieler, vor allem auch jüngerer Rechtshistoriker soll die Ausgewogenheit gesichert werden.

 

Die zwanzig Gesetze sind die Gesetze des Königs Hammu-rapi von Babylon, der Dekalog, das Zwölftafelgesetz, Codex Theodosianus, Lex Salica, Corpus Iuris Civilis, Corpus Iuris Canonici, Liber Augustalis, Sachsenspiegel, Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten, Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849, Die preußische Verfassung von 1850, Die Weimarer Reichsverfassung, Code civil von 1804, Österreichische Kodifikationen, Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861, Bürgerliches Gesetzbuch, Die Nürnberger Rassengesetzgebung (und die Schweiz? und das Reichsstrafgesetzbuch? und wären nicht Jahreszahlen bei allen Gesetzen schon im Inhaltsverzeichnis hilfreich?), die 20 Rechtsfragen Bürger, Eigentum, Erbrecht, Familie, Form, Gesetzesauslegung, Gewerbefreiheit, Gleichberechtigung/Stellung der Frau im Recht, Grund- und Menschenrechte, kirchliches Asyl, Kodifikation, Nullum crimen, nulla poena sine lege, Privatautonomie, Rezeption, Säkularisation, Sozialstaat/Wohlfahrtsstaat/Gemeinwohl, Steuern, Täterschaft und Teilnahme, Unterhalt durch die Familie, Kirche und Staat, Willenserklärung und Vertrauensschutz (und Schadensersatz?, und Urheberrecht?, und Versicherung?), die 20 Juristen (Römische Juristen, Bartolus und Baldus, Althusius, Grotius, Hobbes, Carpzov, Pufendorf, Thomasius, Wolff, Beccaria, Feuerbach, Liszt, Radbruch, Savigny, Windscheid, Jhering, Gierke, Mayer, Kelsen, Schmitt (also mindestens 22, und Huber? und wären nicht auch hier schon Lebensdaten im Inhaltsverzeichnis  hilfreich?), die 20 Herrschaftsformen Monarchie, karolingische Reichsreform, Adel, Lehnsrecht, Reich/Weltstaat, Papst, Diktatur, Stadt/Gemeinde, Parlament, Regierung und Kanzler, Gewaltenteilung, Föderalismus, Behörde, Militär und Dienstpflicht, gute Policey, Monopol, abhängige Arbeit - von der antiken Sklaverei zum Kündigungsschutzgesetz, Elternherrschaft, Munt, Kindschaft, Universität, internationale Organisationen (ist das allgemeine Verständnis von Herrschaftsformen nicht doch etwas abweichend hiervon?), die 20 Wege der Rechtsfindung und- Rechtsdurchsetzung (anscheinend plötzlich in alphabetischer Ordnung Aktenversendung/Spruchfakultäten, Anklage, Bann, Buße weltlich, Ding, Eid, Geschworenengerichte, Gewaltmonopol, Gottesfrieden und Landfrieden, Gottesurteil, Jugendstrafrecht, Notariat, oberste Gerichtshöfe, Prätor, Reichskammergericht und Reichshofrat, Rechtsanwaltschaft, Strafvollzug, Verjährung, Fristen, Rechtssicherheit, Wahl, Wahrheitsfindung im Recht (Prozess, Folter, römisch-kanonischer Prozess/schriftliches Verfahren (ist der Prozess nicht etwas versteckt?, sind dies alles Wege?, sind es 20 oder mehr?) und die 20 Schulen und Epochen klassisches römisches Recht, weströmisches Vulgarrecht, Leges (Germanenrecht, gehört die Lex Salica dazu?), Ius commune, Glossatoren und Kommentatoren (sind sie eine Schule oder Epoche oder zwei?), Kanonistik, mos Italicus und Mos Gallicus (warum eine Doppelnummer statt zwei Nummern), Naturrecht, Vernunftrecht, Usus modernus pandectarum, historische Rechtsschule, Rechtspositivismus, Pandektistik, Interessenjurisprudenz, Freirecht, Common Law, Legal Realism, Systemtheorie und ökonomische Analyse des Rechts. Wer all dies weiß, weiß viel. Weiß er auch, dass die Geschichte des Rechts nicht nur aus 120 separaten Einzelteilen besteht und hat er ein sicheres Verständnis für die historischen Grundlagen des geltenden Rechtes und eine wenn auch nur formale überzeugene Ordnung?

 

Das Autorenverzeichnis weist viele Namen auf. Es reicht von Bayerle über Bednarz, Bernoth, Birr, Bremer, Dreißigacker, Duss, Effer-Uhe, Fichte, Marc Forster, Glasner, Gsänger, Wolfgang Kaiser Freiburg, Keilmann, Kruse, Lakenberg, Lenk, Susanne Lepsius, Linder, Lohmar, Lohsse, Maetschke, Manaa, Mayenburg, McDougall, Mies, Morell, Oesterle, Osmialowski, Pahlow, Pavone, Guido Pfeifer, Plöger, Reinkenhof, Thomas Rüfner, Schlüter, Schmoeckel, Stolte, Trapp, Weitekamp bis Wiederhold. Wenn unbefangene jugendliche Kreativität Studierende einladen soll und kann, wird das vielfache bisherige Fehlen eines formalen Qualifikationsnachweises kaum ernsthaft schaden können.

 

120 Artikel auf 400 Seiten bedeuten im Durchschnitt drei bis vier Seiten pro Einheit. Am Ende stehen jeweils Literaturhinweise, während überordnete Literaturhinweise für alle Themen zu fehlen scheinen. Möge dieser neue, zwischen Lehrbuch und Lexikon stehende, mit einer Zeittafel (um 510 Kodifizierung der Lex Salica, 768 Regierungsantritt Karls des Großen bis 814, Europäische Gemeinschaften?) abschließende, examinatorisch gedachte Ansatz der Herausgeber auf der Suche oder neben der Suche nach der verlorenen Ordnung ihnen, den Studierenden und dem Fach viel Freude und Erfolg bereiten.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler