Schmieder, Philipp, Duo rei. Gesamtobligationen im römischen Recht (= Freiburger rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge 56). Duncker & Humblot, Berlin 2007. 420 S. Besprochen von Gunter Wesener.

 

In der Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts war eine der umstrittensten Fragen des Obligationenrechts die vermeintliche Unterscheidung zwischen Korrealität und bloßer Solidarität. Das Wesen der Korrealobligation wurde auf die Formel gebracht: Einheit der Obligation, Mehrheit der subjektiven Beziehungen. Für die bloße Solidarität nahm man mehrere Obligationen an, die erst mit der Erfüllung erloschen[1]. Die moderne Romanistik hat diese Streitfrage überwunden und betrachtet sie als gegenstandslos. Sie erklärt den scheinbaren Gegensatz aus der historischen Entwicklung des römischen Rechts. Im klassischen Recht bestand eine sogenannte Konsumptionskonkurrenz, d. h. bereits die litis contestatio hatte bei strengrechtlichen Klagen eine gesamtzerstörende Wirkung; im justinianischen Recht hingegen bestand Solutionskonkurrenz (C. 8,40,28,2); erst die Erfüllung hatte gesamtbefreiende Wirkung. Einige Digestenstellen wurden bei der Reform nicht entsprechend geändert, so dass im justinianischen Gesetzeswerk Widersprüche bestehen, die man im Wege der Differenzierung zu lösen versuchte[2].

 

Philipp Schmieder, ein Schüler Wolfgang Kaisers und Detlef Liebs’, prüft in seiner Freiburger Dissertation die Frage, ob sich „das gesuchte, einheitliche, abstrakte Institut der Gesamtobligationen“ in den römischen Quellen überhaupt nachweisen lasse (S. 29). Er geht dabei nach den verschiedenen Entstehungsgründen vor. Ziel seiner Untersuchung „ist eine vergleichende Übersicht der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Voraussetzungen und Folgesätzen der Gesamtobligationen verschiedener Entstehungsgründe“ (S. 30).

 

Der Verfasser kommt auf Grund sehr sorgfältiger Exegesen, auf welche in dieser Besprechung nicht näher eingegangen werden kann, zum Ergebnis (S. 372f.), dass das römische Recht „Gesamtobligationen im Sinn eines einheitlichen Rechtsinstituts“ zunächst nicht gekannt habe. Die Wurzeln der Zusammenfassung schuldrechtlicher Mehrpersonenverhältnisse unter demselben Rechtsinstitut seien aber bereits im klassischen Recht angelegt. Zu Beginn der Entwicklung bestanden für jedes schuldrechtliche Mehrpersonenverhältnis eigene Regeln. Im Allgemeinen dürfte im Laufe der Zeit eine gewisse Angleichung stattgefunden haben. Eine Ausnahme bildeten die verbale Gesamtobligation (S. 34ff.) und die Bürgschaft (S. 221 ff.), die sich allmählich auseinander entwickelten.

 

Marksteine in der Entwicklung der Gesamtobligationen zu einem abstrakten Rechtsinstitut sieht der Verfasser bei Celsus, bei Papinian und bei den Kompilatoren gegeben. Bei Celsus (16 dig.) D. 31,16 findet sich eine Gleichstellung der Gesamtobligation aus einem Testament und aus einer Stipulation (Verfasser S. 263ff.). Ein grundlegender Vorschlag zur Zusammenfassung von vertraglichen Mehrpersonenverhältnissen findet sich dann bei Papinian (27 quaest.) D. 45,2,9 pr. (Verfasser S. 217ff., 321ff.). Papinian spricht hier generell von duo rei promittendi. Bei seinen Zeitgenossen setzte sich Papinian mit dieser Generalisierung noch nicht durch, doch führte die nachklassische Vertragspraxis die Entwicklungslinien fort (dazu Verfasser S. 335ff.). Den letzten Schritt in der Abstrahierung der Gesamtobligation taten die justinianischen Kompilatoren (Verfasser S. 332f.; 373). Freilich blieben gewisse Widersprüche im Corpus iuris bestehen, die dann in späteren Jahrhunderten zu verschiedenen dogmatischen Konstruktionen führten.

 

Der Verfasser hat ein überzeugendes Gesamtbild der römischen Gesamtobligationen gezeichnet. Höchst verdienstvoll ist auch die Berücksichtigung der Vertragspraxis auf Grund lateinischer Geschäftsurkunden (Tablettes Albertini und Ravennater Papyri).

 

Graz                                                                                                   Gunter Wesener



[1] Vgl. Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl., II, 1906, 201 ff., 217 ff. – Zur Streifrage etwa H. Fitting, Die Natur der Correalobligationen, Erlangen 1859; J. Unger, Passive Correalität und Solidarität im römischen und heutigen Rechte, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 22 (= N. F. X, 1884) 207 ff. Zur „Korrealitätsdoktrin“ Verf. 32 ff.

[2] Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, 2. Aufl., II, 1975, 455 f.; Kunkel/Honsell, Römisches Recht, 4. Aufl., 1987, § 107. ‑ Zur Lehre der Glossatoren und Kommentatoren A. Alberti, Le obbligazioni solidali sorgenti da stipulazione correale nella dottrina del diritto intermedio, Torino 1937, 73 ff., insbes. 188 ff. Vgl. Wesenberg/Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, 4. Aufl., 1985, 51 f., 57.