Schmidt, Manuela Maria, Die Anfänge der musikalischen Tantiemenbewegung in Deutschland. Eine Studie über den langen Weg bis zur Errichtung der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer (GDT) im Jahre 1903 und zum Wirken des Komponisten Richard Strauss (1864-1949) für Verbesserungen des Urheberrechts (= Schriften zur Rechtsgeschichte 125). Duncker & Humblot, Berlin 2005. 856 S. Besprochen von Margrit Seckelmann.

 

Im Dezember 2006 wurde beim Landgericht München I ein urheberrechtlich brisanter Fall anhängig gemacht. Die Erben Hugos von Hofmannsthal verklagten die Erben von Richard Strauss auf Zahlung eines Teils der Tantiemen, die aus den Aufführungen von Strauss-Opern erzielt würden, deren Libretti von Hofmannsthal geschrieben worden seien. Rechtsgrund für die Zahlung von Anteilen der Erlöse aus etwa dem „Rosenkavalier“, der „Elektra“ oder „Arabella“ sei eine Abrede zwischen dem Österreicher Hofmannsthal und dem Deutschen Strauss gewesen, dass so lange Anteile der Tantiemen aus diesen Opern an Hofmannsthal und seine Erben abzuführen seien, wie diese gezahlt würden, mithin siebzig Jahre nach dem Tod des 1949 gestorbenen Richard Strauss (und nicht demjenigen des früher verstobenen Hofmannsthal). Die 7. Zivilkammer des Landgerichts München I gab den Erben im Juni 2007 teilweise Recht: Die Zahlungspflicht ende erst dann, wenn auch Richard Strauss oder seine Rechtsnachfolger für die Aufführungsrechte der Opern keine Tantiemen mehr erhielten. Die Künstler – bzw. deren Rechtsnachfolger – hätten sich in den Jahren zwischen 1906 und 1949 in diversen Verträgen darauf geeinigt, dass Strauss die Rechte an den Opern wahrnehme und den Textdichter Hofmannsthal an den Erlösen beteilige, solange Strauss selbst oder seine Rechtsnachfolger für die Aufführungen Tantiemen oder sonstige Beträge als Autor oder Urheber erhielten. Interessant sind (jenseits der Frage des anzuwendenden Rechts) vor allem die Ausführungen des Gerichts zur Rolle von Richard Strauss: Diesem seien – als Urheberrechtsexperten – das Problem der unterschiedlich lang laufenden Schutzfristen bewusst gewesen. Beide Künstler hätten die wirtschaftliche Seite der Zusammenarbeit aber möglichst pragmatisch regeln wollen. Dieser Umstand sei auch durch den Briefwechsel der Künstler belegt.[1]

 

Die Brisanz dieses Falles liegt darin, dass sich das Urteil auch inhaltlich mit den urheberrechtlichen Werken von Richard Strauss beschäftigt und sie in der Weise interpretiert hat, dass sie die Rechtsposition der Erben von Hofmannsthal gegen diejenige der Strauss-Erben bestärke. Denn Strauss habe mit der Unteilbarkeit von Musik und Text argumentiert – und diese Argumentation wurde zur Interpretation des (mutmaßlichen) Willens der Parteien herangezogen.

 

In der Tat ist der Name von Richard Strauss in besonderer Weise mit der Geschichte des musikalischen Urheberrechts verbunden. Strauss war die prominente Integrationsfigur einer Bewegung, welche die Rechte der Autoren und Komponisten gegen die Rechte der Verleger profilierte, was letztlich zur Anerkennung einer Trennung zwischen den Verlagsrechten und den Urheberrechten und den damit verbundenen Aufführungsrechten führte. Ebenso betrieb er die Gründung der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer, einer Vorläuferin der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Bekannt ist etwa sein Zitat: „Urheberrechte dem Urheber, Verlagsrechte dem Verleger[.] Anderen Modus gibt’s nicht.“ (Zitiert nach Schmidt, 678).

 

Dieses Zitat nimmt Manuela Maria Schmidt zum Ausgangspunkt einer materialreichen Studie „über den langen Weg bis zur Errichtung der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer (GDT) im Jahre 1903 und zum Wirken des Komponisten Richard Strauss (1864-1949) für Verbesserungen des Urheberrechts“. In ihrer bei Elmar Wadle entstandenen Dissertation setzt sich zum einen mit der Bewegung auseinander, die zur Anerkennung der Aufführungsrechte als Teil der Urheberrechte führte, zum anderen mit der Vorgeschichte der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer und schließlich – zentral – mit der Rolle von Richard Strauss in diesen Geschehnissen. Nicht zuletzt aufgrund einer geglückten Selbststilisierung galt Strauss oftmals nämlich bislang als der zentrale Urheber der Idee der Schaffung einer Standesvertretung der deutschen Komponisten. Denn er hatte ein Epoche machendes Rundschreiben an 160 Komponisten zur Einführung einer Urhebernachfolgevergütung verfasst. Den Anlass dazu hatten die 1898 stattfindenden Gesetzesberatungen des in ein Reichsgesetz überführten Urheberrechtsgesetzes des Norddeutschen Bundes von 1870 geliefert. Konkret ging es um eine Petition zur Änderung der europaweit einzigartigen Bestimmung in § 50 Abs. 2 S. 2 des Urheberrechtsgesetzes von 1870, dass die öffentliche Aufführung gedruckter musikalischer Werke ohne Genehmigung des Autors zulässig sei, wenn dieser nicht „auf dem Titelblatt oder der Spitze des Werks sich das Recht der öffentlichen Aufführung vorbehalten hatte“. Das Strauss’sche Schreiben gilt oftmals als der zentrale Impuls zur Gründung der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer (GDT). Diese Genossenschaft hatte ab 1903 eine starke Rolle hinsichtlich der Wahrnehmung der Aufführungsrechte der Komponisten. Denn das (ebenfalls von Strauss beeinflusste) Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst vom 19. Juni 1901 (RGBl. 1901, 227) band die Aufführung von Werken an die Zustimmung ihrer Urheber. Zur Wahrnehmung der Interessen und zur Ausschüttung der Tantiemen gründete die GDT nach dem Vorbild der französische Société des Auteurs, Compositeurs et Editeurs des Musique (SACEM) die Anstalt für musikalische Aufführungsrechte (AFMA).

 

Strauss, so bilanziert Schmidt, habe indes „nicht allein die Genossenschaft Deutscher Tonsetzer gegründet“ (S. 676). Vielmehr habe es auch andere Miturheber dieser Idee gegeben (unter anderem den Liederkomponisten und Mathematikprofessor Hans Zincke alias Hans Sommer und den Musiker und Juristen Friedrich Rösch). Diese hätten jedoch bewusst Strauss aufgrund seiner unangefochtenen Stellung in der Komponistenszene das Rundschreiben allein unterschreiben lassen, um kleinliche Lagerstreitigkeiten zu vermeiden (S. 189f.). Eine weitere wichtige Rolle habe Albert Osterrieth gespielt und „all die – nicht mehr namentlich benennbaren Komponisten“, die am Beschluss der Gründung der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer „beteiligt“ gewesen seien; schließlich sei auch die Kompromissbereitschaft eines Teils der Verleger zu würdigen (S. 676). Strauss’ Verdienst habe allerdings darin bestanden, „durch seine große Persönlichkeit das Vertrauen der Kollegen gewonnen zu haben“ (S. 676). In dieser Beschreibung klingen die verschiedenen Akteure und Interessen bereits an, die an der Frage der Aufführungsrechte, ihrer Geltendmachung und Verwaltung interessiert waren: die Komponisten, die Verleger, die Musikalienhändler, letztlich auch der Staat, der in Gestalt des Reichsjustizamts und der Gesetzesberatungen zur Änderungen des Urheberrechts durchaus Einfluss auf den Gründungsprozess der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer nahm (dazu S. 756ff.). Eine besondere Rolle spielten auch die ausländischen Vorbilder, insbesondere die SACEM.

 

Schmidt verlangt den Lesern ihrer 856 Seiten starken Studie viel ab. Das hängt nicht nur mit der Länge der Arbeit selbst zusammen, die zwar viele interessante Details beizusteuern vermag, sich aber auch teilweise in ihnen verliert. Eine über die bereits vorgenommene Gliederung der Arbeit (das fünften Kapitel enthält eine Gesamtbetrachtung, im sechsten Kapitel werden die Ergebnisse in Thesenform zusammengefasst) hinaus gehende Durchformung und Straffung des Textes hätte dem Buch gut getan. Auch die vielen Verweise auf spätere Kapitel (etwa: „soll dem nächsten Kapitel vorbehalten bleiben“, S. 522), die dem die Arbeit prägenden „Gutachtenstil“ geschuldet sind, überfordern trotz der Kurzzusammenfassungen am Ende der einzelnen Kapitel beinahe die Geduld des wohlwollendsten Lesers.

 

Insbesondere hätte der Leser von einer näheren Herausarbeitung der Akteure und Interessen profitieren können, die an der Frage der Aufführungsrechte, ihrer Geltendmachung und Verwaltung interessiert waren. Diese treten gegenüber den Streitigkeiten innerhalb der Komponisten und insbesondere der Rolle von Richard Strauss in den Hintergrund. Daher wäre eine Kontextualisierung des Dargestellten hinsichtlich der Geschichte des Urheberrechts einerseits und der Geschichte des Kaiserreichs andererseits ein Gewinn für den hochinteressanten, aber ein wenig „insulär“ bleibenden Untersuchungsgegenstand gewesen. Auch wäre eine stärkere Engführung mit dem durchaus von Schmidt konstatierten Wechselwirkungsprozess zwischen staatlicher Rechtsetzung und verbandlicher Fortentwicklung, ebenso auf die internationalen Vorbilder (vor allem der SACEM), wünschenswert gewesen.

 

Aber diese Quisquilien schmälern nicht das Verdienst dieser quellengesättigten Arbeit, die insbesondere alle diejenigen ansprechen dürfte, die sich dafür interessieren, wie es dazu kam, dass die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) zentral die Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte wahrnimmt. Aktuelle Streitigkeiten, etwa um die Grenzen der Gemeinfreiheit und die Zitation fremder Musikstücke, die Rechte der Übersetzer und der bereits erwähnten Librettisten und die Frage nach der soeben in Kraft getretenen Reform des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft („2. Korb“) beweisen, dass die Geschichte der Verwertungsrechte noch lange nicht zu Ende geschrieben ist.

 

Speyer                                                                        Margrit Seckelmann



[1] ) LG München I, Urteil vom 14.06.2007, Az. 7 O 6699/06, zitiert nach der Pressemitteilung des Landgerichts München I, abrufbar unter: http://www.justiz.bayern.de/gericht/lg/m1/presse/archiv/2007/00992/.