Raschka, Johannes, Justizpolitik im SED-Staat. Anpassung und Wandel des Strafrechts während der Amtszeit Honeckers (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 13). Böhlau, Köln 2000. 375 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von der Technischen Universität Dresden angenommene Dissertation des seit 1997 mit Schriften zum Strafrecht der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik hervortretenden, als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Stiftung sächsische Gedenkstätten Dresden und als Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Dresden tätigen Verfassers. Für ihre Würdigung konnte ein Berliner Zeitrechtshistoriker gewonnen werden, der freilich seine Zusage trotz vieler Erinnerungen wortlos nicht einhalten konnte. Deswegen muss der Herausgeber die Arbeit mit wenigen Sätzen anzeigen.

 

Gegliedert ist die Untersuchung in 10 Teile, von denen die Einleitung Begriffsbestimmungen enthält und Quellenlage und Forschungsstand bestimmt. Danach geht es ihr nicht um das Rechtssystem als Ganzes, sondern in erster Linie um die Strafgesetze und die Strafgerichtsbarkeit im Untersuchungsraum. Die Quellenlage wird als günstig beschrieben, der bisherige Forschungsstand als praktisch fehlend.

 

Im zweiten Teil schildert der Verfasser die Bedingungen der Strafrechtspolitik der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik in den siebziger und achtziger Jahren. Bei dieser Vorgeschichte geht er auf die Institutionen und Kompetenzen sorgfältig ein. Danach behandelt er die Entwicklung des politischen Strafrechts bis 1971 und die Reformen bei der Kriminalitätsbekämpfung in den sechziger Jahren.

 

Sein eigener Untersuchungszeitraum beginnt mit der Ablösung Walter Ulbrichts durch Erich Honecker im Mai 1971. Er ist zum einen gekennzeichnet durch eine Amnestie im Jahre 1972. Diesem Straferlass steht allerdings eine Strafverschärfung durch das erste Strafrechtsänderungsgesetz von 1974 gegenüber, die von Umstrukturierungen im Justizapparat begleitet wird.

 

Es folgt die Bearbeitung der Rechtspolitik nach Unterzeichnung der Schlussakte der KSZE-Konferenz von Helsinki im Jahre 1975 und nach Inkrafttreten des Paktes über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen im Jahre 1976. Im Gefolge der internationalen Verträge entwickelte sich eine Ausreisebewegung. Auf sie reagierte Erich Honecker, der inzwischen in der Rechtspolitik eine zentrale Stellung eingenommen hatte, mit dem zweiten Strafrechtsänderungsgesetz von 1977 und dem neuen Strafvollzugsgesetz des gleichen Jahres.

 

Das dritte Strafrechtsänderungsgesetz von 1979 bedeutete nach den Worten des Verfassers eine Militarisierung der Gesetzgebung. Die Justiz wurde auf den Verteidigungszustand vorbereitet. Dennoch wurde gleichzeitig eine Amnestie erlassen.

 

In der Folge wurde zwar ein viertes Strafrechtsänderungsgesetz vorbereitet, aber nicht erlassen. Auf der Suche nach einer Ursache für die Rücknahme der Repression denkt der Verfasser an Helsinki und befasst sich danach mit der wirtschaftlichen Schwäche der Sowjetunion. Umsichtig geht er auf die Ausreisewelle des Jahres 1984 ein.

 

Der Besuch Erich Honeckers in Bonn führt zu einer Amnestie im Jahre 1987. Durch das neue vierte Strafrechtsänderungsgesetz von 1987 wurde die Todesstrafe abgeschafft. Bei dem obersten Gericht wurde eine zweite Kammer als Appellationsinstanz eingeführt.

 

1988 wird im Rahmen von (letzten) Stabilisierungsversuchen das fünfte Strafrechtsänderungsgesetz erlassen. Als Folge der Wiener KSZE-Konferenz wird eine Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt. Freikauf und Familienzusammenführung bewirken zusammen mit der neuen Reiseverordnung von 1988 aber eine Eskalation des Ausreiseproblems.

 

Als Ergebnis stellt der Verfasser überzeugend fest, dass die Amtszeit Erich Honeckers nicht von einheitlicher innenpolitischer Milderung gekennzeichnet war, sondern dass erheblichen Verschärfungen zwecks Durchsetzung von Recht und Ordnung ohne prinzipielle Bindung der Partei oder des Staates an das Recht zu Beginn spätere schrittweise Lockerungen gegenüberstehen. Die Zahl der während der Amtszeit Erich Honeckers nach politischen Paragraphen Verurteilten bestimmt er als höchstens 62000 und mindestens 30000. Man wird ihm in seinem Schlusssatz beipflichten können, dass der Beitrag der politischen Justiz zur Stabilisierung der ehemaligen Deutschen Demokratischen Justiz um so geringer wurde, je weiter die Parteiführung aus außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Gründen die Anwendung des politischen Strafrechts zurücknehmen musste.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler