Quellen zur Entstehung der Verfassung von Württemberg-Hohenzollern, Teil 1, Teil 2, bearb. v. Thomas Rösslein (= Veröffentlichungen zur Verfassungsgeschichte von Baden-Württemberg seit 1945 17, 18). Kohlhammer, Stuttgart 2006, 2008. XXXII, 633, VII, 655 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

2004 ist der erste Band der Protokolle der Regierung von Württemberg-Hohenzollern für die Zeit von 1945-1947 erschienen. Nunmehr liegen auch die Quellen zu der durch eine Volksabstimmung am 18. 5. 1947 angenommenen Verfassung dieses Landes, das 1953 in Baden-Württemberg aufgegangen ist, in zwei Bänden vor. Nach einer kurzen Einleitung von Frank Raberg zur Entstehung der Verfassung (S. XIII-XXVIII) bringt der Herausgeber Rösslein zunächst die Direktiven der französischen Besatzungsmacht zum staatlichen Neuaufbau Württemberg-Hohenzollerns, das den südlichen Landesteil Württembergs umfasste. Nachdem die von den Deutschen gewünschte Verwaltungseinheit mit dem nördlichen Württemberg gescheitert war, erhielt Südwürttemberg bereits im Oktober 1945 ein „Staatssekretariat“ unter Carlo Schmid (SPD). Nach einer längeren Verfassungsdiskussion, deren wichtigste Dokumente die Edition in Teil 1, S. 137ff. wiedergibt, fanden am 17. 11. 1946 Wahlen zur einer Beratenden Landesversammlung statt, die eine Verfassung für Württemberg-Hohenzollern ausarbeiten sollte. In dieser Versammlung verfügte die CDU über 42, die SPD über 14, die DVP über acht und die KP über vier Mandate. Die Landesversammlung konstituierte sich am 22. 11. 1946 (Teil 1, 354ff.) und wählte in ihrer dritten Sitzung am 3. 12. 1946 einen Verfassungsausschuss mit 17 Mitgliedern, in denen die CDU mit 11 Abgeordneten die absolute Mehrheit hatte. Im Verfassungsausschuss setzten sich die SPD- und DVP-Abgeordneten vergeblich für die Übernahme der Verfassung Württemberg-Badens (wiedergegeben Teil 1, S. 147ff.) ein, im Gegensatz zur CDU, die eine eigenständige Verfassung anstrebte. Zu diesem Zweck würde der Abgeordnete Lorenz Bock beauftragt, der wesentlichen Anteil an der Verfassung Württembergs von 1919 hatte, einen Verfassungsentwurf auszuarbeiten. Da der Entwurf Bocks auf erhebliche parteiinterne Kritik stieß, arbeitete der Abgeordnete Emil Niethammer einen eigenständigen Entwurf aus, der am 27. 2. 1947 zu einem kombinierten Entwurf Bock/Niethammer führte (Teil 1, S. 567ff.). Der Entwurf sah einen unmittelbar gewählten Staatspräsidenten vor, der vom Volk auf Antrag der Landtagsmehrheit abberufen werden können sollte. Zur Beratung der Regierung, insbesondere bei der Vorbereitung der Gesetze, sollte ein Staatsrat aus 17 ehrenamtlich tätigen Mitgliedern gebildet werden.

 

Die „autoritäre Präsidialverfassung“ (S. XXII) wurde von der Militärregierung, aber auch von der SPD, der DVP und der KP abgelehnt, die den Beratungen des Verfassungsausschusses im März 1947 fernblieben; allerdings war dies entgegen Raberg (Protokolle der Regierung in Württemberg-Hohenzollern, S. LXIII) kein einmaliger Vorgang in der Verfassungsgeschichte der Nachkriegszeit. Denn im Kieler Landtag verließen im November 1949 die CDU-Abgeordneten ebenfalls den dortigen Verfassungsausschuss (Wortprotokoll der Sitzung des ersten gewählten Landtags vom 24. 10. 1949, S. 58). Nachdem die CDU in wesentlichen Punkten Übereinstimmung mit der französischen Besatzungsmacht erzielt und den Entwurf entsprechend abgeändert hatte, stieß die Verabschiedung des Verfassungsentwurfs in den Ausschussberatungen, an denen auch die anderen Parteien wieder teilnahmen, auf keine größeren Schwierigkeiten mehr. Die Vorlage wurde am 22. 4. 1947 gegen die 11 Stimmen der DVP und der KP mit 46 Stimmen von der Landesversammlung angenommen. In der Volksabstimmung votierten 30% der abgegebenen Stimmen gegen den Entwurf. Den Wünschen der SPD hinsichtlich des Landtags als des zentralen Verfassungsorgans, der Verankerung der Menschenrechte, der Absage an das Prinzip der reinen Erwerbswirtschaft und des Kompromisses in der Schulfrage war im Wesentlichen Rechnung getragen worden.

 

Teil 2 der Edition bringt eine Synopse der drei Verfassungsentwürfe und der endgültigen Verfassung, die Protokolle der Beratungen im Verfassungsausschuss und im Plenum des Landtags, Materialien zur Volksabstimmung und weiteren Entwicklung bis August 1947 sowie Auszüge aus der Berichterstattung über die Verfassunggebung im „Schwäbischen Tagblatt“ (Tübingen) von Februar bis Mai 1947 (hg. v. F. Raberg). Die umfassende Edition wird abgeschlossen mit einem Personenen-, Sprech- und vor allem sehr detaillierten Sachregister. Die persönlichen Daten der Mitglieder der Landesversammlung finden sich in Teil 1, S. 332ff. (ausführlicher bei Weik, Josef, Die Landtagsabgeordneten von Baden-Württemberg 1946 bis 2003, 7. Aufl., Stuttgart 2003).

 

Die Quellen vermitteln insgesamt einen detaillierten und anschaulichen Einblick in die verfassungspolitischen Vorstellungen unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die ersten Verfassungsentwürfe stehen noch stark unter dem Eindruck der Niederlage Deutschlands. So heißt es in der Präambel des Entwurfs Bocks: „Nach dem Sturz des Nationalsozialismus, der in Mißachtung natürlichen und göttlichen Rechts Deutschland in Schande und Not geführt hat, gibt sich das Volk von Württemberg und Hohenzollern im Aufblick zu Gott, der gesprochen hat: ,Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine fremden Götter neben mir haben’, diese Verfassung.“ In der Verfassung vom Mai 1947 findet sich die Fassung: „Das Volk von Württemberg-Hohenzollern gibt sich im Gehorsam gegen Gott und im Vertrauen auf Gott, den allein gerechten Richter, folgende Verfassung.“ Die Stellung der Familie ist in Art. 101 der Verfassung sehr konkret dahin umschrieben: „Auf Ehe und Familie bauen Gemeinde und Staat sich auf. In der Familie werden Gehorsam und Ehrfurcht, Gefühl für Verantwortlichkeit, Gemeinsinn, gegenseitige Liebe und Treue gepflegt. Der Staat achtet Ehe und Familie als wichtigste Grundlage sittlichen und geordneten Zusammenlebens. Er schützt und fördert sie.“ Insgesamt liegt mit den beiden Bänden zur Verfassung von Württemberg-Hohenzollern ein weiterer wichtiger Baustein zur stark zersplitterten deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit vor, deren zusammenhängende wissenschaftliche Erschließung noch immer vernachlässigt wird.

 

Kiel

Werner Schubert