Paulus, Christof, Das Pfalzgrafenamt in Bayern im frühen und hohen Mittelalter (= Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte, Arbeiten aus der historischen Atlasforschung in Bayern 25). Kommission für bayerische Landesgeschichte, München 2007. LVI, 429 S. Besprochen von Steffen Schlinker.

 

Von Georg Waitz stammt der vielzitierte Satz, „das Emporkommen und das spätere Recht und die Wirksamkeit der Pfalzgrafen gehöre zu den dunkelsten Theilen der Deutschen Verfassungsgeschichte“ (Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. VII., 2. Aufl., 1955, S. 167). Trotz intensiver Bemühungen der Forschung sind bis heute noch viele Fragen unbeantwortet geblieben. Der Institution des Pfalzgrafenamtes sind für die fränkische Zeit sowie für den sächsischen, rheinisch-lothringischen, schwäbischen und Kärntner Raum bereits verschiedentlich gründliche Untersuchungen gewidmet worden. Für Bayern fehlte es bislang an einer entsprechenden Arbeit. Dankenswerterweise hat Christof Paulus diesem Defizit in seiner Dissertation abgeholfen. Die Arbeit spannt einen weiten Bogen von der Merowingerzeit bis in das 13. Jahrhundert. Im Jahre 1248 erlosch mit dem Tod des letzten bayerischen Pfalzgrafen Rapoto III. das Pfalzgrafenamt in Bayern. Paulus stellt nicht die Ereignisgeschichte in den Vordergrund seiner Untersuchung, sondern widmet sich sinnvollerweise den strukturellen Fragen des Pfalzgrafenamts in Bayern (S. 9). So werden die pfalzgräfliche Funktion im Gericht, die Beziehung zum Königtum, die pfalzgräflichen Klostergründungen sowie das pfalzgräfliche Amtsgut thematisiert.

 

Die Bedeutung des Pfalzgrafen für die Gerichtsbarkeit rechtfertigt es, eingangs die Frage zu formulieren, was Recht im frühen und hohen Mittelalter überhaupt ist. Zutreffend weist Paulus darauf hin, dass Recht nicht abstrakt galt, sondern für den konkreten Einzelfall in einem gerichtsförmlichen Verfahren gefunden und festgestellt wurde. Sodann skizziert der Verfasser die Forschungsgeschichte (S. 5ff.). Dafür hätte allerdings besser ein eigenes  Kapitel gebildet werden sollen.

 

Allgemeine Aussagen über den Inhalt des Pfalzgrafenamtes lassen sich kaum formulieren. Bisweilen muss von Person zu Person differenziert werden. Zu verschiedenen Zeiten konnten die Träger des Pfalzgrafentitels verschiedene Funktionen wahrnehmen. Zutreffend bemerkt Paulus schon in der Einleitung, dass sich „Amt“ und Tätigkeitsfeld des Pfalzgrafen nicht notwendig decken müssen (S. 1). Feste Zuständigkeitsregeln anzunehmen, wäre ohnehin anachronistisch. So fragt Paulus zu Recht, ob der Träger das Amt oder das Amt seinen Träger bestimmte (S. 4).

 

Da für die hier untersuchte Thematik normative Quellen fehlen, hat sich Paulus den Urkunden, Chroniken, Dichtungen und Geschichtsdarstellungen zugewendet. Auf breiter Quellenbasis zeichnet er die vielen Kontroversen der Forschung gründlich und gewissenhaft nach. Sorgfältig wird die Geschichte der Begriffe comes und palatium aus ihren spätantiken Wurzeln mitgeteilt (S. 12ff.). Hier wird die Grundlage gelegt für ein Verständnis des frühmittelalterlichen Pfalzgrafenamts: Schon in römischer Zeit übernahm der comes richterliche und militärische Aufgaben (S. 14). Nach den Quellen war ein Amt im frühen Mittelalter grundsätzlich offen konzipiert. Zutreffend sagt Paulus, „die Zugehörigkeit der Mitglieder zum palatium war entscheidend, nicht ihre dortigen Aufgaben.“ (S. 33). Der Palast war Friedens- und Schutzraum, in dem Gericht gehalten wurde und in dem in Anwesenheit der Großen des Reichs rechtliche und politische Angelegenheiten verhandelt und entschieden wurden (S. 39). Die Aufgabe der Großen konnte je nach Bedarf die Teilnahme als Urteiler im Gericht sein, konnte die Verwaltung von Königsgut und die Wahrnehmung militärischer Befugnisse beeinhalten. Die Verbindung von richterlichen und militärischen Funktionen, die das Pfalzgrafenamt unter den Merowingern aufwies (S. 64ff.), ist nicht weiter verwunderlich, weil nur der waffenfähige Mann im Recht stand und im Gericht handeln konnte. Er nahm einerseits im Gericht am Verfahren friedlicher Streitbeilegung teil, gewährt aber nach außen mittels Waffengewalt Schutz. Sehr ausführlich untersucht Paulus auch die Titulatur, die in den Urkunden der Kaiser und Könige zur näheren Bezeichnung bestimmter Amtsträger verwendet wird (S. 46ff.). Zu Recht versteht der Verfasser eine Titulatur als „Versuch, … die Position einer Person zu erfassen.“ (S. 46).

 

Nach einer kurzen Einleitung in das fränkische Gerichtsverfahren (S. 72ff.) geht Paulus auf die testimoniatio ein, das Pfalzgrafenzeugnis, das in der Literatur vielfach diskutiert wurde. Einigkeit besteht wohl darüber, dass die testimoniatio inhaltlich eine Bestätigung der  Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens war und in enger Beziehung zur Definitivsentenz, zur Entscheidung über den Streitfall stand (S. 76ff.). Paulus referiert hier zunächst die ältere Lehre, die annahm, dass testimoniatio und Definitivsentenz die Grundlage für das königliche Rechtsgebot darstellten, das die Verbindlichkeit der Entscheidung bestätigte und deren Vollstreckung anordnete. Diese ältere Auffassung ist vor rund 20 Jahren von Jürgen Weitzel modifiziert worden. Darauf weist Verfasser zutreffend hin. Weitzel sieht in der sententia definitiva kein Endurteil im Sinne eines Soll-Urteils, sondern ein Ist-Urteil, das nur bestätigt, was die Parteien im Gericht verhandelten (S. 81, mit Hinweis auf Weitzel, Dinggenossenschaft, S. 256, 814, 821, 827). Die testimoniatio sei daher ein Zeugnis über die „Richtigkeit des Prozessverlaufs und der in ihm liegenden Streiterledigung“ (Weitzel, Dinggenossenschaft, S. 815f.). Die erhaltenen Urkunden unterzieht Paulus daraufhin einer eigenen Untersuchung (S. 81ff.), deren Ergebnis er übersichtsartig zusammenstellt (S. 91). Paulus entwickelt hier anhand sorgfältiger philologischer Arbeit eine eigene Lösung, die überzeugt: Der Pfalzgraf war demnach Miturteiler, nicht Ersturteiler im Gericht. Gleichwohl kam ihm eine herausgehobene Stellung zu. Er bezeugte die Rechtmäßigkeit des Verfahrens und der Entscheidungsfindung. Die testimoniatio ging der sententia definitiva nicht voran, sondern beide bedingten einander. Testimoniatio und sententia definitiva wurden als Einheit angesehen (S. 91). Für die Beantwortung der Frage, warum in den karolingischen Urkunden der Begriff testimoniatio fehlt (S. 91ff.), schließt sich Paulus wieder Weitzel an, der dieses Phänomen mit der Veränderung der Definitivsentenz von einem Ist-Urteil über die vor Gericht vorgenommenen Parteihandlungen zu einem Soll-Urteil erklärt. Da das Urteil nicht mehr bloß die Bestätigung eines Vorgangs in der Vergangenheit gewesen sei, habe ein Zeugnis über das Verfahren entfallen können (S. 96, mit Hinweis auf Weitzel, Dinggenossenschaft, S. 836, 857).

 

Zum Pfalzgrafenamt unter den Karolingern werden zunächst die Entwicklungslinien aufgezeigt, welche die bisherige Forschung herausgearbeitet hat (S. 99ff.). Der Pfalzgraf begegnet vorwiegend in richterlicher Funktion. Ausweislich des Capitulare de iustitiis faciendis von 811/813 war der Pfalzgraf für die Gerichtsbarkeit über die Armen und weniger Mächtigen zuständig, während er die potentiores causas nur mit königlicher Zustimmung zur Entscheidung führen durfte (S. 104). Daraus sollte aber keine mindere Stellung des Pfalzgrafen in der Hierarchie abgeleitet werden. Der Schutz der Armen und Schwachen, der Witwen und Waisen ist originäre königliche Aufgabe. Auch Paulus weist darauf hin, dass der Pfalzgraf im Gericht als Stellvertreter des Königs auftrat und „mit königlicher auctoritas“ entschied (S. 112). Nach Hinkmar von Reims war der Pfalzgraf berechtigt, alle Rechtssachen selbständig zu erledigen. Nur wenn es an Vorschriften und Herkommen mangelte oder eine unchristliche Härte zu befürchten war, war er verpflichtet, um die Entscheidung des Königs nachzusuchen. Eine eigene pfalzgräfliche Kanzlei existierte jedoch nicht (S. 103). Schon Martin Lintzel hatte einige Bemerkungen zum Pfalzgrafenamt bei Hinkmar von Reims in der Schrift „De ordine palatii“ so gedeutet, dass die Pfalzgrafen die Regionen des karolingischen Reichs in dem Sinne am Königshof vertraten, dass bei Prozessen am Königshof „für jedes der großen Rechtsgebiete ein besonderer Vertreter des Königs, der dieses Rechtsgebiet aus eigener Erfahrung kannte, zur Verfügung stand.“ (Lintzel, Der Ursprung der deutschen Pfalzgrafschaften, ZRG GA 49, (1929), S. 233-263, 253). Tatsächlich sind häufig mehrere Pfalzgrafen nachgewiesen, die das Amt für kürzere oder längere Zeit innehatten. Lintzel hatte auch bereits auf das Erblichwerden des Pfalzgrafenamtes hingewiesen (Lintzel, S. 244f.). Diese Beobachtung entspricht der allgemeinen Tendenz in der späten Karolingerzeit. Im Zuge des Verfalls karolingischer Macht, wurden die regionalen Herrschaftsträger gestärkt. Der Hofpfalzgraf, dessen Amtsbereich jedenfalls auch einem Stammesgebiet zugeordnet war, konnte so zum Provinzialpfalzgrafen werden (Lintzel, S. 257). Auch Paulus stellt fest, dass die Regionalisierung des Pfalzgrafenamtes um die Mitte des 10. Jahrhunderts abgeschlossen war (S. 193). Noch der Sachsenspiegel (Ldr. III, 53 § 1) berichtet, jedes deutsche Land habe seinen Pfalzgrafen. In Parallelität zur Ausbildung der Stammesherzogtümer könnte sich auch der Pfalzgraf stärker dem Stamm verbunden gefühlt haben als dem König. Waitz hatte dagegen angenommen, die Pfalzgrafen wären von Otto I. dazu bestimmt worden, neben dem Herzog königliche Rechte wahrzunehmen (Waitz, Verfassungsgeschichte, Bd. V, 3. Aufl., 1955, S. 81). Dem war Lintzel entgegengetreten, der keine Nachweise für eine besonders herausgehobene Rolle des Pfalzgrafen im Königsgericht sah (S. 245f.). Der Pfalzgraf lasse sich vor allem nicht als Vertreter königlicher Interessen nachweisen (S. 246 f.). Die neuere Forschung hat dagegen wieder betont, dass das Pfalzgrafenamt noch im 11. Jahrhundert als delegierte Königsherrschaft aufgefasst worden sei (S. 152ff., 164ff.). Noch der Sachsenspiegel sieht den Inhalt des Grafenamtes als vom König abgeleitete Gerichtsbarkeit an. Auch Paulus erkennt den Pfalzgrafen eher als königlichen Vertrauensmann und Stellvertreter des Königs (S. 165ff.). So versteht er wohl zu Recht die Übertragung der Pfalzgrafenwürde als Versuch Ottos I., die Luitpoldinger an das Königshaus zu binden (S. 169). Zutreffend hebt er auch hervor, dass delegierte Königsmacht seinem Träger eine erhebliche Legitimationsbasis verschaffen konnte (S. 180). Das hat die Forschung jedenfalls für das Fürstenamt seit der Barbarossazeit nachgewiesen. Dem Fürsten kam eine vizekönigliche Stellung zu. Paulus kann darauf hinweisen, dass es keine Belege für die Absetzung eines Pfalzgrafen durch den Herzog gibt, wohl aber durch den König (S. 170). Das Amt ist demnach nicht dem Herzog unterstellt, sondern steht in unmittelbarer Verbindung zum König. Daher sei durchaus wahrscheinlich, dass der Pfalzgraf eine Kontrollfunktion über das Königsgut ausübte (S. 171).

 

Nach während dieser notwendigen Vorarbeiten nimmt Paulus Bayern in den Blick. Seit der Regierungszeit Ludwigs des Deutschen im spätkarolingischen bayerischen Teilkönigtum sind in Bayern mit einigen Unterbrechungen Pfalzgrafen nachweisbar (S. 125f.). Auch hier fällt die sorgfältige Untersuchung der Urkundenzeugnisse ins Auge (S. 126ff.). Wichtige Erkenntnisse kann der Verfasser auch aus dem carmen der Timone comite (um 834) herleiten, in dem von der richterlichen Tätigkeit eines Grafen Timo berichtet wird (S. 131ff.). Gründliche Untersuchungen finden sich zu den Aribonen (S. 213ff.) und Ezzonen (S. 237ff.). Allgemeine Ausführungen zu den Themen Adel und Gericht wechseln sich mit der Geschichte des Pfalzgrafenamts ab. Eine hilfreiche Zusammenfassung der Ergebnisse findet sich zum Thema der pfalzgräflichen Klostergründungen (S. 254ff., 278). Vergleichend werden im Text die Pfalzgrafen von Sachsen (S. 176ff., 285ff.), Lothringen (S. 227ff.) und Kärnten (S. 199ff., 207ff.) berücksichtigt.

 

Der letzte große Abschnitt widmet sich den Wittelsbachern als Pfalzgrafen seit etwa 1120 (S. 282) und dem Ende des Pfalzgrafenamtes. Während es den Wittelbachern unter Lothar III. an besonderer Königsnähe fehlte (S. 291ff.), kann Paulus eine besonders enge Beziehung zum König in der Zeit Friedrichs I. Barbarossa nachweisen, die auch der Grund für den Aufstieg zum Herzogtum war (S. 303ff.). Anhand der Quellen untersucht Paulus auch für das 12. und 13. Jahrhundert die Funktionen des Pfalzgrafen im Gericht (S. 316ff.). Größtmögliche Quellennähe zeichnet auch die Untersuchungen zu den pfalzgräflichen Gütern aus (S. 345ff.). Der Untergang der bayerischen Pfalzgrafschaft vollzieht sich in einem mehrere Jahrzehnte andauernden Prozess, der mit der Übertragung der Herzogswürde auf die Wittelsbacher 1180 beginnt und 1248 mit dem Tod des letzten Pfalzgrafen sein Ende findet (S. 370ff.). Paulus deutet dieses Phänomen so: Die Verbindung von Herzogwürde und Pfalzgrafenamt in einer Familie habe das Amt ausgezehrt. Die pfalzgräflichen Gerichtsrechte seien vom Herzogsgericht übernommen worden. Eine ähnliche Verbindung sei für die sächsische Pfalzgrafschaft zu beobachten, die 1180 an die Landgrafen von Thüringen kamen. Eine andere Entwicklung zum Territorialfürsten nahm dagegen die lothringische Pfalzgrafschaft, die Güter an der Mosel und im Mittelrheingebiet erwarb (S. 370f.) und im 13. Jahrhundert als Pfalzgrafschaft bei Rhein zu den Kurfürstentümern gezählt wurde. Bemerkenswert ist auch, dass der Pfalzgraf von Sachsen ebenso wie der Pfalzgraf bei Rhein aber im Gegensatz zu den Pfalzgrafen von Bayern, Tübingen und Kärnten als Reichsfürst angesehen wurde (Ficker, Vom Reichsfürstenstande, Bd. I, S. 198). Darauf geht Paulus allerdings nicht ein.

 

Paulus deutet das Pfalzgrafenamt als „offenes Amt“, das „im Spannungsverhältnis zwischen königlicher Inanspruchnahme und Instrumentalisierung durch den jeweiligen Träger und in Reaktion auf die Erfordernisse der Zeit“ steht (Vorwort). Die Arbeit zeichnet sich durch umfangreiche Quellenarbeit, eine eigenständige Konzeption und nachvollziehbare, wohlbegründete Argumentation aus. Leider gehen die Schlussüberlegungen nur auf das Weiterleben des Pfalzgrafenamtes ein, enthalten aber keine Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse (S. 374ff.). Das ist angesichts der vielfältigen Kontroversen der Forschung und der hier neu gewonnenen Erkenntnisse misslich, zumal Paulus für das Pfalzgrafenamt in Bayern ein Standardwerk vorgelegt hat. Aufgrund seiner gründlichen Untersuchung wird man wohl sagen können, dass Macht und Bedeutung des Pfalzgrafen in erster Linie auf Königsnähe und hoher Gerichtsbarkeit gründen, erst nachrangig auf einem Amtsgut.

 

Berlin/Würzburg                                                                                 Steffen Schlinker