Mahlmann, Matthias, Elemente einer ethischen Grundrechtstheorie (= Neue Schriften zum Staatsrecht 3). Nomos, Baden-Baden 2008. 553 S. Besprochen von Walter Pauly.

 

Die in ihren rechts- und ideengeschichtlichen Passagen anzuzeigende, bei Hubert Rottleuthner an der Freien Universität Berlin entstandene Habilitationsschrift ist einem rechtswissenschaftlichen Universalismus verpflichtet, der die internationale Menschenrechtskultur u. a. im Rekurs auf darin gespeicherte anthropologische und moralische Gehalte zu erfassen sucht (S. 521f.). In das Zentrum der Theorie der Grund- und Menschenrechte rückt damit das Vorhaben einer ethischen Reflexion, das von sehr unterschiedlichen Standpunkten, etwa einem utilitaristischen, diskursethischen oder analytischen, seinen Ausgang nehmen kann. Intendiert ist nicht nur eine allgemeine Fundierung von Rechtsordnungen, die hiermit vor einem Verfall nach Weimarer Muster bewahrt werden sollen, sondern darüber hinaus auch ein Einfluss auf die Grundrechtsinterpretation (S. 25). Die auf diese Weise in den Blick genommene Verhältnisbestimmung von Recht und Moral wird in einem ersten Schritt auf fünfzig Seiten ideengeschichtlich aufbereitet. Sie greift hierzu knapp zurück in die Antike und Patristik, um dann bei Thomas von Aquin einen Schwerpunkt zu setzen, namentlich mit der These, dass die Beschränkung der lex humana auf äußere Handlungen – unter Absehung von inneren Absichten, deren Lenkung das göttliche Gesetz übernehme – die kantische Differenzierung von Befolgungsmotiven bei Rechts- bzw. Tugendgesetzen antizipiere (S. 36). Die gemeinhin insinuierte hohe Bedeutung von Christian Thomasius für die Unterscheidung von Recht und Moral wird dagegen stark relativiert, da der hallische Frühaufklärer die innere Verbindlichkeit gerade nicht als moralisches Gebot, sondern als „zweckrationale Klugheitsregel“ konzipiere (S. 44), womit er näher bei Hobbes als bei Kant zu verorten sei. Die kantische Scheidung von Recht und Moral habe Hegel in seinem Gegenentwurf aufgehoben in einem weiten, auf die Verwirklichung von Freiheit zielenden Begriff von Recht, in dem die konträren Momente des abstrakten Rechts und der Moralität dialektisch aufgehoben worden seien (S. 55). Über den soziologischen Rechtsbegriff von Max Weber, den positivistischen von Hans Kelsen, den autopoietischen von Niklas Luhmann sowie den ungeachtet des diskursethischen Fundaments u. a. durch Positivität, institutionelle Durchsetzung wie äußeren Handlungsbezug charakterisierten Rechtsbegriff von Jürgen Habermas gelangt der Abriss schließlich zu den favorisierten „modernen“ Verbindungstheorien, die das Recht wie etwa bei Gustav Radbruch oder Ronald Dworkin an moralische Mindestgehalte binden (S. 66ff.).

 

Nach dieser abstrakten Sphärenscheidung erfolgt ein zweiter ideengeschichtlicher Durchgang bezogen auf die ethisch wie rechtlich vielfältig schillernde Menschenwürde, die als idée directrise den Grund- und Menschenrechten, nicht zuletzt in internationalen, europäischen und nationalen Deklarationen, voransteht. Eingedenk der Differenz von Geltung und Genese wird der begriffsgeschichtliche Rückblick auf die „historischen Wurzeln der Selbstzweckidee“ gesteuert (S. 104f.) und setzt wiederum ein in der Antike, die dieses Mal breitere Berücksichtigung erfährt und auch dort zur Würde beitragen kann, wo das Wort nicht fällt, wie eingangs in Sophokles’ Antigone, die den Eigenwert des Menschen im „Ungeheuren“ ausmacht (S. 106f.). Vertiefte Würdigung erfahren auch die Sichtweisen der Weltreligionen, wobei die Variationen der imago-dei-Lehren im Pentateuch ebenfalls aufgezeigt werden: gottähnlich geschaffen oder postlapsarisch geworden (S. 117f.). Nach kurzem Abriss der Lehren in Humanismus, Renaissance und Kontraktualismus wird das „Schwankende der kantischen Argumentation“ (S. 150), die bis heute eine zentrale Rolle in der Menschenwürdediskussion spielt, breit dargelegt. Eine „letzte Begründung der Selbstzweckhaftigkeit“ des Menschen müsse auf „anderen Wegen“ als in der kantischen humo noumenon-Lehre gesucht werden (S. 178), nämlich in der empirisch durch den „Glücksbezug“ gegebenen Selbstbetrachtung aller Menschen als Selbstzweck (S. 265). Der knappe Abriss der Würdedebatte des 19. und 20. Jahrhunderts, der von Hegels sittlichem Anundfürsichsein über Marx’ Imperativ, alle den Menschen knechtenden und erniedrigenden Verhältnisse umzustürzen, über den Wertnihilismus Nietzsches und die Existenzphilosophie zur kritischen Theorie führt, widmet sich in diesem Zusammenhang oft vernachlässigten, gleichwohl teils ergiebigen Autoren. Im systematischen Teil tauchen schließlich Habermas und Luhmann als die Protagonisten der Gegenwartsdebatte auf. Obschon die Untersuchung gerade in den historischen Abschnitten zu wenig sekundärliterarische Absicherung bietet, profitiert der rechtsgeschichtlich interessierte Leser vom breiten Panorama der herangezogenen Primärquellen.

 

Jena                                                                                                               Walter Pauly