Lenzing, Anette, Gerichtslinden und Thingplätze in Deutschland (= Die blauen Bücher). Langewiesche, Königstein im Taunus 2005. 195 S. mit zahlreichen Abb. Besprochen von Wilhelm A. Eckhardt.

 

Die Autorin ist Landschaftsarchitektin, das Copyright liegt bei dem „Terra Verde Planungsbüro für Landschaftsarchitektur“ in Heiligenhaus, und es ist nur zu begrüßen, dass durch diese Veröffentlichung offenbar Landschaftsarchitekten und anderen Planungsverantwortlichen der Blick geschärft werden soll für erhaltenswerte Natur- und Rechtsdenkmäler. Dem dienen auch die zahlreichen Hinweise auf baumpflegerische und baumchirurgische Maßnahmen. Insofern handelt es sich um ein wichtiges Buch.

 

Aus rechtshistorischer Sicht ist es allerdings ganz unzulänglich. Die Autorin kennt weder die grundlegenden Arbeiten Karl Frölichs für Hessen noch die von Karl-Sigismund Kramer für Franken, von meinen kleinen Beiträgen (in der Festschrift Karl Kroeschell 1997 und im Hess. Jb. f. Landesgesch. 2001) zu schweigen. Sie hat für ihre „rechtshistorische“ Einleitung über Gerichtswesen und Strafrecht auch nicht etwa Wolfgang Schilds „Geschichte der Gerichtsbarkeit“ (2002) benutzt, aber vielleicht (neben einem Vortrag bei Rotary Arnsberg) die im Literaturverzeichnis aufgeführte 1. Auflage von O. Schnettlers „Die Veme“ (1921).

 

Das Literaturverzeichnis enthält (S. 188) ein anachronistisches Kuriosum: „Eckardt (sic), Karl August u. Karl Rauch (Hrsg.), Germanenrechte: Texte und Übersetzungen (= Schriften d. Akad. f. deutsches Recht), Weimar 1966.“ Die Reihe ist in den Schriften der NS-Akademie für Deutsches Recht von 1934 bis 1939 erschienen. Die dazu nicht passende Jahreszahl 1966 deutet auf K. A. Eckhardts Ausgabe der Lex Ribvaria (= Germanenrechte N. F., Abt. Westgermanisches Recht) hin, die tatsächlich von L. (Anm. 59) als Quelle für die S. 10 abgedruckte Übersetzung aus der Lex Ribvaria angegeben wird. Diese Ausgabe enthält aber gar keine Übersetzung, und L. zitiert auch nicht nach der Übersetzung von 1934 (= Germanenrechte: Texte und Übersetzungen, Bd. 2 I, S. 159 Ziffer 11), sondern sie übernimmt die Übersetzung Karl Kroeschells im ersten Band seiner Deutschen Rechtsgeschichte von 1972 (S. 52) und zitiert dazu K. A. Eckhardt blind. Auch der Pactus Alamannorum wird (S. 10f.) nach der Übersetzung Karl Kroeschells (a. a. O., S. 50f.) zitiert. Für die z. T. unsinnigen Übersetzungen aus der Lex Salica (S. 11) sind weder K. A. Eckhardt noch K. Kroeschell verantwortlich; eine Quelle dafür wird von L. nicht angegeben.

 

Dieses Beispiel wirft ein ziemlich schlechtes Licht auf die Arbeitsweise der Autorin. Immerhin ist es lobenswert, dass sie überhaupt eine Darstellung der deutschen Rechtsgeschichte benutzt hat. Aber es hätte nicht übersehen werden dürfen, dass Kroeschells Werk seit 1972 zahlreiche Neuauflagen erlebt hat, von denen füglich die neueste hätte zitiert werden müssen. Im Internet, das die Autorin auch sonst konsultiert, lässt sich so etwas doch leicht recherchieren.

 

Der „Katalog bedeutender Gerichtslinden und ehemaliger Thingplätze“ (S. 29-187), gegliedert nach Bundesländern und Orts-Alphabet, ist reich bebildert und schon wegen der Gegenüberstellung alter und neuer Abbildungen durchaus von Nutzen. Die Auswahl der Beispiele wirkt allerdings eher zufällig und dient nicht dazu, unterschiedliche Ausprägungen der Lindenplätze deutlich zu machen. Das wäre z. B. im Umkreis von Marburg durchaus möglich, aber von den vielen verschiedenen Dorfgerichtsplätzen im Marburger Raum wurde für die Darstellung in den blauen Büchern nur die Gerichtslinde in Goßfelden (S. 72f.) ausgewählt.

 

Aus Nordhessen kommen drei weitere Gerichtslinden vor. Die Dorflinde in Licherode war vor 25 Jahren, als ich sie fotografiert habe, noch recht ansehnlich. Jetzt stellt sie sich (S. 68) als Ruine dar und nicht als „einer der besterhaltenen historischen Dorfgerichtsplätze in Waldhessen“ (eine unhistorische Bezeichnung der Tourismusbranche für den Landkreis Hersfeld-Rotenburg). Diese Ehre steht vielmehr der von L. ebenfalls behandelten „geleiteten“ Linde bei der Kirche in Schenklengsfeld (S. 74f.) zu, die zu Recht mit der eindrucksvollen „geleiteten“ Linde im fränkischen Effeltrich verglichen wird. Diese Form der „geleiteten“ Linden verdankt aber nicht der Gewinnung von Bast an den in die Höhe strebenden Lindenästen ihre Entstehung, wie S. 44 zu lesen ist. Vielmehr leitete man die jungen, noch biegsamen Lindenzweige waagerecht über eine Stützkonstruktion, um den Gerichtsplatz „unter Dach“ zu bringen; unter ein später ziemlich dichtes Laubdach, wenn man „die in die Höhe strebenden Äste“ regelmäßig entfernt.

 

Besonders schöne Beispiele für solche Gerichtsstätten könnten durch die ummauerte, geleitete und gestufte Linde in Hilgershausen und die ummauerte und geleitete Linde mit Steintisch in Sebbeterode, beide im Schwalm-Eder-Kreis, dokumentiert werden, doch die kennt L. offenbar nicht. Sie behandelt aber noch die Gerichtslinde in Basdorf, Kreis Waldeck-Frankenberg (S. 77f.). Der Text stammt weitgehend wörtlich aus der Internetseite www.basdorf-edersee.de. Dabei hat sich kein Geringerer als Edward Schröder schon mit der „Gerichtslinde von Basdorf in der Herrschaft Itter“ beschäftigt (ZVolkskunde 6, 1896, S. 347-354), und die Abbildung von damals hätte gut zum Vergleich mit dem heutigen Zustand dienen können.

 

Nach alledem muss daran erinnert werden, wie wichtig die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei solchen Projekten ist. Es genügt eben nicht, die unteren Naturschutzbehörden, lokale Veröffentlichungen und kommunale Internetseiten zu befragen.

 

Marburg                                                                                                          Wilhelm A. Eckhardt