Kustatscher, Erika, Die Städte des Hochstifts Brixen im Spätmittelalter. Verfassungs- und Sozialgeschichte von Brixen, Bruneck und Klausen im Spiegel der Personengeschichte (1200-1550), 2 Teilbände (= Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 25, 1, 25, 2). Studienverlag, Innsbruck 2007. 405, 406-929 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Geleitet von Schillers Sprüchen des Konfuzius über Breite und Tiefe der Welt und die Verhältnisse zwischen Fülle und Klarheit sowie Abgrund und Wahrheit legt die 1987 in Innsbruck promovierte Verfasserin nach rund 10jähriger, neben dem Unterricht am Gymnasium als Einzelarbeiterin geleisteter Forschung ein Werk vor, dessen Umfang für sie bei und nach Beginn lange Zeit nicht abschätzbar war. Ausgangspunkt war eine Studie über die am Ende des 14. Jahrhunderts aus Bruneck im Pustertal nach Sterzing und Brixen im Eisacktal abgewanderte Familie Jöchl. Weil sich dabei gezeigt hatte, dass alle Voraussetzungen fehlten, die für den Einzelfall erhobenen Daten adäquat zu bewerten, entstand, angeregt von Hans Heiss, der Plan einer sehr umfangreichen Sammlung von Biographien mit dem Ziel der Auswertung in sozialgeschichtswissenschaftlichem Sinn.

 

Die Bearbeitung erfolgte in zwei Schritten. Zunächst erstellte die Verfasserin ein insgesamt 10378 Namen umfassendes biographisches Corpus, das wegen seines Umfangs nicht in gedruckter Form veröffentlicht werden konnte und deswegen der Arbeit als an bestimmte Systemvoraussetzungen gebundene CD-Rom beigefügt wurde. Auf dieser Grundlage nahm sie eine umfassende Auswertung vor.

 

Diese gliedert sich in insgesamt sechs Abschnitte. Dabei schildert die Verfasserin in ihrer übersichtlichen Einleitung den Forschungsgegenstand, Eckdaten der Geschichte der am Ende des Mittelalters schätzungsweise 1600-1700, 1200-1500 und 600-700 Einwohner zählenden drei Städte, die Fragestellung, die Methode, die Begrifflichkeit und Argumentationsweise, die Quellen, das biographische Corpus und die Struktur der Biographien. Zeitlich gliedert sie das gesamte Material in die Jahre bis 1325, bis 1400, bis 1475 und bis 1550, wobei sie um 1325 eine besonders auffällige Zunahme von Quellen wie Personen feststellt.

 

Der zweite Abschnitt betrifft sozialrelevante Merkmale. Dabei erörtert die Verfasserin die Qualität der Dokumentation, die Gliederung der städtischen Bevölkerung nach dem Rechtsstatus, die private Lebenssituation einschließlich Frauen und Geistlichkeit, die wirtschaftlichen Grundlagen einschließlich eines Studiums, den Lehensbesitz, die Integration in das private Rechtsgeschehen, die qualifizierenden Beiwörter (weise, fursichtig, furnehm), die Stadtviertel und Aspekte gesellschaftlich relevanten Handelns einzelner Personen. Im Ergebnis gewinnt sie dabei Erkennungsmerkmale einer gehobenen sozialen Position, wobei sie besonders für Bruneck einen hohen Grad sozialer Ungleichheit ermitteln kann.

 

Der dritte Abschnitt widmet sich der kommunalen Mitbestimmung. Hier sind ein ratsähnliches Gremium in Brixen, der Stadtrat von Bruneck sowie Stadtrecht und Ehafttaiding in Klausen die wichtigsten Bearbeitungsgegenstände. Insgesamt ergeben sich dabei vor allem auf wirtschaftliche Aspekte gestützte oligarchische Strukturen.

 

Der vierte Abschnitt behandelt die Bekleidung von Ämtern. Erfasst werden kommunale Ämter, von der Stadtherrschaft vergebene Ämter und außerstädtische Ämter. Dabei zeigt sich beispielsweise, dass die von der Stadtherrschaft vergebenen Ämter auch in Hinblick auf das persönliche Profil ihrer Träger nicht grundsätzlich höheren Schichten vorbehalten waren als die kommunalen Ämter.

 

Der fünfte Abschnitt wählt einzelne Familien aus. Dabei unterscheidet die Verfasserin zwischen langen Familientraditionen, zweiter Ebene und erhöhter individueller Mobilität im 15. und 16. Jahrhundert. Danach bestätigte sich bei aller Individualität im Einzelnen grundsätzlich ein markantes Profil in der Anfangsphase einer führenden Familie, ein relativ rasches Sich-Hinarbeiten auf den Höhepunkt und dann eine langsam vor sich gehende Phase des Niedergangs, wobei sich die vielfach versuchte Festlegung von Schichtungsgrenzen als unzulänglich erwies.

 

In der gelungenen, auch italienisch wiedergegebenen Zusammenfassung der zahlreiche innovative Züge zeigenden, wichtige und aus den jeweiligen verfassungsmäßigen Besonderheiten nicht erklärbare Unterschiede innerhalb der drei erfassten Städte nachweisenden Arbeit gelangt die Verfasserin zu der Erkenntnis, dass die eigentlich entscheidenden Dinge nicht wirklich plan- und steuerbar sind, was zumindest als Grundsatz einleuchtet. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis rundet den ersten Band ab. Der zweite Band bietet 99 Verzeichnisse und 28 vielfach weiter aufgeschlüsselte Tabellen, so dass wohl alle derzeit denkbaren Fragestellungen des Aufgabenbereichs im Rahmen der grundsätzlich vorgegebenen Quellenlage durch die gelungene, sorgfältige, vorsichtige und ertragreiche Untersuchung überzeugenden Antworten zugeführt werden können.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler