Keller, Moritz, Schuldverhältnis und Rechtskreisöffnung. Von der Lehre der culpa in contrahendo zum Rücksichtnahmeschuldverhältnis der § 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB (= Schriften zum Bürgerlichen Recht 365). Duncker & Humblot, Berlin 2007. 265 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das also war des Pudels Kern aus Faust 1, 1323 stellt der Verfasser dieser von Jan Schapp betreuten, im Wintersemester 2006/2007 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Gießen angenommenen Dissertation voraus. Ermittelt wird dieses Ergebnis mittels einer Einführung und zweier Teile sowie eines Ausblicks. Im Mittelpunkt steht dabei nicht eigentlich die Rechtsgeschichte, sondern der rechtstheoretische Blick für den Kern oder das Wesen.

 

Gleichwohl besteht ein geschichtlicher Ausgangspunkt, als welchen der Verfasser den Anwendungsbereich des Instituts der culpa in contrahendo bis zur Kodifikation versteht, wobei er mit der Kodifikation das Gesetz zur Neuregelung des Schuldrechts meint. Nach seiner Ansicht war mangels Erkennbarkeit eines einheitlichen Tatbestands das Schuldverhältnis der culpa in contrahendo zum Zeitpunkt der Schuldrechtsreform ein Schuldverhältnis ohne Tatbestand. Ihm stellt er  das rechtsgeschäftsähnliche Schuldverhältnis der §§ 311 II, III (eher der Absätze II und III des § 313) BGB als Kodifikation ohne Tatbestand gegenüber.

 

Danach legt er den geplanten Gang seiner Darstellung offen, wobei er es als Hauptproblem ansieht, dass infolge der historischen Entwicklung bis heute die tragenden Momente der typischen Fallkonstellationen nicht freigelegt worden seien. Deswegen zeichnet er im ersten Teil der Untersuchung die Entwicklung der Dogmatik des Schuldverhältnisses bis zur Kodifikation der „§§“ 311 Abs. 2 und 3 BGB nach. Im zweiten Teil arbeitet er auf dieser Grundlage Tatbestand und Legitimation des heutigen Schuldverhältnisses der „§§“ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB heraus.

 

Seine historische Grundlagenbildung gliedert er in sieben Abschnitte. Sie reichen vom (gemeinen) römischen Recht und den frühen Kodifikationen (Preußen, Sachsen, Österreich) als auf wenigen Seiten wiedergegebenen Ausgangspunkt (Jhering) über den Konsensgedanken als eine Leitlinie des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses in der dogmatischen Entwicklung (Leonhard), den Vertrauensgedanken als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses (Heinrich Stoll, Dölle, Ballerstedt, Canaris), die Anknüpfung an privatautonomes Handeln als eine Leitlinie für Entstehungstatbestand und Rechtfertigung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses, Nebenlinien der dogmatischen Entwicklung und die Rechtskreisöffung der Beteiligten als eine Leitlinie der dogmatischen Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses (Krebs, Picker, Frost) bis zu einer Zusammenfassung von Konsens, Vertrauen und Anknüpfung an privatautonomes Verhalten und Rechtskreisöffnung als Leitlinien der dogmatischen Entwicklung.

 

Der zweite Teil befasst sich mit dem Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung im System des bürgerlichen Rechts. Dazu erörtert der Verfasser zunächst das System von Ansprüchen, analysiert den Entstehungstatbestand, stellt den Tatbestand dar und wendet sich dann der Legitimation zu. In seinem abschließenden Ausblick sieht er als des Pudels bzw. Schuldverhältnisses Kern die Rechtskreisöffnung.

 

Er schließt seine Untersuchung  mit der Feststellung, dass die Weiterentwicklung der ehemaligen Lehre von der culpa in contrahendo beendet sein mag, die jetzige des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung damit gerade aber begonnen hat. Ein wesentliches Arbeitsfeld dürfte nach seiner Ansicht mit der Herausarbeitung bzw. Konturierung von Schutzgütern im Rahmen des Vermögens schon gefunden sein. Möge seine durch ein Literaturverzeichnis und ein Stichwortverzeichnis abgerundete Untersuchung in diesem Sinne auf fruchtbaren Boden fallen.

 

Innsbruck                                                                                                                              Gerhard Köbler