Herrscher- und Fürstentestamente im westeuropäischen Mittelalter, hg. v. Kasten, Brigitte (= Norm und Struktur - Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit 29). Böhlau, Köln 2008. XI, 864 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der Sammelband fasst Referate einer an der Universität Saarbrücken vom 15.-18 Februar 2006 bei Gelegenheit des 1200. Jahrestags der so genannten divisio regnorum Karls des Großen vom 6. Februar 806 von den Disziplinen Geschichte, Altertumskunde, Rechtswissenschaft, Theologie, Byzantinistik und Orientalistik gestalteten Symposiums zusammen. Nach der Einführung der seit 2002 in Saarbücken tätigen Herausgeberin geht sie auf die zwischen 1992 und 1994 in den Recueils de la Société Jean Bodin pour l’histoire comparative des institutions erschienenen vier Bände zu Verfügungen von Todes wegen von der Antike bis zur Moderne in Europa und den außereuropäischen Welten zurück, in denen der Versuch unternommen wurde, die Bemühungen von Menschen, über den Tod hinaus Eigentumsrechte mit Hilfe von Testamenten und anderen erbrechtlichen Verfügungen wahrzunehmen, in einem umfassend vergleichenden Ansatz vorwiegend aus juristischer Perspektive zu untersuchen. Da dort wie in der anschließenden Literatur eine systematische und übergreifende Untersuchung europäischer Herrschertestamente des Mittelalters unterlassen wurde, sollte das Symposium diese Forschungslücke für den westeuropäischen Raum zu einem Teil schließen.

 

Zu diesem Zweck haben sich unter vielseitiger Unterstützung 32 Forscher zusammengefunden. Ihre 31 Referate gibt der Band mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick wieder. Zum Ausgleich der Recueils sind die Rechtshistoriker hier in der Minderheit.

 

Sie legen allerdings gleich zu Beginn die rechtlichen Grundlagen fest. Dabei behandelt aus eher dogmatischer und neuzeitlicher Sicht zunächst Diethelm Klippel Herrschaft, Testament und Familie als rechtsgeschichtliche Koordinaten von Herrscher- und Fürstentestamenten. Juristische Begriffe und Definitionen bezüglich frühmittelalterlicher Verfügungen von Todes wegen erörtert Adrian Schmidt-Recla.

 

Von hieraus wechselt der Band vielleicht aus lokalgeschichtlichen Bindungen über seinen Titel ausgreifend in die Antike. Tiziana Chiusi untersucht vor allem auf Grund Suetons römische Herrschertestamente im Kontext von Erb- und Eigentumsrecht. Klaus Martin Girardet widmet sich den politischen Absichten und Folgen antiker Herrschertestamente in einem weiteren Sinn.

 

Vom Anlass her überrascht es kaum, dass dann das Frühmittelalter im Vordergrund steht. Matthias Hardt betrachtet vererbte Königsschätze in Völkerwanderungszeit und frühem Mittelalter, Johannes Fried die Friedenskonstitution Karls des Großen von 806, Matthias M. Tischler die divisio regnorum von 806 zwischen handschriftlicher Überlieferung und historiographischer Rezeption, Sören Kaschke die divisio regnorum und die fränkische Herrschaftsnachfolge, Dieter Hägermann die divisio regnorum von 817 und 831, Matthias Becher die Bedeutung von Eintritts- und Anwachsungsrecht für die Herrschaftsnachfolge im Frankenreich und Rudolf Schieffer die geringe Effizienz letztwilliger Verfügungen der Karolinger insgesamt. Mireille Chazan steuert einen Beitrag über die Testamente Karls des Großen in den mittelalterlichen französischen Chroniken bei.

 

Eher kurz wird demgegenüber das römisch-deutsche Reich behandelt. Klaus von Eickels beschäftigt sich mit den Testamenten der späten Staufer, Heinz Thomas mit dem Testament Johanns von Böhmen und den Erfolgeordnungen Kaiser Karls IV. Auf die Testamente römischer Königinnen im mittelalterlichen deutschen Reich blickt Amalie Fößel.

 

Dem folgen vier Beiträge über Frankreich von Elizabeth A. R: Brown, Jörg Oberste, Murielle Gaude-Ferragu und Heike Johanna Mierau. England kommt in Studien John Gillinghams, Jens Röhrkastens und Jörg Rogges zu Wort. Zum Frühmittelalter kehrt Josef Semmler mit seinen Darlegungen zum Testament des gallofränkischen Bischofs zurück, während Stephanie Haarländer, Stephan Weiß und Jürgen Sarnowsky andere Aspekte des Verhältnisses von Kirche und Testament beleuchten.

 

Am Ende werden die im Titel aufgezeigten Grenzen auch örtlich überschritten. Neben den etwas einsamen Studien Swen Holger Brunsches über die letztwilligen Verfügungen von Herzögen und Grafen im frühmittelalterlichen Italien gehen Ralph-Johannes Lilie auf Byzanz, Rudolf Hiestand auf das Heilige Land, Peter Thorau auf den mamlukischen Sultan Qalawun und Elisabeth und Gert-Rüdiger Puin auf das Vermächtnis der Königin des Jemen von 1137 ein. Gert Melville gibt zum Schluss eine Zusammenfassung und einen Ausblick.

 

Wie das von Sabine Penth erstellte Verzeichnis der behandelten Verfügungen von Todes wegen erkennen lässt, verwerten die vielfältigen interessanten Untersuchungen schätzungsweise 200 einzelne Dokumente, darunter am intensivsten die divisio regnnorum Karls des Großen vom 2. 6. 806. Ein fünfzigseitiges Register der Orts- und Personennamen von Aachen bis Zypern erleichtert den Zugriff. Der im Ergebnis vielfältige neue Erkenntnisse über die mittelalterliche Staatlichkeit erzielende, das Fehlen einer abstrakten Vorstellung von Herrschaft relativierende Band kann zwar sein Thema naturgemäß nicht wirklich erschöpfen, aber doch eine interessante Grundlage für weitere Untersuchungen in diesem Bereich legen.

 

Innsbruck                                                                                                                  Gerhard Köbler