Hein, Jan von, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland (= Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 87). Mohr, Tübingen 2008. XLVI, 1089 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die gewichtige Arbeit ist in ihrer ursprünglichen Fassung im Wintersemester 2006/2007 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg als Habilitationsschrift angenommen worden. Sie ist während einer einem Aufenthalt als Joseph Story Research Fellow an der Harvard Law School und der Promotion in Hamburg über das Günstigkeitsprinzip im internationalen Deliktsrecht 1998 folgenden Tätigkeit als wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg entstanden und hat umgehend seine Berufung nach Trier begründet. Betreut wurde sie durch Klaus J. Hopt.

 

Ihr Umfang entspricht der Bedeutung ihres Gegenstandes. Diese ist nicht nur in der Gegenwart von unübersehbarer wirtschaftsrechtlicher und wirtschaftlicher Erheblichkeit, sondern hat auch eine bisher weithin vernachlässigte rechtsgeschichtliche Dimension. Hierauf nachdrücklich aufmerksam zu machen, ist auch ein beachtliches rechtsgeschichtliches Verdienst.

 

Die auf einem Literaturverzeichnis von weit mehr als 100 Seiten mit wohl weit mehr als 2000 Titeln ruhende Arbeit gliedert sich übersichtlich in 10 Paragraphen. Davon leitet die kurze Einführung mit zwei Zitaten Wulf Goettes aus dem Jahr 1983 und Walther Rathenaus von 1917 in die Fragestellung ein. Danach erklärt der Verfasser nach der Feststellung, dass sich in den Lehrbüchern zum Gesellschaftsrecht lange Zeit kaum etwas zu den US-amerikanischen Wurzeln zahlreicher aktienrechtlicher Institutionen findet, den Gang seiner Untersuchung.

 

Sie beginnt mit begrifflichen Grundlagen, in denen der Verfasser sich ausführlich mit der Frage auseinandersetzt, ob es sich bei der Annahme amerikanischen Gesellschaftsrechts um Rezeption, Konvergenz, Assimilation, Amerikanisierung oder Globalisierung, Adaption bzw. Adaptation, Transposition, Implantation, Inokulation usw. handelt. Im Ergebnis entscheidet er sich überzeugend für den aussagekräftigen Ausdruck Rezeption, gegen den sich keine durchschlagenden Argumente finden lassen.

 

Der rechtsgeschichtliche Schwerpunkt liegt dann auf § 3, in dem der Verfasser ausführlich die Rezeption des US-amerikanischen Aktienrechts vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart schildert. Dabei fasst er überzeugend die deutsche Entwicklung vom 19. Jahrhundert bis zum Ende des ersten Weltkriegs zusammen. Dem schließt er die Reformdiskussion in der Weimarer Republik, das deutsche Aktiengesetz von 1937, die deutsche Nachkriegsentwicklung bis 1965, die europäische Ebene, die deutsche Entwicklung bis 1998 und die Entwicklung bis zur Gegenwart an.

 

Bis zum Ende des ersten Weltkriegs erweist sich der souveräne Gesetzgeber auf der Suche nach der ihm am besten geeignet erscheinenden Lösung frei. Danach tritt wegen der Enge des deutschen Kapitalmarkts eine zunehmende Beschränkung des nationalen Rechtsetzers auf Grund der Erwartungshaltung amerikanischer Investoren (Macht?) und der Vorgaben der amerikanischen Wertpapieraufsicht (Macht?) ein, so dass selektiv (erleichterte Kapitalbeschaffung, besserer Marktzugang) und mit zeitlichen Abständen defensiv modernisierend übernommen wird. In einer dritten Phase 2002 wachsen die Schwierigkeiten mit der bisher in Deutschland verfolgten Strategie, einerseits den Kapitalmarkt zu öffnen und andererseits in der Unernehmensorganisation an den nationalen Besonderheiten festzuhalten, wobei der Verfasser dazu rät, historisch gewachsene Charakteristiken nur dann beizubehalten, wenn sie gegenüber einer Rezeption internationaler Standards deutliche Wettbewerbsvorteile bieten.

 

An diese Beschreibung des Ablaufs fügt der Bearbeiter überzeugend die Suche nach der Ursache. Gegenüber den bisher favorisierten Erklärungsmöglichkeiten Macht und Prestige neigt er nach gründlicher Abwägung zur Differenzierung. Nach ihm geht es teils um ein Signaling für die einheimischen Aktiengesellschaften gegenüber amerikanischen Investoren (Zertifizierung), teils um eine Reaktion auf die internationale Durchsetzung, teils um eine Reaktion auf einen ökonomischen Strukturwandel in Deutschland. Aus all diesen Faktoren ergibt sich ein Anpassungsdruck, demgegenüber aber noch ein Spielraum verbleibt.

 

§ 5 widmet sich den verfassungsrechtlichen und methodologischen Grundlagen. Überzeugend sieht der Verfasser grundsätzlich keine durchschlagenden Bedenken. Einer Flexibilisierung der Regelungsmodi stehe das Grundgesetz nicht entgegen.

 

§ 6 behandelt die Verteilung der Regelungsebenen. Nach dem Ergebnis besteht eine enge funktionale Komplementarität zwischen der kollisionsrechtlichen Weichenstellung des amerikanischen Rechts zu Gunsten der Gründungstheorie einerseits und dem materiellrechtlichen Paradigma des Gesellschaftsrechts als einem grundsätzlich frei aushandelbaren Netzwerk von Verträgen andererseits. Mit dem europäischen Übergang zur Gründungstheorie sieht er dem zwingenden Organisationsrecht (z. B. der Mitbestimmung) den Boden entzogen.

 

Deswegen untersucht er in § 7 die amerikanischen Erfahrungen mit den verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten unter dem Titel Corporate Governance zwischen Recht und Markt. Dabei stellt er fest, dass sich das Bewusstsein dafür geschärft hat, dass der Markt allein keine ausreichende Gewähr für seine Funktionsfähigkeit bietet, so dass staatliche Regulierung notwendig sein kann. Insgesamt habe sich die Grenzziehung zwischen nachgiebigem Recht und zwingendem Recht an dem auf die informationelle Effizienz des Kapitalmarkts bezogenen Schutzzweck auszurichten.

 

In § 8 wendet sich der Verfasser den Bedingungen erfolgreicher Rezeptionen im Gesellschaftsrecht zu. Konkret geht es dabei um die Bewertung von Rezeptionserscheinungen. Hier sieht er rechtskulturelle Hürden als unbedeutend, politische Hürden als abänderlich und andere Gegensätze als abgeschwächt.

 

Einigermaßen kurz erörtert er die Auslegung und Anwendung rezipierten Gesellschaftsrechts. Nach seiner Ansicht ist die amerikanische Mutterrechtsordnung dabei in differenzierter Weise zu berücksichtigen. Zugleich muss dafür Sorge getragen werden, dass Rezeptionen im Rahmen einer Vorschrift nicht zu unerwünschten Widersprüchen in anderen Zusammenhängen führen.

 

Am Ende stellt der Verfasser seine wesentlichen Ergebnisse nochmals klar und knapp dar. Für die Zukunft sieht er ein form follows function. Solange sich das deutsche Recht nicht wieder auf die ökonomische Kernaufgabe der Aktiengesellschaft besinne, so endet die eindrucksvolle Untersuchung, als Kapitalsammelstelle zu fungieren und den Aktionärsnutzen zu mehren, werde der amerikanische und europäische Reformdruck bestehen bleiben.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler