Harke, Jan Dirk, Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen (= Grundrisse des Rechts). München, Beck 2008. XII, 342 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Es mag vermessen erscheinen, ein Lehrbuch des römischen Privatrechts und seiner Entwicklung mit dem Titel „Römisches Recht“ zu versehen, so beginnt der Verfasser, ordentlicher Professor an der bayerischen Julius-Maximilians-Universität in Würzburg, seine kurze Einleitung. In Rom habe es natürlich auch Strafrecht, Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht gegeben. Im Gegensatz zu diesen römischen Rechtsgebieten sei das römische Privatrecht aber als Grundlage der kontinentaleuropäischen Kodifikationen noch geltendes Recht, so dass das Privatrecht Roms als das römische Recht gelten und ein Buch füllen dürfe, das nicht nur historisch interessierte Leser finden, sondern gerade auch den Juristen ansprechen solle, der nach tieferer Einsicht des geltenden Zivilrechts strebe.

 

Dabei sei die Geschichte des römischen Rechts bis zum 19. Jahrhundert gar keine Geschichte der Rechtspraxis. Es sei das Recht der Stadt Rom, das vielleicht noch die Rechtspraxis in Italien beherrscht habe, aber schon sicher nicht mehr die Rechtsanwendung in den Provinzen des römischen Reiches. Verliert, so wird man an dieser Stelle aber fragen dürfen, ein Recht, das die Rechtspraxis eines Gebiets beherrscht hat, seinen rechtspraktischen Charakter dadurch, dass es nicht auch die Rechtspraxis weiterer Gebiete beherrscht?

 

Das römische Recht sei in erster Linie Gedankengut, hervorgebracht von einer kleinen, elitären Gruppe von Rechtsgelehrten in Rom und weitergetragen von einer gleichfalls elitären, sich seiner ab dem Mittelalter bemächtigenden Wissenschaft. Es teile damit den Charakter des Naturrechts, das als Konkurrenzmodell zum römischen Recht ebenfalls ein wissenschaftliches Erzeugnis gewesen und gleichfalls nicht vor den fünf Kodifikationen des 18. und 19. Jahrhunderts in großem Stile praktisch geworden sei. Diese durchaus als einseitig einstufbare, vielleicht sogar moralisch fragwürdige wissenschaftliche Isolation gegenüber sozialen, religiösen und philosophischen Gegebenheiten sei der Garant für die Universalität des (oder dieses) römischen Rechts und zugleich der Grund dafür, warum das Recht der heute in der Welt geltenden Zivilrechtsgesetzbücher zum großen Teil römisches Recht sei.

 

Auf dieser, literarisch allgemein durch Kunkel/Schermaier, Söllner, Waldstein/Rainer, Wesenberg/Wesener und Wieacker abgesicherten Grundlage teilt der Verfasser sein Werk klar und übersichtlich in insgesamt fünf Abschnitte. Vorangestellt wird ein kurzer Abriss der äußeren Rechtsgeschichte. Dem folgen nach der ungefähren Gliederung des Pandektensystems die Schuldverhältnisse im Allgemeinen, die besonderen Schuldverhältnisse, das Sachenrecht und das Familien- und Erbrecht.

 

Da aller guten Dinge drei sind, beginnt der Abriss der äußeren Rechtsgeschichte mit dem in die Zeit der Republik, das klassische sowie das nachklassische und Vulgarrecht gegliederten Recht Roms. Dem folgen zwar etwas kürzer, aber doch grundsätzlich gleichgewichtig die byzantinische Kodifikation (oder Kompilation) und ihre Rezeption mit dem Gesetzgebungswerk Kaiser Justinians, dem römischen Recht im Mittelalter sowie dem Humanismus und usus modernus pandectarum. Den Beschluss bilden das Naturrecht und die modernen Kodifikationen, wobei chronologisch geordnet von der Naturrechtslehre über die Naturrechtsgesetzbücher bis zu den neueren Kodifikationen geführt wird, weshalb das Werk nicht nur die Aufmerksamkeit der Romanistik, sondern auch der Germanistik und Kanonistik verdient.

 

Bei den Schuldverhältnissen im Allgemeinen unterscheidet der Verfasser vier Untereinheiten. Nach Erörterung von Grundfragen wie Schuld und Haftung, vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnissen sowie Vertragssystem und Vertragsfreiheit setzt er mit Abschluss und Inhalt des Vertrages ein, erörtert die Fragen der Drittbeteiligung in der Form der Stellvertretung, des Parteiwechsels, der Parteimehrheit und der Personalsicherheiten und gelangt danach zu Erfüllung und äquivalenten Tatbeständen sowie den Leistungsstörungen Unmöglichkeit und Verzug. Ausgangspunkt ist das durch zahlreiche in Latein und Übersetzung wiedergegebene Texte veranschaulichte römische Recht, Endpunkt die Gegenwart.

 

Bei den besonderen Schuldverhältnissen werden die Verträge (Kauf, Verdingung als Sachüberlassung, Verdingung von Arbeitskraft, Auftrag und Gesellschaft, Darlehen, Leihe und Verwahrung sowie Schenkung) vorangestellt. Es folgen auftragslose Geschäftsführung und Eingriffskondiktion sowie Leistungskondiktion. Bei dem abschließenden Deliktsrecht werden Verschuldenshaftung, Gefährdungshaftung und Vertragshaftung mit deliktischer Funktion (Haftung für Arglist aus Vertragsschluss) nebeneinandergesetzt.

 

Der Abschnitt Sachenrecht fängt mit der Struktur des Sachenrechts an und wendet sich dann dem Besitz- und Eigentumserwerb einschließlich des Eigentumserwerbs vom Nichtberechtigten und der Verjährung zu. Es folgen die Sicherungsrechte (Pfandrecht, Sicherungstreuhand und Eigentumsvorbehalt). Am Ende stehen als Nutzungsrechte Nießbrauch, Grunddienstbarkeiten sowie Erbpacht und Erbbaurecht.

 

Der fünfte Abschnitt fasst Familien- und Erbrecht zusammen. Bei der Familie wird zwischen Ehe sowie Verwandtschaft und Sorgerechtsverhältnissen unterschieden. Im Erbrecht werden Erbfolge und Testamentsrecht getrennt, obgleich die Testaterbfolge auch Erbfolge ist.

 

Ein Personen- und Sachregister erschließt den Band. Eine Reihe eingestreuter Literaturhinweise ermöglicht die eigenständige Vertiefung. Möge das neuartige, gut lesbare Werk nicht nur sachkundige Rezensenten finden, die zu den romanistischen Einzelheiten vertieft Stellung beziehen, sondern vor allem auch Juristen, die nach tieferer Einsicht des geltenden Zivilrechts als zum großen Teil römischen Rechts streben.

 

Diese Zielsetzung unterscheidet diese Darstellung von anderen römischen Rechten. Ihr glänzendes Bild beruht auf notwendig umbildender Auswahl. Ihr von den römischen Juristen entworfenes Privatrechtssystem muss zwangsläufig von der vollständigen geschichtlichen Wirklichkeit Roms in manchen Hinsichten idealisierend abweichen.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler