Gerichtskultur im Ostseeraum - Vierter Rechtshistorikertag im Ostseeraum, 18.-20. Mai 2006 in Greifswald, hg. v. Knothe, Hans-Georg/Liebmann, Marc (= Rechtshistorische Reihe 361). Lang, Frankfurt am Main 2007. 302 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das Wasser kann Land trennen und verbinden zugleich. Aus dieser Erkenntnis heraus ergaben sich schon in frühen Zeiten vielfältige gegenseitige Beziehungen der am Rande der Ostsee lebenden unterschiedlichen Völker, deren Vertiefung mit der Entwicklung der technischen Möglichkeiten seit dem Mittelalter stetig zunahm. Hieran haben vielleicht Jörn Eckert und Kjell Åke Modéer noch vor der Wende zum dritten Jahrtausend angeknüpft und einen Rechtshistorikertag des Ostseeraums ins Leben gerufen.

 

Er hat sich in Salzau bei Kiel im Jahre 2000 mit den in den Staaten der Ostseeregion bestehenden Rechtsordnungen als solchen, ihrer Geschichte und künftigen Perspektiven befasst. Dem folgte im Lund 2002 die Juristenausbildung vor allem in den juristischen Fakultäten des Ostseeraums. In Helsinki und Turku bildete 2004 der Stand der Juristen im Ostseebereich den Gegenstand der Erörterung.

 

Generalthema der vierten Zusammenkunft in Greifswald im Mai 2006 war die Gerichtskultur. In diesem Rahmen konnten die 15 Referenten aus Dänemark, Estland, Finnland, Polen, Schweden und Deutschland den Gegenstand ihrer Vorträge frei wählen. Von selbst haben sich hieraus sechs unterschiedlich besetzte Sektionen ergeben.

 

Mit der Gerichtskultur im Allgemeinen am Beispiel Finnlands befasste sich Pia Letto-Vanamo. Die Gerichtsverfassung hatten Referate Danuta Janickas (Zur Bedeutung des Magdeburger Vorbilds in der städtischen Gerichtsbarkeit Nordpolens - Das Beispiel Kulm und Thorn), Anna Taranowskas (Alte Vorbilder, neue Rechtsgrundlagen, ständige Dilemmas - Die Frage der niederen Verwaltungsgerichtsbarkeit in Polen 1919-1939), Hans-Georg Knothes (Die oberste Gerichtsbarkeit in Ostpreußen von 1618 bis 1879), Nils Jörns (Wismar im Mittelalter und in der schwedischen Großmachtzeit), Toomas Anepaios (Die zahlreichen Gesichter des Gemeindegerichts - Die Entwicklung der estnischen Bauerngerichte im 19.-20. Jahrhundert) und Werner Schuberts (Das Oberlandesgericht Kiel in der Kaiserzeit und in der Weimarer Zeit) zum Gegenstand. Den Richtern in der nordischen Literatur des 18. Jahrhunderts widmete sich besonders Lars Björne.

 

Auf die Rechtspraxis griffen Marju Luts-Sootak (Die Erfolglosigkeit der estländischen Bauern vor der Höchstgerichtsbarkeit des russischen Reiches 1856-1889) und Ralph Weber (Spruchaktenpraxis und das Verfahren der Aktenversendung an der Rostocker Juristenfakultät 1570-1841/1877 [an Hand von mehr als 40000 Urteilen und Gutachten]) zu. Beziehungen zwischen Recht und Gesellschaft erörterten Ditlev Tamm (Zwischen Himmel und Erde - Bilder vom neuen Glauben), Urte Nesemann (Die Beteiligung der Judikative im Reformprozess des schwedischen Familienrechts Anfang des 20. Jahrhunderts) und Päivi Paaso (Frauen als Juristen in finnischen rechtswissenschaftlichen Zeitschriften). Einen wichtigen Vergleich unternahm abschließend Kjell Åke Modéer unter dem Titel Theory and Practice or Practice without Theory hinsichtlich der juristischen Ausbildung Schwedens, der Vereinigten Staaten von Amerika und Deutschlands.

 

Insgesamt weisen die vorgelegten Studien die verschiedensten interessanten Ansätze auf, die sich gegenseitig vielfach befruchten können. Von daher hat sich diese internationale Einrichtung bereits sehr gut bewährt. Möge sich die nordische Zusammenarbeit auch nach dem frühen Tod Jörn Eckerts, dessen Andenken der Band gewidmet ist, weiter fortsetzen.

 

Innsbruck                                                                                                                              Gerhard Köbler