Fuhrmann, Joëlle, Theorie und Praxis in der Gesetzgebung des Spätmittelalters in Deutschland am Beispiel der Ingelheimer Schöffensprüche. Lang, Frankfurt am Main 2001. 172 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die in Algier 1952 geborene, in Paris das von 1970 bis 1974 währende Studium der Germanistik und Anglistik mit dem Magisterdiplom abschließende, nach jahrelanger Tätigkeit als Übersetzerin und Dolmetscherin in und um Hannover in Amiens 1992 in Germanistik promovierte und danach mit Lehraufträgen in Hannover und Essen betraute Verfasserin nennt als ihre Forschungsschwerpunkte deutsche mittelalterliche Rechtsgeschichte und deutsche mittelalterliche Literatur. Ihr Werk will das besondere Verhältnis der Schöffensprüche zu den übrigen mittelalterlichen Gesetzen veranschaulichen, die Bedeutung der Ingelheimer Schöffensprüche in chronologischer und räumlicher Hinsicht innerhalb des deutschen Territoriums hervorheben und untersuchen, inwiefern die Urteile in juristischer Hinsicht die Übergangszeit widerspiegeln, die sich ab dem 15. Jahrhundert in Deutschland bemerkbar machte und den neuen Zeitgeist der Reformation und der Renaissance ankündigte. Ausgesprochen sachkundig wirkt diese Zielsetzung nicht.

 

Gegliedert wird die Untersuchung in vier Teile. Am Beginn steht ein historischer und chronologischer Überblick über die Wandlungsformen der Gerichtsbesetzung im Mittelalter, in dessen Rahmen auf Schultheiß und Schöffen  bzw. Rachinburgen eingegangen wird. Danach werden Stellenwert und Funktion der spätmittelalterlichen Schöffenurteile am Beispiel der Sprüche des Ingelheimer Oberhofs behandelt, wobei der unter A durchgeführten Charakterisierung der Ingelheimer Schöffen ein B nicht mehr folgt.

 

Der dritte Teil stellt Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen einigen zivil- und strafrechtlichen Texten und den zeitgenössischen Schöffensprüchen in den Mittelpunkt und geht auf Rechtsfähigkeit, Stellung der Frau, Rechtmäßigkeit der Ehe, untypisches Festhalten des Ingelheimer Rechtssprachgebrauchs an den alten germanischen Traditionen (des Brautkaufs), die Vielfältigkeit und Verzwickung der Güterrechts- und Erbrechtsstrukturen und das Strafrecht der Ingelheimer Schöffensprüche (Züchtigungsrecht, Kindestötung, Diebstahl, Einfluss der Kirche, Notzucht) ein. Im Ergebnis sieht die Verfasserin die Ingelheimer Protokolle als eine Mischung an, die sich aus vielen Gesetzen aus Rechtsbüchern, Stadtrechten und Weistümern zusammensetzte und in juristischer Hinsicht die Übergangszeit widerspiegelt, die sich ab dem 15. Jahrhundert in Deutschland bemerkbar machte und den neuen Zeitgeist der Reformation (1517) und der Renaissance ankündigte. Dementsprechend ist der rechtsgeschichtliche Erkenntnisgewinn der Studie nicht besonders bedeutsam.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler