Friedrich, Susanne, Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des Immerwährenden Reichstags um 1700 (= Colloquia Augustana 23). Akademie Verlag, Berlin 2007. 656 S. Besprochen von Gerold Neusser.

 

Die vorliegende Abhandlung, eine Augsburger Dissertation, ist kein Beitrag zur Ereignis- oder Institutionengeschichte des frühneuzeitlichen Reichstages. Die Verfasserin geht kritisch davon aus, dass es „der klassischen Politik- und Verfassungsgeschichte … nicht gelungen <sei>, das Funktionieren der Reichspolitik und damit das Reich selbst vollständig zu erfassen, da sie den Beziehungsaspekt zu wenig beachtet“. Unter  „Einbeziehung der kulturhistorischen Perspektive“ seien die politischen Prozesse zu erfassen, die „von Information und Kommunikation geprägt“ sind. Aus diesem Blickwinkel werden Politik und Diplomatie betrachtet. Die zeitliche Begrenzung „um 1700“ zielt auf einen Zeitraum von etwa drei Jahrzehnten (1683 bis 1713) und gibt dabei die Möglichkeit, eine für die Fragestellung besonders fruchtbare Zeit zu erschließen: Die Verstetigung des Reichstages als eines „Immerwährenden“ führte zu einer „Professionalisierung der Diplomatie“ in Form eines ständigen Gesandtschaftswesens in laufendem Kontakt miteinander zur Einholung und Weitergabe von Informationen. Die zu erwartende Fülle der vor allem auszuwertenden Reichstagsberichte, aber auch der gerade in dieser Zeit vielerlei neuen Nachrichtenmedien machte eine exemplarische Auswahl erforderlich; sie stützt sich auf jeweils einen Reichsstand aus jeder Kurie, das Kurfürstentum Bayern, das Fürstentum Ansbach und die Reichsstadt Augsburg, unter Berücksichtigung der konfessionellen Corpora. Immerhin hat selbst dieses Verfahren zu einem voluminösen Band voller gründlicher und verlässlicher Gelehrsamkeit geführt. Die Verfasserin hat aber nicht bloß mit großer Akribie Material zusammengetragen, sie hat auch Information und Kommunikation als Teil eines Beziehungsnetzes und als Element des dafür nötigen Vertrauens erfasst. So konnte sie das „Informations- und Kommunikationssystem des Reichtags“ und seine Leistungen für die Stände im einzelnen darstellen, wobei Rang und Zeremoniell als „Kommunikationsregulative“ wirkten. Damit wird die Arbeit des Reichstags ebenso erhellt wie die der ihm angehörenden Stände durch ihre Gesandten: formale Schriftlichkeit einerseits, andererseits der persönliche Kontakt waren wichtige Elemente. Bei der Informationsbeschaffung und –weitergabe waren auch die „Gründe zu informieren und Gründe zu schweigen“ zu beachten bis hin zu „Beobachtungen und Gerüchte<n>“ oder auch dem Einsatz von Verrätern und Spionen, auch – notdürftig kaschiert durch die in der Zeit im Sprachgebrauch üblichen Umschreibungen – mit den Mitteln der Bestechung. Bei alledem stand im Vordergrund, dass der Gesandte stets besonders auf die Reputation seines Herrn zu achten hatte, so dass es sich „nicht unbedingt um persönliches Vertrauen zwischen zwei Diplomaten, sondern um eine Art von politischem Vertrauen“ handelte, „das auf <!> einer Übereinstimmung der politischen Ziele der Herrschaften oder einer Allianz beruhte“. Einen besonderen Aspekt bildet „Die Reichstagsöffentlichkeit und die Öffentlichkeit des Reichstages“, wo „der Umgang mit dem Geheimnis auf dem Reichstag“ ebenso untersucht wird wie die „Zeremonien der Information“ bis hin zum „öffentlichen“ Fest. „Geheimhaltung auf dem Reichstag war … den Regeln nach streng, praktisch aber undurchführbar.“ Dazu kommt, dass auf der „Drehscheibe Regensburg“ nicht nur die Gesandten der reichsangehörigen Stände agierten sondern auch diejenigen nicht reichsangehöriger europäischer Mächte, besonders Frankreichs. So hatte der Ort des Reichstages als Platz für Kommunikation und Information seine besondere Bedeutung neben den Höfen als politischen Machtzentralen. Es ist das Verdienst der Verfasserin, dies nachdrücklich und anschaulich herausgestellt zu haben. Daraus gewinnt auch die Rechtsgeschichte einen wichtigen Blick auf die Arbeitsweise des obersten Reichsorgans in seiner letzten Phase.

 

Bremen                                                                       Gerold Neusser