Utz, Friedemann, Preuße, Protestant, Pragmatiker. Der Staatssekreträr Walter Strauß und sein Staat (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 40). Mohr (Siebeck), Tübingen 2003. XVI, 545 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Knut Wolfgang Nörr angeregte und betreute, im Wintersemester 2001/2002 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen angenommene Dissertation des Verfassers. Sie beginnt mit der Frage nach der Rechtfertigung der Biographie eines Unbekannten. Die durch die Bearbeitung gegebene Antwort erweist die Frage als rhetorisch, obgleich naturgemäß nicht alles Wissenswerte jedermann von Anfang an bekannt sein kann.

 

Der Verfasser gliedert seine eindringlich geschriebene Untersuchung des Wirkens des in Berlin am 15. Juni 1900 als Sohn eines Universitätsprofessors geborenen Walter Strauß in 19 Kapitel. Sie sind in vier im Wesentlichen chronologisch geordnete Teile zusammengefasst. Im Vordergrund steht dabei das politische Wirken nach dem zweiten Weltkrieg.

 

Walter Strauß entstammte einer jüdischen Familie. Nach eigenen Worten kam der Gerhard Leibholz bereits in der Schule kennenlernende, 1919 als Meldegänger im Spartakusaufstand durch einen Streifschutz verletzte und damit einem Weltkriegsteilnehmer gleichgestellte Strauß sehr unwillig zum Studium der Jurisprudenz in Freiburg im Breisgau, Heidelberg, München und Berlin und lernte sie erst in der Referendarzeit unter Ernst Wolff schätzen. Bei Richard Thoma promovierte er in Heidelberg 1924 über Verfassungsänderung nach der Weimarer Reichsverfassung.

 

Nach der zweiten juristischen Staatsprüfung am 12. Oktober 1927 begann er noch im gleichen Monat als Gerichtsassessor, wechselte aber bereits zum 1. Mai 1928 an das Kartellreferat in Abteilung I des Reichsministeriums, wo er Hans Schäffer, Paul Josten und Franz Böhm traf. Am 7. März 1929 heiratete er die aus der Deportation nach Sibirien zurückgekehrte Deutschbaltin Tamara Berta Schneider. Zum 30. April 1933 wurde er beurlaubt, zum 10. November 1934 ohne Ruhestandsbezüge in den Ruhestand versetzt.

 

Am 1. Juli 1936 kam er als juristischer Hilfsarbeiter in einer Rechtsanwaltskanzlei unter, musste sie jedoch bereits am 15. Oktober 1936 wieder verlassen. Zum 1. September 1938 wurde er vom Reisebüro Atlantic-Express GmbH zur Auswandererbetreuung angestellt und nahm anscheinend zusätzlich eine rechtsberatende Tätigkeit auf. 1939 ließ er sich evangelisch taufen.

 

Vor der Deportation bewahrte ihn seine Mischehe mit einem deutschblütigen Ehepartner. Zusätzliche Sicherheit brachte eine Bestechung des zuständigen Beamten mit einer Flasche Wein und etwas Kaffee, welche die Vernichtung der Meldepapiere ermöglichte. Nach seiner Beendigung der Auswandererbetreuung arbeitete Strauß seit 1943 in einer Werkstatt zur Instandsetzung militärischer Ausrüstungsgegenstände.

 

Am Tage nach der Kapitulation seines Wohnorts Wannsee gegenüber der sowjetischen Armee am 2. Mai 1945 begann Strauß mit seiner russisch sprechenden Ehefrau mit der behelfsmäßigen Einrichtung eines Lazaretts. Am 19. Juli 1945 trat er der CDU bei. Durch Vermittlung seines von November 1945 bis September 1946 als Minister für Wirtschaft und Verkehr in Hessen tätigen Freundes Rudolf Mueller trat er als Staatssekretär im Anstellungsverhältnis in die Regierung Karl Geiler in Hessen ein.

 

Am 19. Juni 1946 wurde er zum Vertreter Hessens im Direktorium des Länderrats ernannt. 1947 stieg er zur rechten Hand Johannes Semlers in der Verwaltung für Wirtschaft der Bizone auf. Danach wurde er nach Entlassung Semlers 1947 (richtig 1948) selbst Leiter.

 

Im Verwaltungsrat des vereinigten Wirtschaftsgebiets wurde er unter Hermann Pünder Leiter des Rechtsamtes. Dadurch konnte er in der Bizone an die Tradition der Reichsministerien anknüpfen. Außerdem wurde er an den Vorüberlegungen zur staatsrechtlichen Struktur der Zukunft in führender Stellung beteiligt.

 

Als einziges Mitglied der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets rückte er 1948 in den Parlamentarischen Rat ein. Als Berichterstatter der beiden Ausschüsse für Zuständigkeitsfragen sowie Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege gewann er rasch eine Schlüsselstellung. In der Abschlusssitzung vom 23. Mai 1949 unterzeichnete er nach den Worten des Verfassers mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auch ein eigenes Werk.

 

!949 wurde Strauß unter dem Bundesjustizminister Thomas Dehler von der FDP Staatssekretär der Bundesregierung. Im Gefolge der Spiegelaffäre vom Oktober 1962 wurde diese Stellung gefährdet. Deshalb bot sich ein Wechsel zum Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften am 6. Februar 1963, wo Strauß mit 70 Jahren in den Ruhestand trat.

 

Um diese wenigen, in den Darlegungen eher in den Hintergrund gestellten Fakten breitet der Verfasser umsichtig und weitgespannt die Hintergründe aus. Sie zeigen, dass Strauß dabei geholfen hat, ein solides Staatswesen für den größeren Teil Deutschlands zu errichten. Dabei ist es ihm gelungen, ein aus Umbrüchen bestehendes Jahrhundert geradlinig in zweiter Reihe zu durchmessen.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler