Elzer, Herbert, Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar – Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen und das Netzwerk der prodeutschen Opposition 1949-1955 (= Geschichte, Politik & Gesellschaft 8). Röhrig Universitätsverlag, Sankt Ingbert 2007. 1040 S., 84 Ill. Besprochen von Thomas Gergen.

 

Herbert Elzer ist in den letzten Jahren mit zahlreichen Detailstudien zum Saarreferendum von 1955 in Erscheinung getreten, die verstreut publiziert sind. Über die Rolle wichtiger Landespolitiker aus Baden-Württemberg bei der Europäisierung der Saar hat er genauso geschrieben[1] wie über die Tätigkeit Adolf Süsterhenns, welcher Präsident des rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichts war[2]. Bemerkenswert sind ferner die Studie zum Verhalten Konrad Adenauers in der Saarfrage[3] sowie die Analyse der Saarpolitik der FDP[4].

 

In seiner nun vorliegenden umfänglichen Studie stellt Elzer die „kleine Wiedervereinigung“ der Saar dar und schlägt damit des Näheren die Brücke zum Zusammenhang mit der in den 1950er Jahren noch im Entstehen begriffenen Einigung Europas.

 

Prodeutsche Parteien und Teile der Bevölkerung kämpften in Verbänden und Parteien für die Rückkehr der Saar. Dabei richtete sich der Widerstand weniger gegen Frankreich als gegen die Regierung von Ministerpräsident Johannes Hoffmann. Erstmals wertet der Autor den umfänglichen Aktenbestand des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen (BMG) aus, der im Bundesarchiv in Koblenz verwahrt wird. Auf dieser neuen Quellenbasis will Elzer zu einer Neubewertung der Hoffmann-Regierung gelangen, die nach seiner Auffassung in vergangenen Studien zu positiv beurteilt worden sei.

 

Die Großstudie Elzers enthält vier Hauptteile. Im ersten Teil werden die Entstehungsgeschichte der Abteilung III (Westliche Grenzgebiete) des BMG und die Grundzüge der außenpolitischen Konzeption in der Saarfrage skizziert. Die Teile II und III sind zeitlich gestaffelt: Zunächst rückt die Phase bis Sommer 1954 ins Blickfeld, als mit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) die Rahmenbedingungen eine entscheidende Wandlung erfuhren. Es wird die Zeitspanne vom Pariser Saarabkommen (23. Oktober 1954) bis zur Volksabstimmung vom 23. Oktober 1955 beschrieben. Elzer wertet die nach 1994 freigegebenen Geheimakten des Bestandes „B 137 Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen“ aus, um die Beziehungen des BMG zu den Parteien, Verbänden und Organisationen zu analysieren. Dabei stehen die oppositionellen Saarparteien (Demokratische Partei Saar DPS, die Saar-CDU sowie die Deutsche Sozialdemokratische Partei DSP) an erster Stelle, sodann folgen katholische Kirche und Gewerkschaften sowie die außersaarländischen Verbände (Deutscher Saarbund DSB, Deutsche Saar-Zeitung DSZ sowie die Deutsche Aktion DA). Im vierten Teil widmet sich der Verfasser einigen Sonderproblemen: Die Subventionspraxis des BMG bei Publikationen zur Saarfrage, die subversiven Begleitumstände der Aktivitäten im Saargebiet, die Beschaffenheit der Justiz an der Saar[5], das heikle Thema Ausweisungen und die damit verbundene Schaffung einer saarländischen Staatsangehörigkeit seit 1948.

 

Elzers Studie bringt durch die Einbeziehung der Akten des BMG viel Neues, wenn man die bisherigen Forschungen zur Saargeschichte und speziell zur „Saarfrage“ von 1955 zusammenstellt[6]. Eine seriöse Beschäftigung mit seinen Erkenntnissen und eine ausgewogene Einbeziehung in die bisher vorliegende Literatur können, ja müssen zu einer fairen und vollständigen Beurteilung der Saarfrage in Zukunft führen. Und wie man auch im Ergebnis zum Saarreferendum und seinen Konsequenzen stehen mag; das Buch Elzers gehört infolge seiner akribischen Auswertung der Ministerialarchive von heute an zur Bewertung der damaligen Ereignisse dazu.

 

Hannover                                                                                           Thomas Gergen



[1] „Es gibt noch Charakterköpfe in Württemberg“. Die Europarats-Abgeordneten Eugen Gerstenmaier, Karl Mommer und Karl-Georg Pfleiderer im Ringen um die Gestaltung des van-Naters-Plans zur Europäisierung der Saar 1953/54, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 59 (2000), S. 319-401.

[2] Initiative ohne Fortüne. Adolf Süsterhenns Plan für eine Europäisierung der Saar im November 1953, in: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 25/3 (1998), S. 61-98.

[3] Adenauer und die Saarfrage nach dem Scheitern der EVG. Die Pariser Gespräche vom 19. bis 23. Oktober 1954, in: Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte 46 (1998), S. 667-708; Adenauers „großes Spiel“. Staatsraison und Parteikalkül bei der Durchsetzung des deutsch-französischen Saarabkommens vom 23.10.1954 gegen Jakob Kaiser und die CDU/CSU, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 46 (1998), S. 182-245 sowie: In Distanz zu Adenauers Saarabkommen vom 23.10.1954. Die rheinland-pfälzische CDU als unbeugsame Verfechterin einer deutschen Saar, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 24 (1998), S. 457-544.

[4] Vom „Preusker-Plan“ zum „November-Programm“. Die FDP und Adenauers Saarpolitik im Herbst 1954, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 23 (1997) S. 551-593; „Es ist eine Lust, Vorsitzender einer liberalen Partei zu sein!“ Thomas Dehler contra Franz Blücher: Die Saarpolitik der FDP zwischen Grundsatztreue und Kanzlerloyalität im Winter 1954/55, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 45 (1997), S. 211-269 sowie: Vorstoß ins Leere. Baden-Württembergs FDP/DVP und das deutsch-französische Saarabkommen vom 23.10.1954, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 145 (1997), S. 377-402.

[5] Zu Justiz und Rechtsanwaltschaft vgl. insbesondere Karl-Heinz Friese (Hg.), Verwaltungsgerichtsbarkeit im Saarland, Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Oberverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichts in Saarlouis, Saarbrücken 2002; Präsident des Landgerichts in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität des Saarlandes (Hg.), 150 Jahre Landgericht Saarbrücken, Köln/Berlin 1985; Peter Wettmann-Jungblut, Rechtsanwälte an der Saar 1800-1960: Geschichte eines bürgerlichen Berufsstandes, Blieskastel 2004, dazu Rezension von Thomas Gergen, ZRG GA 125 (2007), S. **.

[6] So, wie viele Autoren auch, siehe mit weiteren Nachweisen: Thomas Gergen, Von der Saarprovinz zum Saarland. Die Vorgängerorganisationen des Saarlandes bis zu den Volksabstimmungen von 1935 und 1955, in: SKZ (Saarländische Kommunalzeitschrift) 9 (2005), S. 211-230.