Dusil, Stephan, Die Soester Stadtrechtsfamilie. Mittelalterliche Quellen und neuzeitliche Historiographie (= Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 24). Böhlau, Köln 2007. 439 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die unter dem Titel Die Soester Stadtrechtsfamilie und ihre Quellen im Vexierspiegel rechtshistorischer Forschung in Frankfurt am Main im Wintersemester 2005/2006 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität angenommene Dissertation des Verfassers. Das Interesse an stadtgeschichtlichen Fragen hatte Gerhard Dilcher geweckt, den Anstoß zur Beschäftigung mit der Soester Stadtrechtsfamilie Neithard Bulst gegeben. Das Überlegungen einer Bielefelder Magisterarbeit über das Verhältnis des Stadtrechts von Medebach zur Soester Alten Kuhhaut wiederaufnehmende Dissertationsprojekt hat Albrecht Cordes während einer dreijährigen Tätigkeit des Verfassers als Mitarbeiter seines Lehrstuhls betreut.

 

Der Verfasser beginnt seine Einleitung mit dem Satz Die Soester Stadtrechtsfamilie ist in der rechtshistorischen Forschung keine Unbekannte: Kein Lehrbuch zur Rechtsgeschichte, kein Artikel über Stadtrechtsfamilien, in denen nicht Soest nach Lübeck und Magdeburg genannt würde. Davon ist der erste Teil kaum bestreitbar. Der zweite Teil ist aber kaum ausreichend belegt, wenn in der zugehörigen Anmerkung außer Gerhard Dilchers (dem Schüler naheliegenden) Rechtsgeschichte der Stadt, nur Isenmanns Deutsche Stadt im Spätmittelalter und Karl Kroeschells Deutsche Rechtsgeschichte als Zeugen angeführt werden, von Artikeln über Stadtrechtsfamilien ganz zu schweigen.

 

Gleichwohl ist es völlig zutreffend, dass die Soester Stadtrechtsfamilie in der deutschen Rechtsgeschichte einen wichtigen Platz einnimmt. Sie umfasst nach den Forschungen Luise von Winterfelds aus dem Jahre 1955 mehr als 70 Städte. Zu ihnen gehört der Großteil der Städte und Freiheiten im westfälischen Teil des Herzogtums Köln, in den Grafschaften Arnsberg und Mark, in der Herrschaft Lippe und in der Grafschaft Schaumburg, weswegen sich noch nach Luise von Winterfeld Wilhelm Ebel, Anne-Luise Stech, Thomas Schöne und Wilfried Ehbrecht mit dem Soester Recht und seiner Verbreitung beschäftigt haben.

 

Warum noch ein Buch über die Soester Stadtrechtsfamilie, fragt der Verfasser rhetorisch sich selbst und tatsächlich den Leser. Die Antwort liefert er erwartungsgemäß selbst. Schlage man die bisherigen Arbeiten auf, so werde ihre Zeit- und Disziplingebundenheit deutlich, weshalb eine neuerliche Überprüfung selbverständlich notwendig sei.

 

Ausgangspunkt einer erneuten Annäherung an das Soester Recht und seine Verbreitung in Westfalen müsse die Frage sein, was unter Soester Recht zu verstehen sei. Dafür müsse die Quellengrundlage neu konstituiert werden. Danach könne neu die Frage aufgegriffen werden, inwieweit die mittelalterlichen Quellen die Annahme einer Stadtrechtsfamilie widerspiegelten und trügen, wobei innerhalb aller 71 Städte der Soester Stadtrechtsfamilie die Vertiefungen aus einleuchtenden Gründen auf die (9?)Tochterstädte konzentriert werden müssten, während die (62) Enkelstädte (Lemgo, Horn, Detmold, Rheda, Eversberg, Hagen, Langscheid, Hirschberg, Neheim, Freienohl, Affeln, Büren, Lügde, Rietberg, Spangenberg, Rinteln, Stadthagen, Hessisch-Oldendorf, Blomberg, Neustadt Lemgo, Barntrup, Salzuflen, Alverdissen, Wünnenberg, Bückeburg, Rodenberg, Obernkirchen, Sachsenhagen, Lauenau, Bösingfeld, Schwalenberg, Rischenau, Friesoythe, Holzminden, Stadtoldendorf, Bodenwerder, Wallensen, Bödefeld, Hüsten, Allendorf, Balve, Hachen, Meschede, Grevenstein, Sundern, Belecke, Werl, Hallenberg, Winterberg, Geseke, Schmallenberg, Kallenhardt, Warstein, Olpe, Menden, Drolshagen, Lünen, Unna, Hörde, Bochum, Hattingen, Wattenscheid) in vereinfachter Weise einbezogen werden müssten.

 

Gegliedert ist die Untersuchung in sechs Teile. Sie beginnen und enden in der modernen Stadtrechtsliteratur. Dazwischen greift der Verfasser auf die Quellen des Soester Rechts zurück.

 

Der erste Teil beschreibt die Bildung von Stadtrechtsfamilien. Er setzt bei den Antiquaren und dem deutschen Privatrecht im 18. Jahrhundert ein. In der Mitte des 19. Jahrhunderts werden hieraus durch die Geschichtsschreibung Gruppen oder Familien von Stadtrechten gebildet, worauf Luise von Winterfeld für Soest aufbaut.

 

Als Quellen des Soester Rechts erörtert der Verfasser das Stadtrecht von Medebach (1165), die alte Kuhhaut (1225/1226), die neue Kuhhaut (1281/1282), die alte Schrae (1367) und die neue, überwiegend den Textbestand des beginnenden 14. Jahrhunderts widerspiegelnde Schrae (1531). Dabei sieht er Soester Recht erstmals für Medebach aufgezeichnet. Gegen Wilhelm Ebel lehnt er ein Textcorpus echte alte Schrae ab.

 

Es folgt der Vergleich dieses festgestellten Soester Rechts mit dem Recht der Tochterstädte (Korbach, Lippstadt, Rüthen, Siegen Attendorn, Medebach, Hamm sowie vermutungsweise Brilon und Arnsberg). Dabei beginnt der Verfasser überzeugend mit den wörtlichen Übernahmen. Über sie hinaus wendet er sich den inhaltlichen Übereinstimmungen in Bezug auf Freiheiten und Gerechtsame, die Verfassung der Stadt und vor Gericht dem materiellen Recht und dem Prozessrecht zu.

 

Im Ergebnis stellt er überzeugend fest, dass die acht Städte (Soest, Korbach, Lippstadt, Rüthen, Siegen, Attendorn, Medebach und Hamm) jedenfalls nicht auf Grund identischer Stadtrechtstexte zusammengehörten. Statuten sind nur vereinzelt und Grundentscheidungen weder in allen Städten noch auch nur in einer Stadt zur Gänze übernommen worden. Eine Gleichheit oder zumindest Gleichartigkeit aller Städte mit Soester Recht, sei es ganz oder auch nur in Teilen, sei nicht nachzuweisen.

 

Im Ergebnis zeigen sich viele Unterschiede und wenige Gemeinsamkeiten. Urteilsschelten und Rechtsfragen richteten die anderen Städte selten an den Rat Soests. Auch der städtische Schriftverkehr lässt nicht erkennen, dass sich die Tochterstädte und Enkelstädte mit Soest rechtlich verbunden fühlten.

 

Am Ende sieht der Verfasser die Kennzeichen einer Stadtrechtsfamilie nur für vier Städte nachgewiesen. Gleichwohl entscheidet er sich für die Weiterverwendung des Forschungsbegriffs Stadtrechtsfamilie unter der Voraussetzung des Bewusstseins der Geringheit des hermeneutischen Gehalts, doch spricht er sich überzeugend für die jeweilige Offenlegung der benutzten Kriterien aus. Allerdings sollten Untersuchungsfeld zukünftiger Historiker nicht mehr Stadtrechtsfamilien sein, sondern Rechtszüge, Statuten und Mentalitäten, woraus sich neue Fragestellungen eröffneten.

 

Spiegele man die Soester Stadtrechtsfamilie in ihren Quellen, so wirke das durch die Forschung vorgelegte Bild verzerrt. Das Kleine erscheine groß und das Große klein. Allerdings werde sich das Bild schon beim nächsten Schritt im Vexierspiegel, so schließt die ansprechende, durch Abkürzungsverzeichnis, Druckhinweise, Edition der Stadtrechtsurkunde für Medebach, Belege zur Geschichte der Städte der Soester Stadtrechtsfamilie, Konkordanzlisten, Literaturverzeichnis und Index gefällig abgerundete Arbeit, wieder ändern.

 

Innsbruck                                                                                                                                          Gerhard Köbler