Beattie, Cordelia, Medieval Single Women. The Politics of Social Classification in Late Medieval England. Oxford University Press, Oxford 2007. X, 179 S. Besprochen von Susanne Jenks.

 

Das auf einer an der University of York entstandenen Dissertation basierende Buch beschäftigt sich mit dem durchaus wichtigen Thema der allein stehenden Frauen im Mittelalter. Ihre Stellung im spätmittelalterlichen England – und ihre Abgrenzung zu anderen als maiden, widow, servant oder whore bezeichneten Frauen – wird auf der Basis von zwei Ebenen klassifizierender Schemata untersucht, nämlich einer abstrakten, normative Regeln erstellenden (interpretative schemes) und einer individuellen Ebene (labelling of named persons). Dabei wird von der Prämisse ausgegangen, dass jede Klassifizierung ein politischer Akt ist, bei der ein „Klassifizierer“ – bewusst oder unbewusst – ein Werturteil trifft, was wiederum Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Klassifizierten und ihren (zugewiesenen) Platz in der Gesellschaft hat. Da allerdings die „Macht zur Klassifizierung“ (S. 6, 144) nicht jedem offen stand, werden hier Dokumente verschiedenster Natur (aus der kirchlichen Morallehre, königlichen Steuererhebung und städtischen Welt) herangezogen, um „Klassifizierer“ aus unterschiedlichen Bereichen untersuchen zu können, wobei der Schwerpunkt auf Quellen liegt, die für einen anderen Zweck als den der sozialen Klassifizierung erstellt wurden (penitential discourse, tax returns, guild texts, civic records). Zudem wird die potentielle Wechselwirkung der verschiedenen Arten klassifizierender Texte aufeinander untersucht.

 

Die Studie bietet leider wenig handfeste Ergebnisse, weshalb hier auf eine Zusammenfassung der einzelnen Kapitel verzichtet wird. Heraus kommt nämlich, dass Einzelbeispiele nicht repräsentativ sind (no single example should be taken as representative, S. 147), verschiedene Bereiche der mittelalterlichen Kultur aufeinander einwirkten (interconnectedness of medieval culture), es eine komplexe Beziehung zwischen „representation“ und sozialer Realität gab, und dass soziale Kategorien miteinander konkurrierten und sich zum Teil überlappten (competing and overlapping nature of social categories, S. 147-148). So kann denn auch der Begriff single woman (singlewoman) nicht eindeutig definiert werden: „The ’single woman’ – whether an umbrella category for all unmarried women, any never-married woman, or an anomaly that sits outside the dominant schema of maid-wife-widow – presents various paths through the labyrinthine world of social classification in late medieval England.“ (S. 148).

 

Es scheint mir sehr viel wichtiger, an dieser Stelle auf die Methodik des Buches einzugehen. Beattie behauptet nämlich, von den üblichen Ansätzen abzuweichen, weil sie nicht mit vorgefasster Meinung an die Quellen herangeht, sondern vielmehr „explores how various medieval texts used the category“ (S. 10). Abgesehen davon, dass Unvoreingenommenheit gegenüber den Quellen doch wohl zu den Grundvoraussetzungen gehören sollte, übersieht Beattie meiner Auffassung nach, dass sie sehr wohl voreingenommen ist. So ist jede Klassifizierung für sie per se ein politischer Akt, der bestimmten Kreisen der Bevölkerung ihren Platz in der Gesellschaft zuweist. Die Frage, wer die pragmatischen „klassifizierenden“ Texte überhaupt zu Gesicht bekommen hat und auf wen sie demnach hätten wirken können, wird gar nicht erst aufgeworfen. Zudem wird eine gegenseitige Beeinflussung verschiedener Diskurse unterstellt, ohne zu belegen, dass eine Einflussnahme in der Tat oder zumindest höchst wahrscheinlich stattgefunden hat. Ein Beispiel: Die Verwendung des Wortes paupercula in Zusammenhang mit zwei (!) Witwen im tax return für Derby zum Beispiel veranlasst Beattie zu der Schlussfolgerung, dass die lokalen Steuerschätzer „evidently did not think ’poor little woman’ but ’poor little widow’“, da paupercula in einer Wycliff Bibel mit ’litle pore widowe’ übersetzt wurde. Mehr noch: da Witwen nach dem Alten Testament Mitleid zu Teil kommen sollte, scheint „this way of thinking about widows“ Eingang in die Derby Quelle gefunden zu haben. (S. 88-89). Warum aber, so muss man doch zumindest fragen, wurden die anderen tax returns nicht auch von der Bibel beeinflusst? Diese Frage stellt sich Beattie allerdings erst gar nicht. Die reine Existenz der pragmatischen ‚klassifizierenden’ Texte und Diskurse reicht ihr als Beweis für eine Einflussnahme aus.

 

Diese Voreingenommenheit zeigt sich auch im Umgang mit den Quellen. Diese werden nämlich zum Teil „in line with the subject of enquiry“ aufbereitet. So wird in der Bishop’s Lynn Fallstudie in Kapitel 3, den den Ehestand beschreibenden Begriffen Priorität eingeräumt, obwohl, wie vermerkt wird, „the first designation in the return … was usually an occupational or relational status“ (S. 74). Die Reihung gibt aber meiner Ansicht nach eher Auskunft über „what the assessors in Bishop’s Lynn ... selected as the key constituents of social and economic identity“ − wenn man so etwas überhaupt in diese Quellengattung hineinlesen kann − als die Untersuchung „how this return uses the term sola in relation to other categories“ (S. 74). Die Tatsache, dass „widow“ in den Bishop’s Lynn Tax Returns erscheint, „widower“ dagegen nicht, hat nach meinem Dafürhalten nämlich keine „klassifizierende“ Bedeutung, sondern liegt allein darin begründet, dass es für die Steuererhebung unwichtig war, ob ein Mann verwitwet war oder nicht. Jeder Mann über 16 Jahren musste 1379 Steuern zahlen, während Frauen nur herangezogen wurden, wenn sie unverheiratet waren. Und zu dieser Kategorie gehören nun mal auch Witwen. Kein tieferer Sinn und keine „choices on the part of the assessors“ sind erforderlich, um das Auftauchen des Begriffs „widow“ in den 1379 Steuerlisten zu erklären: reiner Pragmatismus ist die logischste Erklärung. Daher ist die Frage „why it was used and what it signified“ (S. 77) einfach zu beantworten: es signalisierte, dass diese Frau nun Steuern zahlen muss, da ihr Ehemann verstorben war.

 

Die Autorin lässt sich zudem bei ihrer Quelleninterpretation von der Sekundärliteratur beeinflussen, und zwar selbst dann, wenn ihre Belege in eine andere Richtung weisen. So wird zum Beispiel die Aussage, dass das Auftauchen und die zunehmende Verwendung des Begriffs singlewoman seit dem späten 15. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem Statute of Additions (1413) steht, dadurch gestützt, dass Gleiches im Zusammenhang mit dem Begriff gentleman von einem anderen Autor behauptet wurde. Nun gibt es allerdings das Problem, dass der Begriff singlewoman nur selten in den Gerichtsakten auftaucht, weshalb sich anderen Quellen zugewandt wird, denn „it is the wider impact of the Statute of Additions that is of concern here“ (S. 126). Wenn nun aber schon kein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Statut und dem Begriff singlewoman in den Rechtsquellen hergestellt werden kann, wie kann dies dann für andere Quellengattungen behauptet werden? Die Antwort ist einfach: andere haben eine Zunahme von „additions“ in anderen Gattungen nach 1413 festgestellt. Ergo, was für andere additions gilt, muss auch für singlewoman gelten. Die Beweisführung erfolgt somit durch Assoziierungen. Allerdings stammt der früheste Beleg für singlewoman aus dem Jahr 1431 (aber vgl. S. 10 und s. 147, wo gesagt wird, dass das mittelenglische ’sengle woman’ im frühen 14. Jahrhundert gebraucht wurde) und taucht somit erst knapp 20 Jahre nach dem Statut auf. Beattie versucht erst gar nicht zu erklären, warum dies so spät geschah. Ihr Blick scheint vielmehr durch die Kenntnis gewisser Literatur verstellt zu sein. Dabei ist ein zeitlicher Zusammenhang mit der von ihr erwähnten Subsidy von 1431 weitaus wahrscheinlicher, zumal die Year Book Diskussionen, die Beattie selbst anführt, im Jahr 1432 einsetzen.

 

Allerdings geht die Ungereimtheit in der Argumentation weit über Details hinaus. Selbst die Prämisse kann in Frage gestellt werden: So wird jede Klassifizierung als politischer Akt begriffen. Wie kann es dann aber zu unterschiedlichen Bezeichnungen ein und derselben Frau  („Johanna Ingleby, singlewoman“; „Johanna Ingleby, gentilman“ (sic); „Johanna Ingleby (no status given)“, S. 129) in einem Dokument kommen? Welche Art politischer Akt ist dies? Welches Werturteil liegt hier zugrunde, und welche Auswirkungen hatte dies auf die so Klassifizierte? Beattie gibt keine richtige Erklärung hierfür, sondern bemerkt nur, dass diese Mehrfachklassifizierung „significant“ ist (S. 129), die unterschiedlichen Bezeichnungen zu unterschiedlichen Zeiten („as and when payments were made“, S. 130) vorgenommen wurden, und die „interaction between the person being labelled, the person responsible for the record in an official capacity, and a scribe, notwithstanding that these people might already be known to each other“ (S. 130) eine Rolle gespielt haben könnten. Wenn aber die Person, die klassifiziert wird, selbst Einfluss auf die Klassifizierung nehmen kann, kann man dann wirklich von einem politischen Akt, „an act of power“ sprechen? Und wenn, wie in der Zusammenfassung des Buches hervorgehoben, Bezeichnungen in verschiedenen Kontexten verschiedene Bedeutungen haben können, stellt dies nicht die Annahme, dass jede Art von Klassifizierungen der Etablierung sozialer Ordnung dienten, in Frage?

 

Neben diesen methodischen Problemen scheint eine Kritik an abenteuerlichen Schlussfolgerungen („Yet, given the emphasis placed on occupational designations in the Derby return, it could be that all usages of the category ’widow’ denoted a woman who no longer worked, whether due to old age or poverty“, S. 88. Soll dies etwa heißen, dass Armut Frauen daran gehindert hat, zu arbeiten?), missglückten Formulierungen („if one looks for other female taxpayers who paid more than the minimum rate … there are only four others, one of whom is described as a sola, one has no status, and two are damaged entries“, S. 78) und Flüchtigkeitsfehler (S. 80: „seven people are listed“, doch tauchen in der Liste nur sechs Namen auf; Table 3.3: die Gesamtsumme muss 442 sein, nicht 443, es sei denn eine der Einzelsummen ist falsch) zweitrangig.

 

London                                                                                                                      Susanne Jenks