Bähr, Johannes/Drecoll, Axel/Gotto, Bernhard/Priemel, Kim C./Wixforth, Harald, Der Flick-Konzern im Dritten Reich, hg. v. Institut für Zeitgeschichte München-Berlin im Auftrag der Stiftung preußischer Kulturbesitz. Oldenbourg, München 2008. XXVI, 1018 S., Ill., graph. Darst. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Macht entsteht selten von selbst. Sie bedarf meist der Verbindung verschiedener Gegebenheiten. Dazu gehört neben Geld, Gewalt, Geschick und Glück auch das Zusammenspiel.

 

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam im Deutschen Reich aus dem Nichts Adolf Hitler an die politische Macht. Ungefähr zur gleichen Zeit erlangte Friedrich Flick wirtschaftliche Macht. Dass auf diesen Wegen ein politisch-wirtschaftliches Zusammenspiel strafbaren Ausmaßes stattfand, wurde spätestens offenbar, als das International Military Tribunal 1947 Friedrich Flick zu sieben Jahren Haft verurteilte.

 

Umfassend untersucht werden die Einzelheiten dieser Verbindungen aber erst im vorliegenden Werk. Der Gedanke hierzu geht auf Gespräche zwischen Klaus-Dieter Lehmann als Präsidenten der Stiftung preußischer Kulturbesitz mit dem Direktor des für die Ausführung prädestinierten Instituts für Zeitgeschichte, Horst Möller, zurück. Die Stiftung preußischer Kulturbesitz hat das Projekt nachhaltig unterstützt und den größten Teil der Finanzierung übernommen.

 

Auf dieser gesicherten Grundlage haben sich Johannes Bähr (1956), Privatdozent für Wirtschaftsgeschichte an der Freien Universität Berlin, Axel Drecoll (1974), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin,  Bernhard Gotto (1973), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, Kim Christian Priemel (1977), wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Frankfurt an der Oder, und Harald Wixforth (1958), wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bochum zur gemeinsamen Reise in unwegsames Gelände zusammengefunden. Viele Archivare in zahlreichen Städten innerhalb und außerhalb Europas halfen, eine Bresche ins Dickicht der unübersichtlichen Quellenlage zu schlagen. In vielen Gesprächen erwuchs allmählich ein umfangreiches, bewusst nicht von verschiedenen Deutungsmöglichkeiten gelöstes Ganzes.

 

Dieses gliedert sich nach einer einführenden Einleitung teils chronologisch, teils sachlich. Chronologisch steht am Beginn die Entwicklung bis 1933, der die Erweiterung nach 1933 sowie Flick vor Gericht und Unternehmensgeschichte reloaded folgen. Sachlich bildet die Zeit zwischen 1933 und 1945 den Kern, für den Erweiterung und strategische Ausrichtung, Information und Kommunikation, Adaption und Kooperation, Expansion im besetzten Europa sowie Rüstungsproduktion, Konzernumbau und Zwangsarbeit nebeneinandergestellt werden.

 

Der in Ernsdorf bei Kreuztal im Siegerland am 10. Juli 1883 geborene Friedrich Flick stammte im Unterschied zu den meisten Großindustriellen seiner Zeit nicht aus der Wirtschaftselite, sondern aus dem mittelständisch-kleinunternehmerischen Milieu eines Landwirts und Grubenholzhändlers mit einigen Anteilen an Erzgruben von Abnehmern. Nach dem Gymnasium durchlief Flick eine kaufmännische Lehre in der Bremerhütte in Geisweid bei Siegen, in der er bald nach Erwerb des Kaufmannsdiploms mit Auszeichnung die Prokura erhielt. Kurz vor dem dreißigsten Geburtstag wurde er Vorstand bei der Eisenindustrie zu Menden und Schwerte AG, wenig später bei der AG Charlottenhütte, dem bedeutendsten Unternehmen der Siegerländer Montanindustrie, wo er ein ganzes Arsenal an Taktiken und Methoden zur riskanten Expansion erlernte, erprobte und verfeinerte.

 

Bei Ende des ersten Weltkriegs brachte er die Charlottenhütte durch geschickt eingefädelte Transaktionen aus inzwischen erlangtem Vermögen in seine Herrschaft (1920 Kapitalmehrheit, später 95 Prozent). In der Folge fädelte er häufig Transaktionen so ein, dass seine Geschäftspartner übervorteilt wurden, ohne dies bei Abschluss des Geschäfts erkennen zu können, wobei er selbst im Besitz des Preises blieb, den er für die Erlangung der Mehrheit bezahlt hatte. Möglich war dies nur auf Grund guter Kenntnisse und vertraulicher Verbindungen.

 

In der Folge schildern die verschiedenen Bearbeiter detailliert die Expansion nach Oberschlesien, den Eintritt in die Vereinigten Stahlwerke, das Wachstum auf Kredit und die zur allgemeineren Bekanntheit führende Gelsenbergaffäre von 1932. Dem schließen sich der Ausbau zum rohstofforientierten Mischkonzern, die Umwandlung in ein Personenunternehmen und der Aufstieg des das Rüstungsgeschäft als Strategie entdeckenden, verschachtelten Konzerns in der nationalsozialistischen Wirtschaft an. Von großer Bedeutung erweisen sich Netzwerke, Information, Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit.

 

Im Dritten Reich beginnen Geschäfte für den Staat, neben dem Staat und mit dem Staat. Danach erfolgt die Expansion im besetzten Europa. Im zweiten Weltkrieg entwickelt sich der Konzern unter Verwendung zehntausender Zwangsarbeiter zu neuer Größe.

 

Ziel war dabei stets die Förderung des Unternehmensinteresses unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen. In Gegnerschaft zur politischen Macht war dieses nicht zu erreichen, weswegen die Nähe gesucht werden musste und wurde. Dementsprechend bescheinigt das Werk Friedrich Flick, dass er selbst im ideologischen Sinn kein Nationalsozialist war und auch erst 1937 der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei Adolf Hitlers beitrat, dass er aber doch bewusst von einem systematisch Menschenrechte verletzenden, Massenverbrechen verwirklichenden und den Krieg ansteuernden Regime profitierte.

 

Am Ende des zweiten Weltkriegs blieb von den im Krieg erzielten Gewinnen durch Zerstörung und Entzug nichts mehr. Der Unternehmer wurde als Kriegsverbrecher wegen Sklavenarbeit verurteilt. Dennoch konnten die Erlöse aus dem Verkauf der Steinkohle die Grundlage für einen neuen Aufstieg bilden und litt das Ansehen Friedrich Flicks weder durch seine Verurteilung noch durch seine eindeutige Ablehnung von Ansprüchen Geschädigter.

 

Dementsprechend sah die eine Seite Friedrich Flick als erfolgreichen Großunternehmer, der sich im Dritten Reich mit Kämpfen und Zwängen auseinandersetzen musste, die andere Seite Friedrich Flick als gewissenlosen Spekulanten, privatwirtschaftlichen Verräter und skrupellosen Profiteur. Demgegenüber bietet das gewichtige Werk durch seine tiefschürfenden Untersuchungen auf der Grundlage moderner Forschungsmethoden eine differenziertere Sichtweise.

 

Im einer von Stephan Lehnstadt bearbeiteten Dokumentation sind 47 Dokumente vom Antrag der Charlottenhütte auf Genehmigung der Ausgabe von Vorzugsaktien vom 29. 12. 1919 bis zu einer Notiz über eine Besprechung Konrad Endes mit Friedrich Flick am 22. 2. 1955 betreffend die Restitution des arisierten Petschek-Konzerns vom 23. 2. 1955 wiedergegeben. Der Anhang verzeichnet zahlreiche Abkürzungen, 60 Abbildungen, 20 Graphiken, 57 Tabellen, umfangreiche Quellen und Literatur sowie Register der Personen und Firmen. Zwar wird mit dieser Leistung der Flickkonzern zum wohl am besten erforschten deutschen Montankonzern, doch wird damit - wie die Verfasser selbst feststellen - der Gegenstand keinesfalls am Ende seiner Geschichte angekommen sein.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler