Asholt, Martin, Straßenverkehrsstrafrecht. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts (= Juristische Zeitgeschichte, Abt. 3 Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung - Materialien zu einem historischen Kommentar 28). BWV Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2007. XII, 384 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Der Straßenverkehr mit Automobilen hat nicht nur zu einem eigenen Haftungsrecht im Kraftfahrzeuggesetz (heute StVG; hierzu Olaf von Gadow: Die Zähmung des Automobils durch die Gefährdungshaftung, Berlin 2002) und zu öffentlichrechtlichen Reglementierungen, sondern auch zu einer detaillierten strafrechtlichen Sanktionierung geführt. Wie Asholt einleitend feststellt, hat die Gesellschaft für diesen Bereich, da „nahezu jeder Teil des Straßenverkehrs und damit potentielle Täter eines Verkehrsdelikts“ sei, „ihre Strafnormen nicht für eine kleine, als antisozial wahrgenommene Gruppe, sondern für sich selbst“ geschaffen (S. 3), was dem üblichen Charakter des Strafrechts widerspreche. Asholt behandelt in seinem Werk primär die Delikte des Strafgesetzbuchs, deren Rechtsgut derzeit üblicherweise mit dem „Schutz des Straßenverkehrs“ angegeben wird (S. 4), nämlich die Entstehung der §§ 315 b, 315 c, 316 StGB, die zentralen Tatbestände des Straßenverkehrsgesetzes sowie die §§ 44, 69 StGB und §§ 24 a, 25 StVG. Nicht besprochen wird der Tatbestand der unerlaubten Entfernung vom Unfallort. Asholt geht grundsätzlich chronologisch vor: Pionierzeit der Motorisierung, Ausbreitung der Motorisierung (Weimarer Republik und NS-Zeit) und Massenmotorisierung (1945-1970). Für die Zeit ab 1970 ist Asholt zu einer systematischeren Darstellung übergegangen, die der Vielzahl der Gesetzgebungsvorhaben seit dieser Zeit geschuldet ist. Da das Verkehrsstrafrecht, so Asholt, „aufgrund seiner fehlenden ethisch-moralischen Anbindung stets vom Stand der Technik, von Nützlichkeitserwägungen, von wirtschaftlichen Notwendigkeiten und von der gesellschaftlichen Beurteilung der Verkehrsmittel geprägt“ sei, bringt der Verfasser am Anfang eines jeden Kapitels eine Übersicht über den Entwicklungsstand des Verkehrs und die gesellschaftlichen Reaktionen auf den Verkehr (vgl. S. 8).

 

Zu Beginn der Motorisierung ergingen seit 1899 in den einzelnen Bundesstaaten örtliche, provinzielle oder Landespolizeiverordnungen zur Regelung des Automobilverkehrs, deren Nichtbefolgung eine Übertretung nach § 366 Nr. 10 des Reichsstrafgesetzbuchs darstellte. Hierbei verblieb es zunächst auch nach den vom Bundesrat 1906 erlassenen Grundzügen betreffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, die in länderrechtliches Polizeirecht umgesetzt werden mussten. Das Kraftfahrzeuggesetz von 1909 verschärfte die Sanktionen und Übertretungen der polizeilichen Anordnungen über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen (§ 17) und sicherte den Straßenverkehr gegen untaugliche Fahrer durch die Vergehenstatbestände des § 18. Die Entziehung der Fahrerlaubnis war in § 15 den Verwaltungsbehörden übertragen worden. Die Zeit zwischen 1909 und 1952 war im Wesentlichen bestimmt durch die Diskussionen über die Schaffung von Straftatbeständen zur Sicherung des Straßenverkehrs in den Strafrechtsreformkommissionen von 1911 und 1933 sowie in den Gesetzesberatungen der Weimarer Zeit. Der StGB-Vorentwurf von 1909 drohte für bestimmte Straßenverkehrsdelikte unter der Voraussetzung einer Gefahr für Menschenleben eine Zuchthausstrafe an. Der Gegenentwurf von 1911 weitete den subjektiv noch restriktiv gefassten Ansatz von Verkehrsstraftaten (wie auch später die Denkschrift von Kerrl: „Nationalsozialistisches Strafrecht“ von 1933) erheblich aus. Der Entwurf der StGB-Kommission von 1911, deren Beratungen Asholt detailliert analysiert (S. 50ff.), der auf diesem aufbauende StGB-Entwurf von 1919 brachte erstmals die Unterscheidung zwischen „(eher) externen und den (eher) internen Gefährdungen des Straßenverkehrs“ (S. 292), eine Unterteilung, welche die folgende Diskussion und das Straßenverkehrssicherungsgesetz von 1952 bestimmte. Während des gesamten Zeitraums bestand Streit über die genaue Ausgestaltung der Tatbestände, insbesondere über den Gefahrbegriff und die Konkretheit der Lebensgefährdung. Für die Strafrechtsentwürfe der NS-Zeit lässt sich keine einheitliche oder sogar strafrechtsintensivere Linie erkennen (vgl. S. 130); beispielsweise beschränkte der StGB-Entwurf von 1936 den Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung auf externe vorsätzliche Handlungen, während der StGB-Entwurf von 1939 wiederum wie die früheren Entwürfe auch die fahrlässige Tatbegehung unter Strafe stellen wollte. In der NS-Zeit wurde im Zuge der Rechtsvereinheitlichung die Reichsstraßenverkehrsordnung (1937) geschaffen und die Fahrerflucht aus dem KVG in das StGB überführt (§ 139 a StGB). – Der erste Abschnitt über die Massenmotorisierung (1945-1970; S. 133ff.) behandelt zunächst das Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs von 1952, das die bisher nur in den Entwürfen vorhandenen Straßenverkehrsdelikte in das Strafgesetzbuch als §§ 315 a, 316 einstellte und zudem in § 42 m dem Gericht die Entziehung der Fahrerlaubnis ermöglichte (S. 138ff.). Das 2. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs von 1964 beruhte im Wesentlichen auf den Arbeiten der Großen Strafrechtskommission von 1954 und teilte den § 315 a StGB in die erheblich detaillierteren Tatbestände der §§ 315 b sowie 315 c auf und sanktionierte erstmals die folgenlose Trunkenheitsfahrt in § 316 StGB, eine Regelung, die schon mehr als 12 Jahre zuvor im Bundesrat vorgeschlagen worden war. Neu geschaffen wurde die Möglichkeit der Anordnung eines Fahrverbots in § 37 StGB (heute in § 44). Nach der Beschreibung des Alternativentwurfs von 1971 behandelt Asholt die Umstellung der straßenverkehrsrechtlichen Übertretungstatbestände auf Ordnungswidrigkeiten durch das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz von 1968 (S. 217ff.). Das folgende Kapitel befasst sich mit der Reformliteratur und Gesetzgebung nach 1970 (S. 229ff.). Das Punktsystem wurde 1974 eingeführt (S. 241), die Promille-Regelung in 24 a StVG wurde 1973 erlassen (S. 267ff.; seit 1998/2001 gilt die 0,5-Promille-Grenze).

 

Die „Zusammenfassung“ (S. 291-298) hätte bei der Unübersichtlichkeit der Gesamtregelungen etwas detaillierter sein können. In der „Würdigung“ (S. 299-322) setzt sich Asholt angesichts der stetigen Ausweitungstendenz der straßenverkehrsrechtlichen Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände kritisch mit der Gesamtentwicklung auseinander. Nach Ansicht Asholts zeigt die Entwicklung seit Inkrafttreten des KFG, „dass die strafrechtlichen Veränderungen kaum Effekte gezeitigt haben, vielmehr ist kaum bestreitbar, dass technische Veränderungen den entscheidenden Ausschlag für die Abnahme der Unfallzahlen gegeben haben“ (S. 321). Asholt setzt sich u. a. dafür ein, für die Tathandlungen des § 315 c Vorsatz zu verlangen und den Tatbestand des § 316 zugunsten eines Verletzungs- bzw. konkreten Gefährdungstatbestandes wie § 315 c Abs. 1 Nr. 1 StGB aufzugeben (S. 312, 317). Der Anhang gibt die einschlägigen Entwurfs- und Gesetzestexte zum Straßenverkehrsstrafrecht wieder. Nützlich wäre auch die vollständige Wiedergabe der geltenden Fassungen einschließlich der Bestimmungen des Straßenverkehrsgesetzes zur Entziehung der Fahrerlaubnis gewesen. Das genaue Ausmaß der straßenverkehrsstrafrechtlichen Normenflut und Sanktionsmöglichkeiten wäre noch deutlicher geworden, wenn Asholt das Übertretungs- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht noch detaillierter in die Untersuchungen mit einbezogen hätte. Insgesamt liegt mit dem Werk Asholts, das auf einer genauen Auswertung der Entwurfs- und Gesetzesmaterialien, auch soweit sie archivalisch überliefert sind, ein wichtiger Beitrag zur Strafrechtsgeschichte des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts über eine immer bedeutsamer gewordene Rechtsmaterie vor, die dringend einer historischen Aufarbeitung bedurfte.

 

Kiel

Werner Schubert