Voß, Reimer, Johannes Popitz (1884-1945). Jurist, Politiker, Staatsdenker unter drei Reichen – Mann des Widerstands. Lang, Frankfurt am Main 2006. 375 S., 10 Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der 1927 geborene, nach dem Studium der Rechtswissenschaft als Rechtsanwalt, Staatsanwalt, Finanzbeamter, Richter am Finanzgericht, Präsident des Finanzgerichts Hamburg, Dozent und Gutachter der Kommission der europäischen Gemeinschaften in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschlands tätige Verfasser, der schon 1995 mit einem Werk über Steuern im Dritten Reich hervorgetreten ist, befasst sich in diesem Buch mit einem der wichtigsten deutschen Steuerrechtler des 20. Jahrhunderts. Lange Zeit selbst in Besitz von Macht ist dieser Jurist, Politiker und Staatsdenker der Macht selbst zum Opfer geworden. Das Umschlagbild zeigt vor dem Volksgerichtshof einen schlanken grauhaarigen Brillenträger, der nüchtern und streng weiß, was er tut und dazu auch zwangsläufig steht.

 

Gegliedert ist die eindringliche Studie in drei chronologisch geordnete Kapitel. Das Leben beginnt im Kaiserreich und führt in der Weimarer Zeit an die Macht. Es endet im Widerstand gegen die abgelehnte Art der Machtausübung.

 

Popitz wurde in Leipzig am 2. Dezember 1884 als Sohn eines Apothekers und einer Malerin und als Enkel eines Landgerichtspräsidenten geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters wurde er von der Mutter in Dessau erzogen und zeichnete sich durch Intelligenz und Vielseitigkeit der Interessen aus. Von der in Lausanne, Leipzig, Berlin und Halle (Edgar Loening) studierten Rechtswissenschaft erwartete er die Schulung in der Technik des wissenschaftlichen Denkens für alle Lebenslagen.

 

1906 bestand er mit 22 Jahren die erste juristische Staatsprüfung. Im März 1907 wurde er in Halle auf Grund einer Dissertation über den Parteibegriff im preußischen Verwaltungsstreitverfahren mit summa cum laude promoviert. 1910 legte er die Staatsprüfung für den höheren Verwaltungsdienst mit gutem Ergebnis ab und kam dann nacheinander zum Landrat des Landkreises Beuthen in Oberschlesien, 1913 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Oberverwaltungsgericht in Berlin-Charlottenburg, 1914 in das Innenministerium Preußens, wobei mit dem von ihm mit entworfenen Gesetz über einen Warenumsatzstempel vom 26. Juni 1916 erstmals eine Umsatzsteuer eingeführt wurde, und 1917 als Referent für kommunale Interessen in das Reichsschatzamt, wobei er 1918 zum Regierungsrat ernannt wurde.

 

Nach ausführlicher Schilderung der Popitz möglicherweise prägenden historischen Gegebenheiten im ausgehenden Kaiserreich führt der Verfasser den Lebenslauf mit der Ernennung zum geheimen Regierungsrat im Reichsfinanzministerium durch so einen schlappen Kerl (Friedrich Ebert) fort. 1921 wird Popitz Ministerialdirektor, 1925 Staatssekretär und nach zwischenzeitlicher einstweiliger Pensionierung (1929) 1932 Reichsminister im Kabinett Schleicher und gestaltet in dieser Zeit die noch in der Gegenwart geltenden Grundlagen der Steuergesetze. 1933 wird er Finanzminister Preußens und hat auch als solcher wesentlichen Anteil an der nationalsozialistischen Steuergesetzgebung sowie in der Nähe Hermann Görings am Aufbau der geheimen Staatspolizei.

 

Trotz dieser wesentlichen Gestaltungsmöglichkeiten befriedigte ihn anscheinend das Ergebnis nicht. Deswegen, so mutmaßt der Verfasser, schloss er sich 1938 dem Widerstand gegen Adolf Hitler an, wobei seine diesbezüglichen Gespräche sich als anscheinend völlig oder zumindest ziemlich offen erweisen lassen. Nach dem Attentat des Grafen Stauffenberg auf Hitler vom 20. Juli 1944 wird er verhaftet, am 3. Oktober 1944 in einem Nichturteil des Volksgerichtshofs zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee am 2. Februar 1945 hingerichtet.

 

Insgesamt ist die Arbeit des Verfassers eine umsichtige beeindruckende Studie zu einem der einflussreichsten Juristen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die freilich dort, wo objektive Quellen fehlen, an die Grenzen der Erklärbarkeit von Verhalten gelangen muss. Sie erbringt gleichwohl weiterführende Erkenntnisse nicht nur zu Popitz selbst, sondern auch darüber hinaus. Sie trägt dadurch zu einem besseren Verständnis des gesamten Dritten Reichs nicht unwesentlich bei.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler