Vom Feld, Ina, Staatsentlastung im Technikrecht. Dampfkesselgesetzgebung und –überwachung in Preußen 1831-1914 (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 216 = Recht in der industriellen Revolution 5). Klostermann, Frankfurt am Main 2007. XI, 264 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Arbeit Ina vom Felds ist im Rahmen des Projekts: „Recht in der industriellen Revolution“ am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main entstanden. Die Nutzung der Dampfkraft und der dadurch ermöglichte Produktivitätszuwachs haben die industrielle Revolution erst ermöglicht. Mit der Verwendung der Dampfkraft, die sich in Preußen in voller Breite erst ab 1860 durchsetzte, entstanden neue Risiken, vor allem das Risiko einer Kesselexplosion und einer die Umgebung belästigenden Rauchentwicklung. Die Arbeit untersucht anhand der Reaktionen in Preußen auf die Explosionsgefahr bei Dampfkesseln exemplarisch, „wie Staat und Gesellschaft auf die Herausforderungen der Industriellen Revolution reagierten und welches rechtliche und außerrechtliche Instrumentarium sie zur Bewältigung der entstandenen Aufgaben verwendeten“ (S. 1). Im Mittelpunkt steht die Dampfkesselgesetzgebung und Dampfkesselüberwachung sowie das sie begleitende Haftungs- und Versicherungsrecht. Die Beschränkung auf Preußen als dem industriereichsten deutschen Staat rechtfertigt vom Feld damit, dass die Reaktion auf die Explosionsgefahr dort exemplarisch sei, weil sich „in Bezug auf Normsetzung und Normdurchsetzung bzw. Überwachung ein Modell der Kooperation zwischen Staat und wirtschaftlichen Akteuren entwickelte, das bis heute das deutsche Umwelt- und Technikrecht prägt“ (S. 2).

 

Nach einem kurzen Abschnitt über die Motive für eine Dampfkesselüberwachung (S. 15ff.) behandelt vom Feld zunächst die preußische Dampfkesselgesetzgebung bis zum Anfang der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts (S. 33ff.). 1831 führte Preußen durch eine Kabinettsorder die Genehmigungspflicht für Dampfkesselanlagen auf Initiative des Rheinischen Provinziallandtags ein. Erst 1856 war die regelmäßige äußere Revision der Kessel verpflichtend. 1861 fielen zwar die Werkstoff- und Bauvorschriften weg, jedoch wurde die 1848 eingeführte Wasserdruckprobe erheblich verschärft. Die Gewerbeordnung von 1869 übernahm die preußischen Bestimmungen über das Genehmigungsverfahren. Die vom Bundesrat 1871 erlassenen polizeilichen Bestimmungen über die Anlegung von Dampfkesseln beruhen im Wesentlichen auf dem preußischen Regulativ von 1861. Inzwischen waren Überwachungsvereine für Dampfkessel entstanden, zunächst 1866 in Baden (S. 103ff.), ab 1871 auch in Preußen. Die Überwachungsvereine, in denen zu Beginn der 80er Jahre erst 20% (1885 23,5%, 1897 50%) der Kesselbesitzer organisiert waren, unterwarfen die Dampfkessel einer häufigeren und damit auch gegenüber der staatlichen Kontrolle mehr als doppelt so teueren Überprüfung. Während die Vorlage von 1871 zum preußischen Dampfkesselgesetz, mit 1872 auch die innere Überprüfung der Kessel eingeführt wurde, noch von einer rein staatlichen Überwachung ausging, ließ das preußische Parlament auf Betreiben der Überwachungsvereine die Befreiung von Kesseln der Vereinsmitglieder und der Eigenüberwacher von der staatlichen Überwachung zu. Ausschlaggebend für diese Regelung war der Wunsch der Industrie nach Freiheit von staatlicher Einflussnahme und das Bedürfnis Preußens nach finanzieller Entlastung. Der Staat wurde im Übrigen durch Jahresberichte der Vereine regelmäßig über ihre Tätigkeit unterrichtet. Die Vereinsüberwachung wurde durch den 1884 gegründeten Zentralverband der Preußischen Überwachungsvereine vereinheitlicht. Dieser Verband war sehr eng mit der preußischen Regierung verflochten; so unterlagen die Statuten der Genehmigung des Handelsministers.

 

In eigenen Abschnitten behandelt vom Feld die staatliche Überwachung der Dampfkessel im Regierungsbezirk Düsseldorf durch Baubeamte und Fabrikinspektoren (S. 75ff.), durch die Vereine (S. 162ff.) und durch den Betriebsrevisionsingenieur der Krupp AG, die bereits 1872 das Eigenüberwachungsrecht erlangt hatte. Das Haftpflichtgesetz von 1871 brachte zwar noch keine befriedigende Lösung für Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmer. Jedoch veranlasste es die Unternehmer, vor allem auf Betreiben der privaten Unfallversicherungen, stärker unfallpräventiv tätig zu werden. Das Unfallversicherungsgesetz von 1884, das eine Zwangsversicherung der Arbeiter gegen Betriebsunfälle einführte (S. 149ff.), ermöglichte es den Berufsgenossenschaften, weitere Maßnahmen zur Unfallverhütung durchzusetzen. 1897/1900 zog sich der preußische Staat aus der Überwachung auch von Nichtvereinskesseln zugunsten der Aufsicht durch die Vereine ganz zurück (S. 154ff.). Allerdings gab Preußen nicht die Verantwortung für die Kesselsicherheit auf. Die Tätigkeit der Vereine war durch Berichtspflichten, Ausführungsbestimmungen und die Aufsichtstätigkeit (verbunden mit Stichproben) weiterhin der staatlichen Kontrolle ausgesetzt. Die Genehmigung der Aufstellung von Dampfkesseln blieb weiterhin in staatlicher Hand. Die Normsetzung für die technischen Detailregelungen ging zwar ebenfalls auf die privaten Akteure (Sachverständige aus Forschung und Praxis) über; der Staat behielt sich hier allerdings vor, die Normen in den Amtsblättern als „allgemein anerkannte Regeln der Technik“ zu veröffentlichen (S. 203ff.).

Im Anschluss an die preußische Entwicklung beschreibt vom Feld den Umgang mit den Gefahren der Dampfkessel in Frankreich (Kesselüberwachung durch staatliche Beamte), in England (Überwachung durch Vereine oder Versicherungen) und in den USA (Maßnahmen insbesondere für die Sicherheit der Schiffskessel). Abschließend kennzeichnet vom Feld das preußische Modell der Dampfkesselgesetzgebung und –überwachung als „Kooperationsmodell mit hohem Anteil staatlicher Steuerung“ durch Vorgaben und Kontrolle (S. 229ff., 239ff.). Mit Recht stellt vom Feld fest, der Rückzug des Staates aus der unmittelbaren Überwachungstätigkeit zugunsten der Überwachungsvereine sei nicht zwangsläufig und unvermeidlich gewesen (S. 154ff.). Entgegen den Technikhistorikern liegt mit dem preußischen Kooperationsmodell „kein Erfolgsmodell einer von der Industrie gegen staatliche Widerstände durchgesetzten Selbstverwaltung, sondern die Erfolgsgeschichte einer gelungenen Einbindung des Sachverstandes der Praktiker in staatliche Steuerung“ (S. 241) vor, ein Modell, welches das deutsche Technik- und Umweltrecht bis heute prägt. Aus diesem Grunde wäre es nützlich gewesen, wenn vom Feld dies noch ausführlicher verdeutlicht hätte, als es auf den Seiten 232-234 geschehen ist. Auch fehlt ein Überblick über die Entwicklung der Dampfkesselgesetzgebung in den größeren deutschen Bundesstaaten und über die Entwicklung der Dampfkesselgesetzgebung und –überwachung für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Die Einbeziehung der Überwachungspraxis im Regierungsbezirk Düsseldorf in die Untersuchungen gibt diesen ein hohes Maß von Anschaulichkeit. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass vom Feld die Zentralakten des preußischen Handelsministeriums in ihre Darstellung nicht mit einbezogen hat, so dass die Position der preußischen Regierung nicht immer detailliert zum Ausdruck kommt. Insgesamt liegt mit dem Werk der Verfasserin, das die Notwendigkeit der Beteiligung auch der Rechtshistoriker an der Technikgeschichte verdeutlicht, ein wichtiger Beitrag zur Rechtsgeschichte der Kaiserzeit vor.

 

Kiel

Werner Schubert